Predigt von Pastor Stefan Detken in der Predigtreihe "Feuer! Wasser! Sturm!" am 03. Juli 2022 zur Bibelerzählung der sogenannten Emmaus-Jünger (Lukas-Evangelium 24,13-35)
"Feuer!"; "Wasser!"; "Sturm!" So rief es damals meine Sportlehrerin in der Grundschule: Frisch in der Turnhalle angekommen, mussten wir Kinder uns aufwärmen. Wir rannten bunt umher und immer wenn ein Kommando kam, galt es zu reagieren: Feuer! – auf den Boden legen; Wasser! – nach oben, auf eine Bank oder Ähnliches klettern; Sturm! – eine Partnerin suchen. So sportdidaktisch einleuchtend das heute erscheint, so unhinterfragt sinnvoll war das als Kind: Wenn die Kraft der Elemente durch die Turnhalle fegt, dann müssen wir Kinder reagieren – und zwar schnell. Gefühlt ging es ums Überleben. Ich weiß heute nicht mehr, was mit denen geschah, die zuletzt irgendwo oben oder unten oder – Gott bewahre – bei Sturm ohne Partner waren. Vom Kinderspiel aus wird aber klar: Die Elemente, sie zwingen unser Leben. Ist das Feuer groß, das Wasser tief oder der Sturm stark, kann ich als Mensch nicht ohne Weiteres dagegen bestehen. Die Elemente der Natur haben die Kraft, unserem Leben eine Grenze zu setzen. Und ich sage: Dort, wo wir unsere Grenzen erfahren, dort lohnt es sich hinzusehen, wenn wir nach Gott suchen. Denn auch von ihm heißt es, er hätte die Grenzen unseres Lebens in der Hand. Können wir Gott also im Feuer finden?
Feuer ist gar kein so seltenes Gut: Wir haben Streichhölzer und Kerzen, gleich hier in der Kirche zur Hand. Kleine und große Laternen, Fackeln sogar sind schnell besorgt bald entzündet. Manche eine mag sogar einen Kaminofen zu Hause oder einen Feuerschale im Garten haben. Wenn wir auf der Suche nach Gott sind, wäre es uns leicht, ihn im Feuer zu suchen!
Dabei scheint es zu stimmen: Gott ist im Feuer und das Feuer trägt das Göttliche. Auf jeden Fall, wenn wir auf die Anfänge der Religion blicken: Wie müssen die Menschen, denen die Technik des Feuermachens noch fremd war oder wenigstens schwer von der Hand ging – haben Sie schonmal versucht, durch Reibung von Holz auf Holz Feuer zu machen? – wie musste es damals göttlich und verehrungswürdig sein, wenn ein Blitz im Bruchteil eines Moments einen Baum in Brand stecken konnte? Das Feuer kommt dann ganz eindeutig vom Himmel. Die Waffe des Zeus, Größter unter den Göttern im alten Griechenland, war nicht umsonst der Blitz. Und wann immer die Götter herniederkommen, sei es zur Intervention oder zum endgültigen Ende, sie kommen mit Donner und Himmelsfeuer.
Es ist auch das Feuer, das den Menschen in seine besondere Rolle im Bezug auf die Schöpfung bringt. Er steht zwischen allen übrigen Wesen und den Göttern, ist kein Gott, ist ihm aber näher als alle anderen – durch das Feuer, wenn wir noch einmal die alten Griechen fragen: Prometheus, der Titan, muss den Göttern das Feuer stehlen, um es seinen Lieblingen, den Menschen zu bringen. Erst so finden sie Ausgang aus ihrer mitleidigen Existenz. Der wahre Kern darin mag sein, dass wir dem Feuer einen großen Teil unserer Zivilisation verdanken: Das reicht von der Ernährung durch gekochte Speisen bis hin zum Feuer der Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren, mittels derer wir uns die Welt Untertan machen.
Über die Macht, die ihm einwohnt, hält das Feuer auch Eingang in die uns nähere Religionsgeschichte. Schauen wir in die Hebräische Bibel, so verkündet Gott aus einem brennenden Dornbusch heraus seinen Namen, steht der Berg Horeb in Feuer und Rauch, wenn Gott sein Volk lehrt und wenn er es zur Rettung vor den ägyptischen Verfolgern durch die Wüste führt, so tut er es des nachts als Feuersäule.
Es wäre zu summieren: Feuer ist Leben. In der Mythologie erklärt der Weg des Feuers die Besonderheit, die menschliches Leben ausmacht und in der biblischen Erzählung rettet und erhält Gott durch sein Feuer das Leben seines auserwählten Volkes.
Es gibt ein Aber, ein ziemlich großes. Wenn wir heute schon in der Tiefe der Religion suchen, muss auch erwähnt werden, dass die Gleichung "Gott gleich Feuer" überhaupt nicht nur ein Grund zur Freude ist. Denn die uns so geläufige Einfachheit von Streichholz und Kerzenlicht trügt über die Ambivalenz des Feuers wie der Gottes. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass das Feuer nicht nur Segen und Leben ist: Es hat eine unkontrollierbare und zerstörerische Seite. Sie reicht von der heißen Herdplatte über Wohnungs- und Waldbrände bis hin zu den Bildern brennender Städte im Feuer des Krieges. Und auch Gott, gerade wenn man sich ihm archaisch und mythisch nähert, hat zwei Seiten. Die eine ist die mächtige, die andere die unberührbare. Gott ist Grund des Lebens genau wie er Abgrund sein kann. Sein Zorn kann entbrennen, er kann Feuer und Asche auf Sodom und Gomorra regnen lassen und es geht die Rede vom jüngsten Gericht, dass auch ewig Qualen im Feuer bereithält.
