Das Wort zum Heiligen Abend,
von Propst Dr. Andreas Crystall
Zugegeben, ich habe größtes Verständnis für alle, die sich nach ganz normalen Weihnachten sehnen. So wie `alle Jahre früher`. Zu gern nur würde ich mich selbst in meine private weihnachtliche Idylle flüchten, ungestört von den Schreckensmeldungen dieser Welt. Die warme gute Stube - mein Zufluchtsort! Tannenbaumduft betört mich. Das Lametta darf mich ruhig milde blenden und die Kerzen mir tief in die Seele scheinen. Am liebsten versenke ich mich inmitten der Dunkelheiten unserer Zeit in alte selige Erinnerungen an längst geleerte Bunte Teller, an Omas Braten, an feierliche Bescherungen und wirklich Heilige Abende.
Wenn´s Ihnen ähnlich geht, dann dürfen Sie und ich allerdings dieser Tage keine Nachrichten gucken und auch die Zeitung nicht aufschlagen. Die Weltseele ist wund gescheuert, die Gemüter sind gereizt, irgendwie werden die Menschen hartherziger und radikaler und verlieren das Maß. Die Kulturen finden keine Verständigung, Flüchtlingsströme ebben nicht ab, die Ukraine geht in einen zweiten Kriegswinter. Und wer nach Israel und Palästina schaut, mag schon kaum noch die Weihnachtsgeschichte lesen: Die Worte vom Stern und vom himmlischen Leuchten werden überlagert von Raketen über den Hirtenfeldern von Bethlehem und Abfangsystemen, die am Himmel flackern. Die Engelbotschaft vom „Frieden auf Erden“ klingt wie ein utopischer Wunsch im Terror.
Ach, die Weihnachtsgeschichte… dieses schutzlose Kind in einer ärmlichen Unterkunft, hineingeboren in eine Welt voller Gewalt, empfangen von einer zwielichtigen Schar Hirten, drei seltsamen Fremden, Ochs und Esel, war schon damals ein Gegenentwurf zu den Wirklichkeiten dieser Welt: Diesem zerbrechlichen Leben gehört die ganze Zuwendung des Himmels. Und bis heute lässt sich zumindest in der Weihnachtszeit der ganze Erdenkreis tatsächlich wundersam prägen von diesem Kind in der Krippe. Es bekommt mehr Aufmerksamkeit als Mächtige und Herrscher und Waffen und Gewalt. Die Welt wird zum Stall. Wir richten uns jetzt aus nach diesem Kind, lassen uns von ihm unsere Bräuche und Stimmungen und Lieder und Sehnsüchte und unser ganzes Leben bestimmen. Mit großem Aufwand, wir feiern letztlich auch mit Christbaum, Lametta, Geschenken und Lichtern dieses verwundbare Kind und geben unbemerkt eigener Verwundbarkeit Raum in unseren Herbergen, halten Sehnsüchte und Wünsche nach Frieden und Heil wach. Weihnachten wirkt. Das „Fürchtet Euch nicht!“ ist aktueller denn je und gehört dringend in unsere Welt. Und vielleicht sind wir mit unseren weihnachtlich wundgescheuerten Seelen viel mehr Menschen nach Gottes Wohlgefallen, als wir selbst zu glauben wagen.
Ich wünsche Ihnen gesegnete, friedliche Weihnachten,
Ihr Propst Dr. Andreas Crystall