
Ein Vorschlag nach der letzten Pilgerfahrt 2022 brachte uns auf die Idee, dieses Jahr durch Großbritannien zu pilgern. Dazu mussten wir unser Konzept weiterentwickeln: ohne preiswerte Pilgerherbergen wie in Frankreich und ohne Auto für die Campingausrüstung wie in den Alpen. Stattdessen planten wir eine Bahnreise mit reduziertem Gepäck. Der nächste Schritt zum Pilgern war getan. Wir einigten uns auf radikalen Verzicht und übten uns in Genügsamkeit, um freier und offener zu sein.
Die zweite Konsequenz war: Wenn wir in Kirchengemeinden übernachten, müssen wir die Chance nutzen, mit den Christinnen und Christen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Damit ergab sich das Thema „Versöhnung“. Ein Ziel war daher Coventry, wo besonders Christinnen und Christen nach dem Zweiten Weltkrieg eine außergewöhnliche Versöhnungsarbeit geleistet haben.
Angesichts des schwierige Verhältnis von Europa, der EU und Großbritannien nach dem Brexit entschlossen wir uns die Fahrt in Brüssel zu beginnen, um den Versöhnungsgedanken der EU frisch mit auf die Pilgerfahrt zu nehmen und zu bekunden: „Liebe Engländer, liebe Waliser, ihr gehört zu uns, zu Europa, wir lassen euch nicht los.“
Und nicht zuletzt wollten wir angesichts des bitteren Slogans des letzten Winters „eat or heat“ mehr über die soziale Lage und die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts lernen, die versuchten das Schicksal der ärmsten Menschen zu wenden.
Wir schrieben 50 Gemeinden an, die sich beim Reisen sinnvoll verbinden ließen, von denen antworteten etwa 20 – mehrheitlich mit Absagen, aber doch sechs Zusagen, damit war alles in trockenen Tüchern. Wir kauften frühzeitig unsere Zugtickets nach Brüssel und London, damit die Fahrt für Jugendliche bezahlbar blieb. Für die Rückfahrt buchten wir einen Billigflieger, der dieser Bezeichnung leider alle Ehre machte.

Am 12. August ging es verspätet und umgebucht nach Brüssel. In der Emmaus-Gemeinde in einem schönen Außenstadtteil staunten wir über den herzlichen Empfang: Sabine Tiedje vom Presbyterium (Gemeindeleitung) und Pfarrbüro und Vikarin Lilly Schaack erfüllten uns alle Wünsche. Es war wie ein Wunder und sollte sich alle zwei Tage wiederholen. Wir als pilger-arme Bittsteller wurden von anderen Christenmenschen herzlichst empfangen. Man schenkte uns unermesslich viel Vertrauen: Wir bekamen einen Schlüssel, konnten jeder Zeit in die Kirche gehen, was uns interessierte, und jederzeit duschen, was die meisten noch mehr interessierte.
Am Morgen gestalteten wir zusammen mit Lilly Schaak den Gottesdienst. Sie war perfekt vorbereitet und führte uns sicher durch den Gottesdienst, sodass wir als Jugendliche und hektischer Pfarrer unsere Punkte setzten konnten. Schon eine Stunde vor dem Gottesdienst und noch fast zwei Stunden nach dem Gottesdienst waren wir im Gespräch mit den verschiedensten Menschen aus Brüssel.
Eine Teilnehmerin hatte vor drei Jahren zum Konfi-Camp einen Austauschschüler aus Frankreich mitgenommen, der seit zwei Jahren in Brüssel wohnt. Da auch viele andere Teilnehmer ihn kannten, war es ein Höhepunkt, dass er für uns eine Stadtführung veranstaltete. Brüssel ist mehr als eine Reise wert oder mit den begeisterten Worten eines Teilnehmers mit Blick auf einen bestimmten Ausschnitt des Lebens: „Das waren heute die besten Pommes meines Lebens!“ Schön war natürlich, dass alle merken konnten, wie gut es tut, Menschen in anderen Ländern kennen zu lernen und den Kontakt zu halten.
Wenn 13 Personen für drei Tage und Nächte in einem Gemeindehaus leben, kochen und schlafen, dann muss man früh planen, wie man das Haus hinterlassen will – möglichst so, dass die Gastgeber es nicht bereuen, uns aufgenommen zu haben. Die Jugendpilgerfahrt war daher für uns alle eine Einübung in den sorgfältigen Umgang mit Räumen und Möbeln und ein erster Lehrgang, wie man Dusche und Toilette putzt, Fußböden wischt und Mülleimer leert. Es ist uns fast gelungen, bis auf das Schließen aller Fenster.
