Staaken: Eine Kirche mitten im Dorf

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Staaken: Eine Kirche mitten im Dorf

Archivbericht aus St. Nikolai Spandau  

Archivalien können durchaus poetisch sein. Ein Beispiel dafür bietet uns die Akte Sup 0112, die im Kirchenarchiv der Spandauer St.-Nikolai-Gemeinde aufbewahrt wird. Es geht um „Statistische Notizen betreffend die Pfarre zu Staaken in der Diözese Spandau aufgestellt bei der Kirchen-Visitation im Jahre 1890“. Sie beschreibt die Parochie Staaken als „Einzelgemeinde mit der Kirche mitten im Dorf und der Pfarre in Spandau“. Die Kirche mitten im Dorf … doch war es wirklich eine Idylle?  

Das Archiv der Spandauer St.-Nikolai-Gemeinde umfasst derzeit rund 12.750 Verzeichniseinheiten (VE) mit 10 verschiedenen Provenienzen. Es wird inhaltlich geführt von Spandovia Sacra - Museum von St. Nikolai und ist räumlich in der Jüdenstraße angesiedelt. Unablässig kommen weitere Archivalien aus der Altregistratur der Gemeinde und aus anderen Quellen hinzu. Zu den VE gehören z. B. fast 4.000 Abbildungen/Fotos. Der größte Teil des Archivguts stammt erwartungsgemäß aus der Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai selbst (9.920 VE) sowie aus den bis zur Fusion 1998 selbständigen Gemeinden Petrus (475 VE) und Am Brunsbütteler Damm (Ladenkirche; 235 VE). Die reformierte Johannes-Gemeinde war bereits im Frühjahr 1897 mit St. Nikolai vereinigt worden (725 VE). Weitere 1.330 VE entstanden im 19./20. Jahrhundert in der Spandauer Superintendentur. In diesem Bereich fällt eine Abgrenzung der Provenienzen häufig schwer, da bis 1971 die Superintendentenstelle die meiste Zeit mit der 1. Pfarrstelle von Nikolai verbunden war.  

Bei der Archivierung werde ich als Hauptamtliche von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern unterstützt. Wir arbeiten wie die meisten Archive mit dem Bär'schen Prinzip (nach Max Bär, 1855–1928), bei welchem das Archivgut in der Reihenfolge, wie es zufällig in die Hand der bearbeitenden Person gerät, verzeichnet wird. Die notwendige inhaltliche Gliederung stellt die Vergabe von Aktenzeichen in den Findmitteln her. Diese wiederum folgt dem Aktenplan der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), s. unten.  

49 VE tragen die ausdrückliche Überschrift „Staaken“; sie werden in acht Stülpschachteln der Marke „Loreley Folio classic“ (wieder so etwas Poetisches im Archiv!) aufbewahrt. Dazu gesellen sich einzelne Akten, die sich zwar auf Staaken beziehen, aber in anderen Provenienzen gebildet wurden.  

Wie kommen die Staakener Akten ins Spandauer Archiv? 
Im Zuge der Reformation verlor Staaken seine kirchliche Eigenständigkeit und war von 1560 bis 1893 (andere Quellen nennen 1894) die Tochterkirche (filia) von St. Nikolai in Spandau. 1560 starb der alte Staakener Pfarrer Andreas Ebel. Dies wurde von der kurmärkischen Kirchenleitung zum Anlass genommen, die Gemeinden Seeburg und Staaken pfarramtlich zu trennen. Von nun an übernahm der Spandauer Diakon die geistliche Betreuung der Staakener Bevölkerung. Die Pfarrländereien wurden verpachtet.  

Entsprechend setzt die älteste Staakener Akte im Nikolai-Archiv mit dem Jahr 1558 ein (Signatur 46). Es handelt sich um ein Kassenbuch, dessen Laufzeit bis 1605 reicht. Kassenbücher aus vergangenen Zeiten bieten harte Fakten: Wer hat wann wo wie viel wofür ausgegeben? Zugegeben, das Warum bleibt dennoch häufig ein Geheimnis. Kassenbücher sind eine der belastbarsten Quellen für die geschichtliche Forschung. Das wusste auch der Spandauer Stadtchronist, Pfarrer Daniel Friedrich Schulze (1739-1811). Für seine „Beschreibung und Geschichte von Spandow“ wertete er die Staakener Kassenbücher akribisch aus; nachzulesen im 1. Band des Werkes auf den Seiten 585-593. Dennoch würden sich für ausgiebige Spezialuntersuchungen weitere Forschungen an den Originalen höchstwahrscheinlich lohnen.  

Deshalb im Folgenden ein kurzer Überblick über die im Staakener Akten im Archiv der St.-Nikolai-Kirche Spandau; es handelt sich um eine Auswahl. Die Aktenzeichen folgen wie oben beschrieben den Hauptabschnitten des Aktenplans, die Zahlen in Klammern bezeichnen die Signatur der Archivalie. Nik bedeutet Provenienz Nikolai, Sup=Superintendentur.  

