Gesicht zeigen

# Predigt des Superintendenten

Gesicht zeigen

Gesicht zeigen – so hieß vor einigen Jahren eine Kampagne gegen Rassismus. Prominente wie Ulrich Wickert, Iris Berben oder Kurt Krömer waren da zu sehen – ihre Konterfeis guckten den Betrachter von großformatigen Plakaten direkt an, darunter ein Satz: „Ich bin Jude, wenn du was gegen Juden hast!“ Oder: „Ich bin schwarz, wenn du was gegen Schwarze hast!“ „Ich bin schwul, wenn du was gegen Schwule hast!“ Die Botschaft war klar: Ausgrenzung und Menschenhass geht uns alle an, nur wer erkennbar wird, kann etwas verändern in Köpfen und Herzen.  

Wer Gesicht zeigt beweist Haltung. Tritt heraus aus der grauen Masse, steht sichtbar für etwas ein. Ein Mensch, bei dem man weiß woran man ist. Gesichtslos ist dagegen jemand, der irgendwie vage und undeutlich, bleibt, schwammig, nicht greifbar, unpersönlich.    

Gesicht zeigen - wie gut, dass das wieder geht, ganz ohne Maske. Wissen Sie noch wie das damals war, gar nicht so lange her als noch Vermummung zum guten Ton gehörte? Ob im Gottesdienst, in der U-Bahn oder im Supermarkt … mit Mund-Nase-Bedeckung umwehte alle ein Hauch der Anonymität. Man fragte sich manches Mal: „Ist sie’s oder ist sie’s nicht? Der da drüben könnte doch Herr Soundso sein?“ Und wenn sich doch zwei bekannte Gesichter gefunden hatten, gestaltete sich das Gespräch schwierig. Man musste schon sehr deutlich sprechen hinter dem Mundschutz um verstanden zu werden und dass die Hälfte der Mimik des Gesprächspartners verborgen blieb, erschwerte die Kommunikation noch zusätzlich. Wissen Sie noch? Oder fühlt sich das wie eine ferne Erinnerung an …?  

Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.  

Gott zeigt Gesicht - am Sinai. In den Segensworten, die er Mose auf dem wolkenverhangenen Gipfel sagt und die später der Priester Aaron über dem Volk ausspricht. Auf  der langen und harten Reise zwischen Ägypten und dem Jordantal, rastet das Volk am Fuße des Berges. Nur Mose ist rastlos, redet oben mit Gott. Immer wieder ist er mit ein paar Geboten heruntergekommen. Nicht nur die berühmten Zehn, sondern viele hunderte. Regeln für das Miteinander im Alltag, aber auch unzählige sehr genaue Bestimmungen für den Gottesdienst. Doch am Schluss: Segen. Und Segen heißt: Gott zeigt Gesicht, wendet sich zu. Zweimal ist vom Angesicht die Rede, Segen hat offenbar mit Sehen und Gesehen-werden zu tun. Wer gesegnet wird hat Ansehen bei Gott. Und Gottes Angesicht ist leuchtend und gnädig. Ein Antlitz wie die Sonne, lebensspendendes, wärmendes Licht. Ist dieses Angesicht entzogen wird es dunkel und kalt, aber ist es zugewandt, kann Leben sich entfalten, wachsen, gedeihen.

Klar -  in die Sonne zu schauen ohne geblendet zu werden, ist nicht möglich. Wenn Gott sein Antlitz zuwendet verbirgt er es gleichzeitig im grellen Lichtschein. Vielleicht neigt so mancher deshalb den Blick, wenn der Segen im Gottesdienst gesprochen wird. Doch wer einmal im Gesichtsfeld Gottes gewesen ist, behält Glanz auf dem Haupt zurück, ein Strahlen im Gesicht. Mose ist mit leuchtender Miene vom Berg Sinai herabgestiegen heißt es im Buch Exodus. Wenn wir gesegnet werden, gehen wir hoffentlich etwas strahlender in unseren Alltag. Dass man sieht, Gott hat seine Handschrift auf uns hinterlassen. Das Wort Segnen kommt vom lateinischen „signare“, signieren, beschreiben, bezeichnen.  