Die Zugfahrt nach London war traumhaft. Für die knapp fünf Stunden Aufenthalt in der Stadt an der Themse hatte ich eine Stadtwanderung auf Komoot entworfen, die in Kleingruppen abgelaufen werden konnte: British Museum, China-Town, Trafalgar Square, Piccadilly Circus, Backingham Palace, Houses of Parliament, Big Ben, Themse mit Blick auf London Eye, Coven Garden – alles gesehen. Es war echt spaßig, dass sich die Kleingruppen unter all den Menschen, die sich durch das ferienhaft überfüllte London quetschten, immer wieder trafen.
Nach einer knapp einstündigen Wanderung mit unserem Gepäck quer durch Northampton erreichten wir die Katholische Gemeinde The Parish of St. Gregory the Great, wo man uns herzlich willkommen hieß. Das Gemeindegebäude war nicht so repräsentativ wie in Brüssel, aber sehr funktional.
Father Andrew leitete zwar nicht den Maria-Himmelfahrts-Gottesdienst am Abend, aber er vermittelte uns Sicherheit, arrangierte zusammen mit einer anderen Ehrenamtlichen alles für uns und war das herzliche und freundliche Gesicht der Gemeinde. Wir sangen ein evangelisches Marienlied und stellten uns vor. Anschließend kamen wir etwas mit der Gemeinde in Kontakt. Uns fiel vor allem die Weltoffenheit dieser Gemeinde auf, Katholiken von allen Kontinenten feierten zusammen die Messe. Allerdings wurden wir nicht zum Abendmahl mit eingeladen. Father Andrew entschuldige sich dafür mit den Worten: „Einst aber werden wir eins sein.“
Am nächsten Morgen kam er noch einmal zu uns und segnete uns mit warmen Worten und Gesten. Und weil wir nach Coventry aufbrachen, erzählte er uns, dass er als kleines Kind die Zerstörung durch die Deutschen Bomben miterlebt hatte. Wir hatten einen Zeitzeugen des deutschen Zerstörungskrieges getroffen, der mit uns als Nachfahren der Täter versöhnt war. Eine wichtige Lektion auf unserer Pilgerfahrt zum Thema Versöhnung hatten wir erfahren.

Vom Bahnhof ging‘s als erstes zur Kathedrale oder besser zu den zwei Kathedralen, der zerstörten und der neuen. Ein äußerst herzlicher Empfang am Kirchen-Shop von den Mitarbeiterinnen, die es sichtlich gut fanden, dass wir als deutsche Jugendpilgergruppe in diese Kathedrale kamen, die sich wahrlich nicht über zu wenig internationale Aufmerksamkeit beklagen kann.
Diese Herzlichkeit wurde von Mary Goodwin noch einmal übertroffen, einer Schottin, die uns in perfektem Deutsch zu allen staunenswerten Besonderheiten führte. Später gestand sie, dass sie sich zwei Wochen lang auf die Führung in Deutsch vorbereitet habe. Und ebenso groß wie ihre Vorbereitung, war ihre Begeisterung für das Versöhnungswerk, dass wir bestaunen konnten. Immer wieder strahlte sie uns an und sagte: Wie wunderbar! Obwohl es höchst traurig war, was sie uns zunächst erzählte:
Am 14. November 1940 flog die deutsche Luftwaffe unter dem Decknamen Mondscheinsonate (zynisch, dieses Kriegsverbrechen mit dem Titel eines wunderbaren Kulturgutes zu bezeichnen) die Angriffe auf das Zentrum von Coventry.
Manche der Piloten und Offiziere, die an diesem Kriegsverbrechen beteiligt waren, hatten übrigens ihre Ausbildung in Gatow abgeschlossen oder wohnten sogar dort, wie der Hauptmann Joachim-Friedrich Huth, der als Kommodore das Zerstörergeschwader „Horst Wessel“ befehligte. Sein Sohn vererbte 2019 das Wohnhaus der Familie an die Dorfkirchengemeinde Gatow in Spandau.
Bei dem Angriff wurde die mittelalterliche St. Michael‘s Cathedral zerstört. Am Morgen begutachtete der Propst der Kathedrale, Dick Howard, die Zerstörung und gebot allen, dass man sich das Gefühl von Zornes und Rache verbieten solle. Eine höchst erstaunliche Reaktion, die bis heute nachwirkt.