1) Kirchengemeinde und Pfarrsprengel: Visitationsabschied 1600 (Nik 0598); Sitzungsprotokolle, Verhandlungen 1860-1921 (11); Visitationen Staaken-Dorf 1883-1918 (Sup 112).

2) Kirchliche Ämter: Versorgung der Pfarre Staaken 1560, spätere Abschrift o. D. (45); Personalia und Inventar Schwesternstation 1905-1921 (18); Allgemeiner Schriftwechsel Staaken-Dorf 1927-1945 (Sup 111).

3) Dienst und Leben: Verzeichnis an Predigerwitwen übersandte Patengelder aus Staaken 1717-1806 (Nik 686); Filialfuhren nach Staaken, Verhandlungen, Verträge, Beschwerden 1861-1893 (Nik 265); KonfirmandInnen, Taufscheine 1863-1902 (12); Kirchenzucht, Fürsorge, Strafsachen, 1876-1916 (17)

4) Finanzverwaltung: Kirchenrechnung von Staaken 1699-1828 (48); Kirchenrechnung 1700 (44); Kirchenländereien 1731, 1785-1935 (28); Kirchen-Rechnung 1798-1822 (20); Kirchen-Rechnung 1823-1893 (21); Lagerbuch 1863 (13); Rechnungsbelege 1912-1914 (8).

5) Gebäude und Kirchhof: Kostenvoranschlag zur Reparatur der Kirche 1770 (29); Stuhlordnung 1790-1884 (31); Reparatur Versicherung der Kirche 1819-1926 (27); Orgel 1819-1826 (27); Ofen/Luftheizung 1905 (27).

6) Schule: Einrichtung der Schule, Besoldung der Lehrer 1811-1881 (Sup 31); Stunden- und Lehrpläne 1876-1919 (40); Aufsatz von Lehrer Schulz „Der Choralgesang, insbesondere der rhythmische in der Schule“ 1888 (Nik 431).   

Noch viele weitere kirchliche und staatliche Archive verwahren Dokumente aus der langen Geschichte Staakens. So befindet sich z. B. die Urkunde der Ersterwähnung des Dorfes in der Urkundensammlung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz.  

Und im Archiv der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg finden wir die wohl ungewöhnlichsten Staakener Spuren. Dort sind 13 Briefe erhalten, die der Staakener Pastor Joachim Böldicke (1704-1757) an den ursprünglich aus der Schweiz stammenden Mathematiker Leonhard Euler (1707-1783) schrieb. Böldicke hatte 1743 seine Stelle als Diakon an der Spandauer St.-Nikolai-Kirche angetreten. Als Gelehrter beschäftigte er sich vor allem mit der Theodizee, eine der Grundfragen der Aufklärungsphilosophie. In diesem Zusammenhang nahm Böldicke 1746 Kontakt zu Euler auf, der an der Académie Royale in Berlin tätig war. Die ersten sechs erhaltenen Briefe bewegten sich im kollegialen Austausch. Dann aber folgt ein reger privater Briefwechsel von Februar bis April 1754. Euler sucht für sein Landgut in Charlottenburg eine gute Viehmagd und bittet Böldicke darum, diese Suche zu unterstützen. Böldicke schlägt zunächst Agte, eine Staakener Tagelöhnerin, vor. Agte lehnt ab, weil sie ihren Geburtsort nicht verlassen möchte. Dann fragt Böldicke die verwitwete Tagelöhnerin Euen. Sie dürfe sogar ihr 10-jähriges Kind mit nach Charlottenburg bringen. Doch auch Frau Euen lehnt ab. Dann eine namentlich nicht genannte 48-jährige Witwe mit einem sechsjährigen Kind? Nach längerer Bedenkzeit folgt das Nein der Frau. Schließlich zeigt sich Witwe Mindsche, eine kinderlose Tagelöhnerin in den besten Jahren, interessiert. Ob diese Staakenerin wirklich den Dienst als Magd bei Leonhard Euler antrat, ist leider nicht überliefert.  

Spandovia Sacra gratuliert Staaken zum 750.! Unser Haus am Reformationsplatz 12 in der Spandauer Altstadt ist freitags, sonnabends und sonntags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Nach dem Ausstellungsbesuch lädt das gemütliche Museumscafé zum Verweilen ein. Unser Programm und weitere Informationen finden Sie unter www.nikolai-spandau.de/museum  

Sabine Müller M.A., Leiterin Spandovia Sacra - Museum von St. Nikolai Berlin-Spandau  

Dieser Text erschien zuerst in „Die Staakener Wetterfahne. Mitteilungen des Freundeskreises der Dorfkirche Alt-Staaken e.V.“, Ausgabe 48, Jubiläumsausgabe März 2023.

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