Gott zeigt Gesicht … am Sinai – sagt seinem Volk: So einer bin ich. Ein Gott mit euch. Dafür stehe ich. Obwohl  „stehen“ gerade der falsche Begriff ist. Denn Gott ist nicht statisch, sondern mobil. Am Sinai wird er zum Mitgehenden, der den Heiligen Berg verlässt und mit seinem Volk unterwegs ist. Segen heißt „Gott to go“, ist mit Aufbruch und Reise verbunden, beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Kein Wunder, wenn zwei Gesichter sich beim Abschied das letzte Mal einander zuwenden, sind es meist verkleidete Segensworte die fallen: „Pfüat di, Tschüß, Ciao, Adieu …“  

Gesicht zeigen - wer glaubt, der hofft, dass Gott genau das tut. Fordert es vielleicht auch manchmal trotzig ein: Dass Gott sich zeigt, seine Segenshandschrift erkennbar wird, auch im Rätselhaften und Dunklen des Lebens. Vater, Sohn und Heiliger Geist. Oha und da fängt es an kompliziert zu werden: Das Geheimnis der Trinität trägt zur Eindeutigkeit und Erkennbarkeit ja gerade nicht bei, oder? Ist Gott denn doppelgesichtig – äh dreifachgesichtig?

Der antike Theologe Tertullian versuchte es anders zu erklären: Gott hat nicht drei Gesichter, sondern er ist ein Gott in drei Personen. Und das lateinische Wort „Persona“ heißt Maske. Ich höre Sie innerlich stöhnen: Muss das sein? Wir haben die Maskenpflicht doch zum Glück endlich hinter uns gelassen – im Supermarkt, in der Kirche, sogar beim Arzt und bei der Gottesfrage wird sie wieder eingeführt …? Nicht ganz. Der Unterschied ist: Diese drei Masken Gottes sorgen gerade nicht dafür, dass das Gespräch mit ihm behindert wird. Im Gegenteil: Durch diese Masken können wir ihn besser verstehen. Tertullian dachte an die Masken, die sich die Schauspieler im antiken Theater vor das Gesicht hielten. Und ein guter Schauspieler gaukelt ja nicht etwas vor, das er nicht ist, er legt ganz viel von sich hinein in eine Rolle.

Jeder von uns hat verschiedene Rollen: Ist Ehemann oder Vater, Schwester und Tochter, Kollegin, Nachbar usw. Keine der Rollen ist weniger wahr – alle gehören dazu. Gott begegnet als Vater -  Schöpfer und Urgrund des Lebens, als Sohn - unser Menschenbruder Jesus mit demselben Herzschlag, und als Heiliger Geist - Inspiration und Kraft der Liebe Gottes in uns. Drei Rollen, aber dasselbe Angesicht Gottes, uns freundlich zugewandt. So angesehen können wir alle falschen Masken fallen lassen, alle verhärteten Mienen und gefrorene Blicke ablegen – wir können Gesicht zeigen, weil wir bei einem Ansehen haben. Noch ein Plakat der Prominenten-Kampagne. Die TV-Moderatorin Anne Will ist zu sehen: „Ich bin Migrantin, wenn du was gegen Migranten hast!“ Könnte das auch unser Satz sein? Jesus sagt es ähnlich: „Was ihr einem von meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Gott zeigt Gesicht.  

Gesicht zeigen - wie gut, dass das wieder geht, ganz ohne Maske. Wenn ich morgens in der U-Bahn sitze, ergreift mich ab und zu noch ein dankbares Staunen über die wiedergewonnene Normalität angesichts der vielen unbedeckten Gesichter. Nur ganz vereinzelt sieht man noch hier und da jemand Maske tragen. Neulich saß mir eine Frau gegenüber, deren Mund-Nase-Bedeckung mir auffiel.

Darauf stand in kleiner Schrift nämlich ein Satz: „Unter dieser Maske steckt ein Lächeln!“ Als ich das las musste ich auch schmunzeln. Ja, auch mit Maske kann man Gesicht zeigen – dachte ich, erkennbar werden. So tut das auch Gott. Ob Vater, Sohn oder Heiliger Geist – was auch immer auf seiner Maske steht, dahinter ein Lächeln, sein leuchtendes Angesicht. Möge sein Segen euch strahlen lassen!  

Amen.  

Florian Kunz zum Trinitatisfest in St. Nikolai am 4. Juni 2023

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