Aus der zerstörten Kathedrale übertrug die BBC schon einige Tage später einen Gottesdienst. Als der König die Ruine besuchen wollte, schrieb der königlichen Palast zur Entlastung der prekären Lage an die Stadt, dass der König eigene Sandwiches mitbringen werde.
Gleich am Morgen waren Dick Howard und seinen Begleitern zwei verkohlte Dachbalken aufgefallen: Sie bildeten die Form eines Kreuzes in der Ruine. Dieses und andere Zeichen, wie die aus mittelalterlichen Zimmermannsnägeln der Kathedrale zusammengefügten Nagelkreuze, wurden Zeichen der Mahnung, der Versöhnung und des Friedens.
Seit der Nachkriegszeit wird täglich das Friedengebet in Coventry gebetet. Zentrale Worte des Friedensgebetes sind die Worte: „Vater, vergib“ beziehungsweise „Father forgive“. Horward hatte diese Worte schon sehr bald an die Chorwand hinter dem Altar schreiben lassen.
Er zitierte damit Lukas 23,34, wo Jesus Gott für diejenigen bittet, die ihn ans Kreuz schlagen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Horward nahm bewusst nur die ersten zwei Worte und lenkte den Blick von den deutschen Tätern weg zu allen hin. Wir alle sollen täglich – angesichts von Kriegen, Not, Hunger, Ungerechtigkeit in der Welt – beten, Vater vergib. Wir sind Teil der Schuldgeschichte der Menschheit und können nicht neutral beiseite stehen. Das macht demütig, aber auch geschwisterlich zu allen Menschen und Nationen.
Die neue Kathedrale entstand in den 1960er Jahren neben der Ruine. Alles an und in der Kirche hat einen Bezug zur Versöhnungsbotschaft von Coventry. Von Mary, die uns die Geschichte von Coventry nahebrachte, waren alle Jugendlichen übrigens so angetan, dass sie sie gerne als Oma adoptieren würden.
Wieder wurde uns riesiges Vertrauen geschenkt: Wir waren die ersten Nutzer des neuen Gemeindezentrums der Stoke St. Michel’s Church. Die Gastgeber waren so freundlich und wir hatten viele kurze schöne herzliche Begegnungen. Besonders eindrücklich das traditionelle Glockenleuten, das wir sehen und hören konnten, und der bezaubernde Kirchhof.

Nach einer vierstündigen Zugfahrt sahen wir die Irische See und erreichten die walisische Universitätsstadt Aberystwyth. Die Kirchengemeinde empfing uns mit einer traditionellen Walisischen Suppe: Dass Kohlrüben, Kartoffeln und Möhren so gut schmecken können! Dazu gab es selbstgemachten Wales Cake und ein Waliser Früchtebrot, alles zum reinlegen. Am nächsten Tag erwanderten wir uns die geniale Küstenlandschaft.
Einige gingen auch im Meer baden, aber wie sollte man ohne Dusche das Salzwasser abwaschen? Einige folgten meiner Empfehlung und waren überrascht, dass man sich nach dem Übergießen mit nur einer Wasserflasche sauber fühlen kann.
Am Sonntag ging‘s zum Gottesdienst, wo uns einer der Kirchenältesten freundlich begrüßte, der zusammen mit seiner Ehefrau das herrliche Willkommens-Menü verantwortet hatte. Father Jeffrey leitete den Gottesdienst und da er fantastisch Deutsch konnte, wurde es ein Walisisch-Deutscher Gottesdienst. Er fügte unserem Versöhnungsthema eine Erinnerung zu:
Einer seiner besten Freunde, sei ein Deutscher gewesen, der als Kind dem Bombensturm auf Dresden gerade noch entkommen war. Sobald es ihm möglich gewesen war, wanderte er nach England aus. Ich fand es beeindruckend, wie das kurze Teilen dieser Erinnerung gleich den Perspektivwechsel markierte, der zur Versöhnung wichtig zu sein scheint.

Am Bahnhof erwartete uns schon Father Miles und geleitete uns zum Gemeindehaus, das sich neben dem Busbahnhof der Arbeiterstadt Port Talbot befand. Ein Graffiti, das sich die Kinder der Gemeinde gewünscht hatten, ist der Arbeiterbewegung gewidmet.
Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Küste von Swansea bis Cardiff zum weltweit größten Standort für die Stahlindustrie. Die Stahlwerkbesitzer-Familie Talbot, nach der der Ort benannt ist, galten als die reichsten Menschen der Welt. Doch die St. Mary’s Church hielt in Distanz zum Reichtum der Familie Talbot.
Grund für die Entstehung der Arbeiterbewegung in Großbritannien war eine Wirtschaftskrise Ende der 1820er Jahre. Besonders in Merthyr Tydfil, der Eisen- und Stahlhauptstadt, kochten die Proteste hoch. Als die niedrigen Löhne nicht mehr für Lebensmittel reichten, besetzten Arbeiter die Stadtverwaltung und formulierten ihre Forderungen. Doch der König schickte Soldaten und 24 Arbeiter wurden erschossen. Der nur 21 Jahre alte Richard Lewis wurde als Rädelsführer nach Cardiff gebracht und zum Tode verurteilt. Kein Friedhof wollte seinen Leichnam aufnehmen, allein die St. Marry’s-Church in Port Talbot hatte den Mut, ihn würdevoll zu bestatten.
Die Geschichte hat ihre Spuren in der Stadt hinterlassen und wirkt in die Gegenwart fort. Abends riecht es überall nach den Kohleöfen des Stahlwerks. Die Häuserzeilen sind ärmlich. Die wunderschöne Kirche mit dem romantischen Friedhof ist zur Hälfte eingefasst und abgedeckt durch eine schreckliche Hochstraße. Die Kirchengemeinde musste wegen eines Vorfalls eine Alarmanlage installieren. Alle ihre Fenster sind vergittert und auf einem kleinen Vordach der Kirche ist Stacheldraht ausgerollt.

Als Kontrast dazu erlebten wir das Innenleben des Gemeindesaales. Wir rollten unsere Schlafsäcke zwischen Spielinseln aus, denn am nächsten Morgen würde der Kindergarten im Gemeindehaus wieder die Türen öffnen. Da waren wir aber schon unterwegs, um auf der nahe gelegenen Halbinsel Gower zu wandern, größer können die Kontraste nicht sein.
Zum Abschied in Port Talbot waren wir zum Abendmahlgottesdienst eingeladen. Bei den Anglikanern durften wir daran teilnehmen, das tat gut. Father Miles begleitete uns noch zum Zug und äußerte seinen Wunsch, dass es eine Partnerschaft zwischen der anglikanischen Kirche von Wales und einer deutschen Landeskirche geben möge.
In Cardiff führte uns unser Pilgerweg vom Bahnhof quer durch die Stadt, durch einen weitläufigen Park, an einem Fluss entlang bis wir zu dem ehemals selbständigen Ort Llandaff kamen. „Warum sind in Wales die Kathedralen nicht auf Hügeln sondern in Tälern errichtet?“, fragte ich unsere Kirchenführerin. „Weil die Waliser sich und ihre Gebäude über Jahrhunderte lang vor den Engländern verstecken mussten“, war die Antwort. Wir wünschten uns bei der Führung durch diese wichtigste Kathedrale in Wales möglichst viel zur Keltischen Geschichte. So zitierte sie walisische Gedichtzeilen, Gebete und Bibeltexte und die Sprache klang herrlich – sehr kräftig W- und R-Laute. Auch diese Kirche wurde durch deutsche Luftangriffe stark zerstört und wiederaufgebaut.
Zu Gast waren wir in der Gemeinde St John’s Crescen in Canton, einem Stadtteil von Cardiff. Martin, mit dem ich viel im Vorfeld kommuniziert hatte, hatte leider Corona, aber sein Ehemann sprang für ihn in die Bresche. Zusammen mit Father Frances begrüßter er uns in der Kirche, die zur Hälfte sakraler Raum war, zur anderen Gemeindehaus. Auf dem Herd standen schon die beiden Suppen für uns bereit: Gastfreundschaft wird in Wales großgeschrieben. Für einen Kinoabend brachte er Beamer und Laptop mit.
Am nächsten Tage erwanderten wir uns Cardiff, die Hauptstadt von Wales, besonders den riesigen Hafen und die felsige Küstenlandschaft. Abends lud die Gemeinde zu einem extra Gottesdienst, den wir Pilger gestalteten. Wir brachten unseren Gastgebern zwei deutsche Lieder bei. Fast alle Teilnehmenden unserer Pilgerfahrt berichteten jeweils über einen Tag oder eine Erfahrung, die wir als Pilger zum Thema Versöhnung in Großbritannien gemacht haben.
