Eintauchen in andere Lebenswelten

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Eintauchen in andere Lebenswelten

Irgendwann ist etwas schiefgelaufen im Leben: eine Situation ist eskaliert, eine Geldstrafe wurde nicht beglichen oder eine Gelegenheit hätte nicht genutzt werden sollen. Und jetzt bist du hier und jemand anders bestimmt, wann du was wo tun darfst. Das ist schwer auszuhalten. Noch schwerer wird es, wenn du nicht weißt, wie lange diese Situation andauert. Wir sind nicht gut darin, Unsicherheiten auszuhalten. Gut, dass es Menschen gibt, die deine Lage verstehen und dir Mut zusprechen.

Margit Rehfeldt und Klaus Will sind solche Menschen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, für die Gefangenen der Justizvollzuganstalten in Hakenfelde da zu sein. Die Standorte Niederneuendorfer Allee und Kisselnallee in Spandau sind Justizvollzugsanstalten (JVA) des offenen Vollzugs, d.h. die Insassen dürfen tagsüber die Anstalt verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Doch ehe es soweit ist, müssen die Männer mit unterschiedlichen Biografien eine Wartezeit von zwei bis 14 Wochen aushalten.

Diese Unsicherheit von der anfangs die Rede war, macht den Männern zu schaffen. So nehmen sie dankbar das Angebot der festen Sprechzeiten an oder vereinbaren Termine, um über ihre Sorgen und Ängste zu reden. Darüber hinaus unterstützen die Seelsorger die Insassen bei Anträgen, beraten bei Problemen, helfen in Krisen und bereiten die Insassen auf das Leben in Freiheit vor.

Ihre Superpower? Verständnis und Zuhören. Das ist die Grundlage der Gefängnisseelsorge. Ohne Empathie geht es nicht. Das heißt nicht, Vergehen zu rechtfertigen, sondern den Menschen offen und respektvoll zu begegnen und sie nicht zu verurteilen. Dann gewinnen Gespräche an Tiefe und gehen über Alltagsprobleme hin zum Austausch über den Glauben an Gott oder Allah, über Schuld und Vergebung. Solche Gespräche erweitern den Horizont von Seelsorgern und Gefangenen. 

Koordiniert wird die Seelsorge im offenen Vollzug von Manfred Lösch, ehrenamtlicher Gefängnispfarrer in Düppel. Der Kontakt ersetzt aber keine Supervision, eine Sache, die sich Rehfeldt und Will wünschen, um sich über Erlebtes und Schwierigkeiten auszutauschen.

Eine andere Form von Unterstützung erfährt das Team von der Wicherngemeinde. Dort finden zweimal jährlich Abendgottesdienste für und mit JVA-Freigängern statt - der nächste ist am 9. Oktober 2022. Dabei werden sie nicht stigmatisiert, sondern erfahren Normalität. Dies ist Teil der Aufklärungsarbeit, welche die Gemeinde leistet. Denn unabhängig von den besonderen Gottesdiensten dürfen Freigänger Gottesdienste besuchen. Gelegentlich arbeiten einige von ihnen auch in der Gemeinde. 

In der JVA selbst finden ebenfalls Gottesdienste statt: einer im Sommer und einer am 26. Dezember. Gerade die Tage nach dem ersten Weihnachtsfeiertag sind herausfordernd, wenn weder Besuche noch Freizeitangebote stattfinden. Das freiwillige Angebot ist aber mehr als ein Lückenfüller. „Man spürt, dass der Gottesdienst den Menschen etwas gibt. Sie erleben Glauben und ahnen wieder, was wichtig im Leben ist“, erzählt Margit Rehfeldt. Sie ist im Anstaltsbeirat und als solche, z.B. an Entscheidungen über die Gestaltung der JVA und die Betreuung der Gefangenen beteiligt.

Sowohl Rehfeldt als auch Will sind in der JVA Niederneudorfer Allee und in der Kisselnallee bekannt, die ihnen jeweils einen Raum für die Seelsorge zur Verfügung stellen. Auch mit den Bediensteten der JVA kommen sie ins Gespräch, beispielsweise über Sinn und Notwendigkeit von Seelsorge. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann Margit Rehfeld oder Klaus Will kontaktieren oder die JVA mit einer Gruppe besuchen. 

Für die Zukunft hoffen die beiden auf Verstärkung, denn ewig werden sie die Aufgabe nicht weiterführen können. Es braucht Menschen, die zuhören können, bereit sind dazuzulernen sowie teamfähig und ansprechbar sind. Belohnt werden sie mit einer sinnvollen und erfüllenden Tätigkeit, die strauchelnde Menschen auffängt und sie ermutigt. Zudem fordern die seelsorgerlichen Gespräche heraus, sich mit anderen Erfahrungen und Lebenswelten auseinanderzusetzen.

Bettina Kammer
nach Gesprächen mit Margit Rehfeldt und Klaus Will

Kontakt: K. Will 0157 5629 1584
M. Rehfeldt 030 336 5215

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