
Das jüngste Gericht – so überschrieb kürzlich die Süddeutsche Zeitung einen Artikel in dem sie fragte, warum das Essen an deutschen Schulen so fürchterlich ist. (Ich bin sicher die Evangelische Schule Spandau bildet hier eine rühmliche Ausnahme.)
Das jüngste Gericht – hieß auch eine Kinderkochshow, die im österreichischen Fernsehen lief. Am Schluss erhielten die Nachwuchsköche von einer Jury die Bewertung für ihre kulinarischen Kreationen. Dem Gewinner oder der Gewinnerin winkte die Koch-Krone.
Das jüngste Gericht aus dem Rezeptbuch des Matthäus liegt allerdings selbst biblischen Feinschmeckern schwer im Magen. Das muss man erstmal verdauen diese Fülle an Bildern: Schafe und Böcke, Engel und der Menschensohn, sitzend als König auf dem Thron, aber auch inkognito begegnend - hungrig oder durstig, nackt, als Fremder, Kranker oder im Gefängnis. Die sich ihm, dem Unerkannten, liebevoll zugewandt haben gehen zur Herrlichkeit ein, die von dem Leidenden nichts wissen wollten, die kennt auch der König nicht.
Seligkeit und ewiges Leben hier, Feuer und ewige Strafe dort. Rechts und links, Gesegnete und Verfluchte, Gut und Böse, Schafe und Böcke - die einen traben auf die himmlische Weide, die anderen haben es ultimativ verbockt. Es ist eine sehr dualistische Logik, die Matthäus uns da auftischt und scharf gewürzt ist die Pointe:
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Und was ihr ihnen nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.
Er stößt mir auf dieser Satz. Wie oft schon in meinem Leben habe ich wohl Christus versäumt, ihn nicht erkannt? Der Obdachlose mit seinem Einkaufswagen voll Müll und mit drei schmutzigen Schlafsäcken unter der S-Bahnbrücke, die Rentnerin mit ihrem Hackenporsche vor der Ausgabestelle von Laib und Seele, die geflüchtete Mutter in der Kleiderkammer, der junge Mann in der Psychiatrie. Kann es nicht sein, dass all‘ diese, einzeln oder zusammen, der Menschensohn sind?
Diese Frage kann ich nicht so einfach abschütteln, der scharfe Geschmack aus der Gerichteküche des Matthäus bleibt an Gaumen und Gewissen haften. Dabei könnte es doch so einfach sein – mit geschärftem Gewissen hinaus in die Welt und einfach mal machen – ganz ohne Ausreden und Ausflüchte, dass die Bedauernswerten doch bestimmt ein klein wenig selbst schuld an ihrem Schicksal wären, ohne Hinweis, dass doch hier Vater Staat oder die Diakonie zuständig seien.
Einfach mal machen: Hungrigen geben, Durstigen auch, Frierende kleiden, Fremde willkommen heißen, Kranke besuchen, es bei Gefangenen aushalten: Die sieben Werke der Barmherzigkeit hat man sie später genannt. Bevor Sie jetzt nachzählen … bei Matthäus sind es sechs, später wurde noch die Bestattung der Toten als siebtes Werk hinzugefügt.

Caravaggio hat sie gemalt. Der frühbarocke italienische Maler, der meisterhaft Licht und Schatten auf die Leinwand zaubern konnte und dem gerade auf der Kinoleinwand ein filmisches Denkmal gesetzt wird. Im September 1606 hatte Caravaggio die sieben Werke der Barmherzigkeit als Altarbild für einen Orden in Neapel vollendet. Hierher war er kurz vorher aus Rom geflohen, nachdem er im Streit einen Mann erschlagen hatte. Sind die sieben Werke der Versuch Buße zu tun? Liebestaten nach der Todestat – zumindest mit dem Pinsel?
Das Bild jedenfalls zeigt eine dunkle Gasse, in der einzelne Menschen und Szenen angeleuchtet werden. Da tragen zwei einen Leichnam aus einem Haus, da wird ein Bärtiger durch die Gitterstäbe seines Gefängnisses von einer Frau mit Nahrung versorgt, da trinkt ein Durstiger aus einem Tierhorn Wasser. Seine Modelle fand Caravaggio unter den einfachsten Bewohnern der Stadt. Schockierend fand so mancher Kirchenfürst dass Prostituierte ihm für Heilige, ja sogar für die Jungfrau Maria Modell standen. Jener, der in den geringsten Schwestern und Brüdern zu erscheint, wird es vermutlich mit einem Lächeln quittiert haben.
Sieben Werke der Barmherzigkeit in sieben Spotlights. In einer dunklen Welt strahlt Gnade auf, wird das Göttliche sichtbar. Oder ist das Wechselspiel von Licht und Schatten, das kein anderer so wie Caravaggio beherrscht auch nur wieder Schwarz-weiß-Malerei? Ein wenig zu plakativ? Im Zentrum des Bildes jedenfalls sieht man einen jungen elegant gekleideten Mann mit Federhut, der einen Teil seines roten Umhangs über einen am Boden kauernden nackten Mann breitet. Wer ist wohl der Typ mit dem Federhut?