Feuer ist Leben. Aber der Weg zum Leben, zu Gott, wenn wir ihn über das Feuer wählen, ist mal mindestens gewagt, wenn nicht gar gefährlich.
So kühlt der Hang zum Feuer in der Geschichte der Religion langsam ab. Je routinierter der Mensch in Fragen es schieren Überlebens wird, desto mehr treten andere Fragen in den Vordergrund. Der Bezug zum Feuer wird weniger direkt und so ungefährlicher – so heißt es heute ja genau genommen auch nicht Streichholz, sondern Sicherheitszündholz. Statt dem Überleben geht es um das Wie des Lebens, um das Zusammenleben. Das Neue Testament zum Beispiel ist, sieht man von mancher Vorliebe zur Gattung der Apokalypsen ab, deutlich weniger feurig als die Geschichte des Mose. Jesus bewegt die Fragen von Liebe und Hass, Treue und Verlogenheit, arm und reich, Frau und Mann, Vertrauten oder Ausländern. Aber bis auf den ein oder anderen symbolschweren Kommentar zündet er nichts an.
Dann stirbt Jesus. Und zwei Menschen gehen auf dem Weg nach Emmaus. In den engen Gassen Jerusalems waren die Menschen heiß gelaufen. Nun, draußen auf der Straße ist es ihnen ganz kalt. Sie sind innerlich verbrannt, ausgezehrt, man könnte sagen tot. Sie sind nicht nur traurig: Sie verstehen, die Welt nicht mehr. Ihre Hoffnung ist tot. Ihr eigener Antrieb ist so weit erloschen, dass nur noch der geringste Impuls zählt: weg aus dieser Stadt, flüchten.
Am Ende der Geschichte hat sich das wieder gedreht. Sie sind dem auferstandenen Christus begegnet, sie sind Gott begegnet. Am Ende verstehen sie die Welt wieder, sie wissen, warum alles so kommen musste. Ihr Hoffnung ist wieder wach und der eigene Antrieb lenkt sie wieder: zurück zu den Brüdern nach Jerusalem, um auch diese wieder aus dem Tod zurück ins Leben zu holen. – Und auf welche Formel bringen sie zum Schluss, was ihnen widerfahren ist? "Brannte nicht unser Herz?"!! Feuer im Inneren.
Am Extrempunkt der Ereignisse, wenn es um Tod und Leben geht, greifen auch die Erzähler des Neuen Testaments wieder auf das Feuer zurück. Wenn es hart auf hart kommt, geht es scheinbar doch nicht ohne. Dabei geht es hier nicht um Bestand oder Zusammenbruch der Zivilisation. Aber es geht um Sinn oder Unsinn des eigenen Lebens. Das Feuer der Emmaus Geschichte ist die Freude, dass man eben nicht tot ist. Ein inneres Feuer, dessen Schein zeigt, wo man in der Welt steht. Es ist die lebendige Hoffnung, dass der Weg, den man gegangen ist, nicht umsonst war. Es ist die Kraft des eigenen Antriebs, weiter am Leben teilzunehmen.
Wir brauchen das Feuer zum Leben. Wir haben es äußerlich ganz gut unter Kontrolle, unsere Wohnungen sind warm, die Blitzableiter stehen auf den Dächern und die Feuerwehr ist 24/7 in Bereitschaft. Wir brauchen das Feuer im Inneren: Wir brauchen Feuer im Herzen. Einen Sinn im Leben, eine Hoffnung, die uns leitet und eine Liebe, die uns trägt. Ohne dieses Feuer können wir nicht leben. Wenn es brennt, fühlen wir uns Gott nahe. Wenn wir Gott nahe kommen, kann er uns anzünden – zum Leben.
Zuletzt noch eine – vielleicht die wichtigste – Frage: Wo bekommen wir denn das Feuer her, das so lebenswichtige, falls wir es gar nicht haben? Wie lässt man sich denn anzünden von Gott?
Auch darauf gibt uns die Emmaus-Geschichte eine wunderbare Antwort: Sie erkennen Jesus just in dem Moment, spüren das Feuer im Herzen genau in dem Augenblick, als er mit ihnen das Brot bricht.
So können auch wir mit einander das Brot brechen und teilen. Um uns zu erinnern, dass Gott uns beim Namen kennt, sieht und hört. Um uns zu erinnern, dass er es gut mit uns meint. Um uns zu erinnern, dass es in Jesus Christus erwiesen ist: Das Leben, das Gott gibt ist größer als der Tod.
Das Gute: Hier spielen nicht wir mit dem Feuer, wir müssen nicht über den Abgrund balancieren, den es mit sich bringt. Sondern es ist Gott selbst, der das Abendmahl gestiftet hat. Wenn er so unsere Herzen entzündet, dann nicht als Wagnis, sondern als Geschenk.
Amen.