Dann gab es Lasagne, Curry, Chili und mehr. Zusammen mit zwei anglikanischen Geistlichen, einem orthodoxen Priester, der Kirchengemeinde und zwei Hunden verbrachten wir wunderbare Stunden.
Da konnte man dann auch zum Brexit nachfragen, den die Anwesenden als die größte Katastrophe der letzten Jahrzehnte für ganz Großbritannien hielten. Man sei erst am Anfang der Teuerung, es werde gerade alles immer schlimmer. Versöhnung ist hier nicht. Ich greife vor, auf den nächsten Tag in London, wo das einfache Ticket für den Bus über 6 Pfund kostet, etwa 7 Euro. Das können sich einfache Menschen nicht mehr leisten. Mit der Kreditkarte wurden allerdings nur gut 4 Euro abgebucht. London, die Stadt der zwei Klassen: Menschen mit großen Autos oder Kreditkarte und die anderen, die gerade aus der Sichtbarkeit verschwinden.

Am nächsten Nachmittag erfuhren wir auf dem Weg zum Flughafen, dass unser Flug annulliert worden sei. Vor Ort wurden wir trickreich auf den nächsten Tag umgebucht und erhielten eine Hotelübernachtung. Sorgenfreie 24 Stunden begannen: Wir reisten ins Hotel, genossen das Abendbuffet, duschten und genossen die breiten, weichen Betten und freuten uns aufs englische Frühstück.
Am Morgen hätten wir fast einen halben Tag für London oder Brighton. Es hätte ein schöner Abschluss der Fahrt werden können. Wir hatten uns 12 Tage lang eingeschränkt und auf Vieles verzichtet und bekamen nun unverhofft ein großes Stück Überfluss geschenkt. Wie in der Bibel beschrieben: Wer verzichtet, wird bekommen. Wer loslässt, bekommt geschenkt. (nach Lukas 6,38)
In unsere Pilgerpässe wollten wir keinen Stempel vom Hotel. Was sollen denn künftige Gemeinden denken, wenn wir wieder auf Pilgerfahrt sind und sie einen Stempel des Hilton-Hotels in London-Gatwick sehen.

Abends saßen wir im Flugzeug, doch es rollte nicht an. Probleme führten zu Verzögerungen und schließlich zur Annullierung. Wie die Weltmeister tippten R. und J., um über das Umbuchungsportal einen annehmbaren Flug zu finden. Doch es wurde uns nur der Ladenhüter-Flug vom Montag angeboten.
Nach vielen Versuchen und Rücksprache mit den Eltern buchten wir teure Sonntagsflüge. Die Hotels waren nun ausgebucht und kein Easyjet-Mitarbeiter konnte uns helfen. Ein Anruf bei unserem Spandauer Superintendenten Florian Kunz brachte die Rettung. Er rief seinen Freund Pfarrer Alastair an und besorgte uns ein Nachtquartier! Kurz vor 1 Uhr nachts kamen wir in seinem Londoner Pfarrhaus an.
In all dem Stress war das eine Erfahrung, wertvoller als ein großer Klumpen Gold. Wenn eine christliche Jugendgruppe irgendwo strandet und keine Bleibe hat, dann helfen andere Christinnen und Christen und öffnen ihr Haus.
Die stressigen Tage zum Schluss überdecken teilweise die vielen großartigen Erfahrungen, die wir machen konnten. Aber obenauf liegt die Erfahrung, dass wir Alastair und seine Frau kennen lernen durften, dass wir – 13 Personen! – in seinem Haus für zwei Nächte übernachten konnten, das Lächeln der beiden, das uns tief im Herzen spüren ließ, wie sich erfahrene Nächstenliebe anfühlt.
Und wenn wir die Fotos anschauen, denken wir an die großartigen Landschaften, Kirchen und Gemeindehäuser, hören die Stimmen unserer Gastgeber:innen, erinnern uns an alles, was wir erfahren haben, spüren das geschenkte Vertrauen und fühlen Dankbarkeit und Einheit: Wir sind eins in Christus. Das haben wir täglich erlebt auf unserer Jugendpilgerfahrt zum Thema Versöhnung.
Mathias Kaiser, Pfarrer Berlin-Gatow und Kreisjugendpfarrer von Spandau
Gekürzte und redigierte Fassung. Der originale Text sowie weitere Fotos finden Sie unter: mathiaskaiser.wordpress.com