Vor einer Woche noch haben Laternen-tragende Kinder ihm zu Ehren „Rabimmel Rabammel Rabumm“ geschmettert. Sankt Martin, na klar. Das Urbild fürs Teilen – der uns zeigt, dass wir Menschen weitergeben sollen von unserer Wärme, - der Wärme eines Mantels, der Wärme menschlicher Nähe und der Wärme des Glaubens. Versteht jedes Kind. Eine Version der Legende erzählt, dass der römische Offizier in Folge seiner Mantelteilung drei Tage in den Karzer musste wegen mutwilliger Sachbeschädigung von Militärmaterial. Und in seiner Zelle erscheint ihm im Traum Christus, eingehüllt in die Hälfte des Mantels, den Martin dem frierenden Bettler gegeben hatte. Und er hört die Worte: „Ich bin nackt gewesen und du hast mich gekleidet. Was du getan hast einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das hast du mir getan.“
Doch noch ein anderer Martin gibt seinen Mantel her, hängt vielmehr die Klosterkutte an den Nagel: Martin Luther. Dem Reformator ist das Tun von barmherzigen Werken in der Hoffnung auf himmlischen Lohn oder aus Angst vor Höllenstrafen höchst suspekt. Diese „Möncherei“ hat er hinter sich gelassen. Er entdeckt im Evangelium ein Entängstigungsprogramm. In seinem Sermon von den guten Werken macht Luther deutlich, dass er nur ein gutes Werk kennt – den Glauben nämlich. Aus der Beziehung zu Gott entsteht barmherziges Verhalten, nicht das barmherzige Verhalten definiert die Beziehung zu Gott. Wer Gutes tut, um belohnt oder zumindest nicht bestraft zu werden, der ist für den Reformator auf dem Holzweg. Das freilich tut die erste Gruppe im Gleichnis auch nicht. Ganz absichtslos haben sie sich den Armen und Bedürftigen zugewendet, sie wussten nicht, dass es ihnen hoch angerechnet wird, sie hatten ja keinen Schimmer wen sie da vor sich haben.
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Vielleicht ist die gut gepfefferte Pointe ja auch eine Geschmackserfahrung, die unsere Gesellschaft dringend braucht? Eine Würze ohne die etwas Entscheidendes fehlen würde? So sieht es jedenfalls der Journalist Jan Ross in seinem Buch „Die Verteidigung des Menschen – Warum Gott gebraucht wird“, das vor gut 10 Jahren erschien. Für Ross ist der Clou des Christentums dass Gott nicht auf der Seite der Starken, Einflussreichen und Fitten zu finden ist, sondern sich in den Abgehängten, Leidenden und Underdogs offenbart. „Das Prinzip des Kreuzes“ nennt er das und schreibt: „Der schmutzige Obdachlose in der Fußgängerzone ist kein Gegenstand lobenswerter, aber im Grunde willkürlicher, herablassender Wohltätigkeit. Sondern er ist mein Bruder und in ihm erscheint mein Richter und Herr.“ „Dieses Prinzip des Kreuzes“ sagt Jan Ross, „steht für ein Bild vom Menschen, das kostbar und bedroht ist“.
Wie bedroht - das wird schon daran deutlich wie sich in letzter Zeit demokratische Spitzenpolitiker mit einer Rhetorik der Härte gegenüber Migranten und Geflüchteten zu überbieten versuchen. „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen.“ sagt der Menschensohn im Gleichnis. Auch wenn wahr ist, dass man mit dem Evangelium keine Politik machen kann, ich glaube unsere Gesellschaft braucht den Stachel solcher Worte, damit sie menschlich bleibt. Und jeder von uns braucht sie um menschlich zu bleiben, zu werden.
Die Rede vom Gericht hat den Sinn in die Liebe zu führen, denn hier im Anderen, da begegnet Gott. Deshalb ist diese Rede ernst und ehrlich, nicht weich und zuckrig. Gut so. Und doch … ein unguter Nachgeschmack nach der Apokalypse alla Matteo bleibt. Warum Fluch, Feuer und ewige Strafe? Warum nicht Scham, Vergebung und Umkehr?
Der Jesus, den ich kenne geht doch jedem verlorenen Schaf und Böcklein nach. Und wird nicht erzählt, er hätte an Ostern die Hölle leer geliebt, jede Kerkertür der Finsternis aufgerissen ?
„Das jüngste Gericht?“ fragt Elisabeth Grabner. Die Köchin betreibt mit ihrem Sohn Clemens das mit zwei Kochmützen ausgezeichnete Restaurant „Waldschänke“ in Grieskirchen. Also ich bin keine Theologin, aber wenn das „jüngste Gericht“ eine gastronomische Kategorie wäre, würde ich sagen: Palatschinken. Palatschinken? Ja, die gehören nämlich zu den Speisen, die nur kurze Zeit richtig gut schmecken. "Die müssen immer ganz jung, also frisch aus der Pfanne verspeist werden. Wer Palatschinken stapelt, einkühlt oder aufwärmt den trifft mein vernichtender Blick", sagt die Küchenchefin und lacht.
Schmeckt nur kurze Zeit gut – beim jüngsten Gericht des Matthäus ist es umgekehrt. Schmeckt erstmal gar nicht. Ist keine leichte Kost, hartes Brot sogar, da hat man lange dran zu kauen. Aber wer weiß? Manche Bibelworte muss man eben eine kleine Ewigkeit verkosten und irgendwann werden sie einem dann süß.
Amen.
Florian Kunu, Superintendent Kirchenkreis Spandau
Predigttext Matthäus 25,31-46