20 Jahre Hoffnungsgemeinde - 120 Jahre Matthäuskirche - Geschichten und Geschichte

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20 Jahre Hoffnungsgemeinde - 120 Jahre Matthäuskirche - Geschichten und Geschichte

Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert kam es zu einem starken Anwachsen der Bevölkerung der Stadt Frankfurt. 1888 wurde der Hauptbahnhof eingeweiht und damit begann die rasante Besiedelung der Stadt außerhalb des heutigen inneren Anlagenrings. Das Gebiet bis zur Galluswarte, das Westend und das Gebiet bis zur Bockenheimer Warte waren alle der Weißfrauengemeinde zugeordnet. Aufgrund der großen Entfernungen und der damaligen Verkehrsmittel konnten die Bewohner der Neubaugebiete die Weißfrauenkirche zum Gottesdienstbesuch kaum erreichen.


Pfarrer Conrad Kayser wurde der Aufbau der Matthäus-Gemeinde übertragen. Seine Aufgabe war es mit den Bewohnern des südlichen Westendes (meist Akademiker und gut situiert bis sehr wohlhabend) und den Bewohnern des nördlichen Gallus (Schalterbeamte, Schaffner der Bahn, der Post und der Straßenbahn, mit niedrigen Einkommen) EINE Gemeinde zu bilden. Pfarrer Kayser kannte keine unterschiedlich wertvollen Menschen, er ging (für damalige Verhältnisse) gern unkonventionelle Wege. Die Finanzierung des Kirchenbaus mit Pfarrhaus, Wohnungen für die Diakonissen des Kindergartens und des Küsters war sehr schwierig, weil die zugeteilten Mittel nicht ausreichten. Die wohlhabenden Westendbewohner wollten eine repräsentative Kirche und trugen gern zu den Kosten bei. Die Grundsteinlegung zur Matthäuskirche erfolgte vor 120 Jahren am 21. Juni 1903.  

Die Bauzeit betrug 2 Jahre und zur Einweihung war durch das Engagement von Pfarrer Kayser bereits ein vielfältiges Gemeindeangebot für alle aus dem diversen Gemeindegebiet vorhanden. Während des 1. Weltkrieges war Pfarrer Kayser vielen Gemeindegliedern ein Halt, er durchlitt die Zeit mit seiner Gemeinde. 1918 verließ er müde sein Tätigkeitsfeld. Die neue Zeit war nicht mehr seine Zeit.  


Ab 1912 wirkte Pfarrer Samuel Schrenk als zweiter Pfarrer in der Matthäuskirche. Er war der Sohn eines Erweckungspredigers, weit herumgekommen, weltgewandt und mit eigenem Vermögen. In den Zwischenkriegsjahren, die finanziell für viele Menschen sehr belastend waren, stellte er sein eigenes Ferienhaus in Weiperfelden der Gemeindejugend zur Verfügung. Die Kinder verlebten dort mit Lotte Eckert (Gemeindehelferin „Tante Lotte“ aus Waldsolms) eine unbeschwerte Zeit.

Während der Nazi-Herrschaft konnte er durch seine Unverbindlichkeit Verdächtigungen von sich fernhalten. Er war als Bote für die Bekennende Kirche in Frankfurt unterwegs. Über seine Auslandskontakte wurde Menschen die Emigration ermöglicht. Pfarrer Schrenk starb unerwartet am Herzschlag 1939. 

 

Pfarrer Paul Lange war seit 1920 Pfarrer und führte die Gemeindearbeit von Pfarrer Kayser fort, der neuen Zeit angepasst. Er war sehr beliebt und geachtet. 1933 schloss er sich der Bekennenden Kirche an. Im Flur stand für den Notfall einer KZ-Deportation ein Koffer bereit. Auch er hatte Kontakte ins Ausland und verhalf Menschen zur Emigration. Er besuchte auch jüdische Gemeindemitglieder. Seiner Frau sagte er nicht, wohin er ging.

 

Lotte Eckert verbrachte seit Kriegsausbruch die Zeit in Weiperfelden mit Kindern im Vorschulalter. Auf dem Land war es ohne Lebensmittelkarten einfacher als in der Stadt. Es waren jüdische Kleinkinder, die von dort irgendwie ins Ausland verbracht wurden. Niemand kennt die Namen, da keine Aufzeichnungen  gemacht wurden. Die Kinder waren zu klein, um sich zu erinnern. Die Eltern überlebten das KZ nicht. Es waren über die Jahre 20 bis 50 Kinder. Lotte Eckert erhielt zu ihrem 80. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz.



1939 wurde Pfarrer Karl Veidt (bisher Paulskirche) auf die zweite Pfarrstelle in die Matthäuskirche strafversetzt. Er war bis 1933 Reichstagsabgeordneter und hatte mit seiner Partei versucht den NSDAP-Sieg zu verhindern. Seine Predigten in der Paulskirche hatten eine große Zuhörerschaft, was der NSDAP nicht behagte.

 

Am 20. Dezember 1943 zerstörte eine Sprengbombe vor allem die Kirchenfenster. Im März 1944 zerfiel die Matthäuskirche zur Ruine und am 12. September 1944 brannte der Kirchturm restlos aus. Das Pfarrhaus wurde nicht zerstört und im Sitzungssaal wurde Gottesdienst gehalten.

