von Ilona Orthwein
Das mythische Babel, wie es uns im 1. Buch Mose (Gen 11,1–9 EU) begegnet, kann uns als Sinnbild menschlichen Übermuts und dem Verlust der Kommunikationsfähigkeit dienen. Wie praktizierte christliche Nächstenliebe Sprachschwierigkeiten und kulturellen Unterschiede klein werden lässt, zeigt der Flüchtlingshilfekreis „Jenseits von Babel“ in unserer Gemeinde.
Als die Not am größten war und viele Flüchtlinge vor dem hereinbrechenden Winter dringend ein Obdach brauchten, richtete die Gemeinde kurz entschlossen Übernachtungsmöglichkeiten ein. Das war der Auftakt zu einer inzwischen sehr konstruktiven Flüchtlingsarbeit.
Die Notunterkünfte werden seit einigen Monaten nicht mehr gebraucht. In unmittelbarer Nachbarschaft ist auf dem Gelände des ehemaligen Zentralflughafens Tempelhof ein riesiges Erstaufnahmelager für 2.000 Menschen entstanden. Die Geflüchteten werden dort mit dem Lebensnotwendigen versorgt, es gibt auch verschiedene Lern- und Betreuungsangebote. Viele der Neuankömmlinge – auch Familien mit kleinen Kindern - müssen allerdings monatelang dort ausharren, u. a. weil passender bezahlbarer Wohnraum in Berlin sehr knapp ist.
Die Flüchtlingshilfe der Paulus-Gemeinde arbeitet von Anfang an eng mit den Sozialhelfern Erstaufnahmelager zusammen. So entstanden in der Gemeinde drei neue Projekte: Deutschkurse für geflüchtete Frauen mit Kindern, Kochen mit Flüchtlingen und Gruppenpatenschaften für Flüchtlinge.
Immer geht es um Integration auf Augenhöhe. Die Deutschkurse für Frauen am Dienstag- und Donnerstagvormittag sind, ebenso wie das gemeinschaftliche Kochen im Gemeindehaus am Mittwochnachmittag und die Patengruppen am Samstag sehr nachgefragt. Alles wird von ehrenamtlichen Helfern organisiert -Kinderbetreuung inbegriffen.
Die Teilnehmerinnen der Deutschkurse kommen inzwischen ausschließlich aus Afghanistan, einem Land, in dem seit über 30 Jahren Bürgerkrieg herrscht und Frauenrechte keinen hohen Stellenwert haben. Die Afghaninnen haben, wenn überhaupt, kaum mehr als acht Jahre eine Schule besucht. Eine Chance auf einen Platz in einem offiziellen Integrationskurs haben die wenigsten, weil sie Säuglinge und Klein(st)kinder zu betreuen haben. Die ehrenamtlichen Deutschlehrerinnen leisten eine unschätzbar wertvolle Arbeit. Praxisnahes Deutsch in Wort und Schrift wird hier vermittelt. Bei einigen der Frauen bedeutet das zunächst einmal überhaupt Lesen und Schreiben zu können. Die Afghaninnen begreifen dies als große Chance und kommen eifrig zum Unterricht in die Gemeinde, selbst wenn sie die Erstaufnahmeeinrichtung im Flughafen verlassen haben und anderswo in Berlin untergekommen sind.
Das gemeinsame Kochen am Mittwoch ist für die geflüchteten Frauen ein Höhepunkt der Woche. Vier Kochgruppen gibt es inzwischen, die sich wochenweise abwechseln. Die Teilnehmerinnen kommen alle aus dem Deutschkurs und üben hier Alltagstaugliches z. B. beim Erstellen von Einkaufslisten und der Wiedergabe von Rezepten an die deutschen Kochpartner.
In den Flüchtlingsunterkünften besteht in der Regel keine Gelegenheit zum Kochen. Das Essen wird fertig angeliefert. Es fehlt den Flüchtlingsfamilien vor allem an frischem Gemüse und Salaten sowie an den Gewürzen, die sie aus ihrer Heimat gewohnt sind. Im türkischen Supermarkt am Kaiserkorso finden sie alles. Der Einkauf wird über die Gemeinde und Einzelspender finanziert. Für etwa 45 Euro lässt sich eine üppige Tafel mit vielen gesunden und herzhaften Speisen, Vor-und Nachspeise für zirka 20 Personen herrichten.
Während in der kleinen Küche geschnippelt, geraspelt und gebrutzelt wird, spielen die Kinder mit den ehrenamtlichen Betreuern, die gerne eigene Kinder oder Enkel zum Kochevent mitbringen. Die Kinder haben miteinander kaum Verständigungsprobleme, so bahnen sich erste Freundschaften an. Die jungen Neuankömmlinge lernen überdies sehr viel schneller Deutsch als die Erwachsenen.
Das dritte große Projekt des Kreises „Jenseits von Babel“ sind Gruppenpatenschaften für jene Flüchtlinge, die bereits in einen Deutsch- bzw. Integrationskurs aufgenommen worden sind. Die Teilnehmer sind im Schnitt 25 Jahre jung, haben in ihrer Heimat entweder studiert oder in einem Handwerk, z. B. als Elektriker, Friseur oder Koch gearbeitet. Sie kommen aus Syrien, dem Irak oder Palästina. Die Paten sind Deutsche mit viel Lebens- und Berufserfahrung. Die Organisation als Gruppenpatenschaft verhindert eine persönliche Überforderung, wie sie bei Einzelpatenschaften zuweilen anzutreffen ist.
Die wöchentlichen Treffen helfen bei der praktischen Einübung in die deutsche Sprache und Lebensart. Es werden selbstverständlich auch Probleme der Flüchtlinge besprochen und nach Möglichkeit praktische Hilfe geleistet. Aber auch gemeinsame Aktivitäten stehen auf dem Programm. Es werden Ausflüge und Spaziergänge in die Umgebung unternommen oder Museen besucht. Auch gemeinsame Arbeiten im Gemeindegarten und ein Grillnachmittag standen schon auf der Agenda, und am 6. Mai wurde das zusammen Konzert am Planscher besucht und am 7. Mai die Orgelvesper in der Rundkirche.
Die Paulus-Gemeinde hat es innerhalb weniger Monate geschafft, einen sehr praktischen Beitrag zur Flüchtlingshilfe zu leisten. Man zeigt, wie sich sprachliche und kulturelle Hürden zwischen Einheimischen und Geflüchteten sich mit gutem Willen leicht überwinden lassen. Und nicht zuletzt: Durch die engagierte Flüchtlingsarbeit haben auch einige Kirchenferne ihren Weg in die Paulus-Gemeinde (neu) gefunden.
Wer die Flüchtlingshilfe durch eigene Mitwirkung oder finanziell unterstützen möchte kann dies gerne tun. Ansprechpartner: Norbert Giesen (Tel: 0172 - 32 49 969 / Spendenkonto: Evangl. Paulus-Kirchengemeinde, IBAN: DE44 1001 0010 0051 1401 00 (Verwendungszweck: Flüchtlingshilfe. Wenn Sie gerne eine Spendenquittung erhalten wollen, vermerken Sie dieses in geeigneter Form.