
Was sagt uns dieses Gleichnis aus dem Evangelium des Markus? Was können wir daraus ableiten?
Dieses Gleichnis findet sich nicht nur bei Markus, wir lesen davon auch bei Lukas und Matthäus. Aber beginnen wir zuerst mit der Begriffsbestimmung. Heute füllt man Wein in Fässer oder Tanks und auch in der Antike war es üblich, Wein in Amphoren oder Fässern zu lagern. Daneben gab es aber auch die Schläuche, die meist elastische Gebilde aus Tierhaut waren, in denen man den Wein transportierte, handelte und abzapfte. Nach einer gewissen Zeit aber wurden die Schläuche brüchig, zerrissen oder platzten. Deshalb sollte man neuen Wein nicht in alte Schläuche gießen, denn der neue Wein war noch nicht vollständig vergoren und die Gase der Vergärung setzten die Schläuche unter Druck.
Jesus will uns mit diesem Gleichnis aber nicht am Weinhandel beteiligen, ihm geht es darum, uns zu erklären, warum man jungen Wein in neue Schläuche füllen soll. Die Idee ist klar, junger Wein muss sich entwickeln und die dabei entstehende Gärung würde unter Umständen alte Schläuche zu sehr ausdehnen und sie zum Platzen bringen. Damit wäre der Wein verloren. Das Bild der Schläuche war damals in allen Bevölkerungsschichten bekannt. Wein in Lederschläuchen war üblich. Mit der Zeit trockneten die Schläuche aber aus und wurden unbrauchbar. Jesus will uns das erklären. Ich denke, die Schläuche stehen für uns Menschen. Alte Schläuche sind vergänglich, sie erfüllen ihren Zweck nicht zu jeder Zeit, sie werden brüchig und rissig. Wie Schläuche sind auch wir einem Alterungsprozess unterworfen. Wir sammeln an und verharren in alten und eingefahrenen Positionen. Das beschreibt die Schwachheit und Unvollkommenheit des Menschen. Das ist der sündhafte und unvollkommene Zustand des Menschen. Gott wählt menschliche, unvollkommene Wesen aus, um seine Lehren zu verbreiten. Menschen sollen seine Wahrheit verkünden.
Aber zurück zum Ausgangspunkt der Geschichte. Jesus wird gefragt, warum seine Jünger nicht wie die Pharisäer oder die Anhänger von Johannes dem Täufer fasten. Als Antwort kommt dann, dass auch die Hochzeitsgäste nicht fasten könnten, solange der Bräutigam bei ihnen ist. Wenn aber Tage kommen, wo der Bräutigam nicht da sein wird, dann würden auch die Gäste fasten. Mit dem Bräutigam ist Jesus gemeint und warum sollen die Jünger fasten, wenn Jesus bei ihnen ist? Wenn Jesus nicht mehr bei ihnen ist, dann werden sie fasten. Gleich daran schließt sich ein weiteres Gleichnis, das vom Inhalt her dieselbe Aussage hat, nämlich, dass man auch von einem neuen Kleid keinen Flicken abtrennt, um ein altes Kleid damit zu reparieren, denn das würde auch das neue Kleid entwerten. Der Lappen vom neuen Kleid würde nicht zum alten Kleid passen. Dann folgt das Gleichnis, das wir hier behandeln: „Junger Wein gehört in neue Schläuche!“ Der junge Wein würde die alten Schläuche zerstören, die Nähte würden reißen und alles wäre verloren. Diese Gleichnisse sind nicht auf den ersten Blick zu verstehen.
Mit den alten Schläuchen sind hier die Pharisäer und die Anhänger von Johannes dem Täufer gemeint, das Judentum allgemein, während mit den neuen Schläuchen das Neue gemeint ist, nämlich Jesus mit seinen Jüngern. Der alte Bund wird dem neuen Bund gegenübergestellt. Alter Wein kann die menschlichen Gedanken bedeuten, die Bräuche, die sich eingenistet haben. Der neue Schlauch ist der Mensch, der an Jesus Christus glaubt und dadurch von ihm erneuert wird.
Wein hat in der Bibel aber auch eine mehrfache Bedeutung. Brot und Wein sind das Mahl des Herrn und Jesus vergleicht den Wein mit seinem Blut, das vergossen wird für die Menschen. Wie wir das aus dem Abendmahl kennen: „Nehmt und esst, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ „Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl, dankte und gab ihnen den und sprach: Nehmt hin und trinket alle daraus, dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird, zur Vergebung der Sünden. Solches tut, so oft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis.“ Der Wein hat eine symbolische Bedeutung in der Kirche. Er steht für Freude, Gemeinschaft und das Reich Gottes. Wein gilt als Bindeglied zwischen den Menschen und dem Göttlichen. Jesus feiert das Abendmahl mit seinen Jüngern im Bewusstsein seines nahen Todes. Brot und Wein gemeinsam werden zum Versprechen der Auferstehung. Der Wein symbolisiert das Versprechen des ewigen Lebens und die Freude über die Erlösung. Das Blut von Jesus Christus und die Vergebung der Sünden durch Jesus rechtfertigen den Menschen vor Gott.
Gehen wir wieder zurück, zum neuen Wein in neuen Schläuchen. Das Wort Wein kann aber auch für die Lehre genommen werden. Jesus nennt den Wein eine neue Lehre. Mit ihm wird alles anders. Die Lehren der Pharisäer, der sogenannten alten Ordnung, gelten nicht mehr, in dem Moment wo Jesus auftritt. Er bringt das Neue, das andere Denken. Die Predigt Christi wird als neue Lehre gesehen.
Neuer Wein gehört nicht in alte Schläuche, weil damit beides zerstört würde. Das Neue ist die Kraft der Gnade, das Evangelium von der Herrlichkeit Gottes. Das darf nicht mit dem Gesetz oder mit alttestamentlichen Geboten vermischt werden, denn das würde alles zerstören.
Die Beziehung zu Jesus ist immer neu, weil sie etwas Lebendiges ist. Sie drückt sich aus in einer bestimmten religiösen Praxis. Rituale sind wichtig im Leben, aber man darf sie nicht mit dem Glauben verwechseln. Es geht nicht nur darum, die Unterschiede in der äußeren Gestalt zu sehen, sondern es geht um das lebendige Prinzip, das Jesus verbreitet. Die Enge des Judentums muss sprichwörtlich platzen, wenn sich die Kraft des wahren Christentums ausbreitet.
(Gertrud Time)