 

Nach Kriegsende kümmerte sich Pfarrer Lange um die zurückgebliebenen Gymnasiasten und unterrichtete sie im erhalten gebliebenen Pfarrhaus in der Hohenstaufenstraße. Als es wieder Schule gab, konnten diese Jungen mit ihren ehemaligen Schulkameraden mithalten, die evakuiert gewesen waren und andernorts eine Schule besucht hatten. Pfarrer Lange verstarb 1948. Er wurde im vom Schutt befreiten Gemeindesaal vor dem Altar, mit dem von ihm geretteten Altarbild, aufgebahrt.

 

Die frei gewordene Pfarrstelle übernahm Pfarrer Heinrich Seesemann. 1952 begann der offizielle Wiederaufbau der Matthäuskirche. Zuvor hatten bereits viele Gemeindemitglieder geholfen Schutt und Trümmer so gut es ging wegzuschaffen. Der Wiederaufbau der Kirche, des Küsterhauses, des Kindergartens waren große Aufgaben. Das Gemeindeleben wurde wieder aufgebaut, viele Heimatvertriebene waren gekommen; die Lettische Gemeinde feierte als 1. Gastgemeinde regelmäßige Gottesdienst in der Matthäuskirche.

 

Eine Pfarrstelle hatte Pfarrer Karl Zeiß bis 1977 inne. Er war offen für Neues. Er sang neue Lieder, fand neue Predigtorte und später wurde er Olympia-Pfarrer. Der Pfarrer von St. Antonius und Pfarrer Zeiß beteten gemeinsam in ihren Kirchen. Beide wurden von den Vorgesetzten abgemahnt. Ökumene war noch unerwünscht.

Zusammen mit seinem katholischen Kollegen erreichte er, dass für das Rotlichtviertel die Mainzer Landstraße die Grenze wurde. An der Ampel vor der Kirche wollte ihn wegen seines Engagement ein Schläger niederschlagen. Pfarrer Zeiß war schneller und schlug den Schläger nieder. Von da an war er im Rotlichtviertel sehr respektiert und angesehen.

 

1965 erklärte der Magistrat das südliche Westend zur City-Erweiterungszone. Nun begannen die Immobilienspekulationen. Alte Mieter wurde aus billigen Wohnungen vertrieben. Die Methoden waren ebenso unmenschlich wie kriminell.  Deswegen wurde die „Aktionsgemeinschaft Westend“ gegründet um Wohnraum zu erhalten. Frau Zeiß war Vorsitzende. Da für die Protestversammlungen niemand einen Saal zur Verfügung stellte, tagte man im Gemeindesaal der Matthäuskirche. Die Polizei fuhr mehr Streife, wenn wir zur Versammlung und später nach Hause gingen – zu unserer Sicherheit. Der Kampf war hart, Wohnraum wurde erhalten und die Hochhäuser wurden am Rand gebaut. Für die Spekulationsopfer wurde das Brentano-Haus gebaut: eine Wohnanlage für ältere Menschen aus den Gemeinden Katharinen, Matthäus und Bockenheim. Die Miete richtete sich nach Höhe des Einkommens, sodass es für Menschen einkommensunabhängig erschwinglich war.

 

Anfang 2002 wurde die Gemeinde vom Evangelischen Regionalverband (ERV) mit der Mitteilung überrumpelt, dass es beschlossen sei, das Matthäuskirchenareal zu verkaufen. Dieser Beschluss wurde wenig später von der Regionalversammlung bestätigt. Die Gemeinde sollte den Nachbargemeinden zugeführt werden. Unseren vehementen Protest begannen wir direkt im Anschluss mit einer Unterschriftensammlung. Da das Matthäusareal das wertvollste Kirchengrundstück Frankfurts war, entschied Pröpstin Helga Trösken: „Der Schuppen muss weg.“  Die Gemeinde sagte: „Unsere Kirche ist kein Schuppen. An dieser Stelle muss das Kreuz auf dem Turm sichtbar bleiben“. Es wurde die Initiative „Rettet die Matthäuskirche“ gegründet.  Bei der Unterschriftensammlung sagte einer der Immobilienmakler: „Ein Gotteshaus abreißen und umnutzen, dazu gebe ich mich nicht her. Darauf ruht kein Segen.“ Zum Ärger des ERV fand sich kein Käufer für das Areal.

Am 1.1.2003  wurde die Matthäusgemeinde Teil der Hoffnungsgemeinde und die Matthäuskirche die Kirche der neuen fusionierten Gemeinde und Hauptort der Gottesdienste. Die Kindertagesstätte zog aus den dem Kirchenraum angrenzenden Räumen aus und bekam in der Niedenau mit dem „Kinderhaus Matthäus“ ein neues Zuhause.

Am 12.9.2018 wurde schließlich der Beschluss gefasst einen Teil des Matthäusareals zu verkaufen und gleichzeitig eine neue Kirche – die Hoffnungskirche – zu bauen. Der Neubau steht auf kircheneigenem Boden. So wird die Hoffnungskirche an diesem historischen Standort ein Symbol für Frankfurt bleiben.

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