
Mehr Obst und Gemüse essen und weniger Fleisch, mit dem Rauchen aufhören und das Fahrrad zur Arbeit nehmen – bei jedem Wetter. Endlich den Berlin-Marathon laufen, italienisch lernen und Salsa tanzen. Selber Brot backen und das Wohnzimmer streichen. Mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen und weniger auf dem Smartphone rumdaddeln. Und geduldiger werden, geduldiger …
Gute Vorsätze sind das, liebe Gemeinde, beliebt zu jedem Jahreswechsel, landen auf To-Do-Listen, bereit zum Abhaken. Vielleicht haben Sie ja auch so eine Liste gemacht? Die Jahreslosung aus dem 1. Korintherbrief jedenfalls fügt allen Neujahrvorsätzen noch einen Benutzer-Hinweis hinzu: „Alles was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! Oder in der Kurzform: Alles Liebe! Steht oft am Ende von Emails, SMS und Briefen. So auch hier im Schreiben des Paulus an die Korinther. Alles Liebe! Nach komplizierter Theologie, der Frage nach der Bedeutung des Kreuzes und des Abendmahls, des Ringens um die richtige Form der Gemeindeleitung biegt der Apostel in die Schlusskurve ein. „Gruß und Kuss, euer Paulus. Alles Liebe!“ Aber wer denkt das wäre nur eine Floskel, täuscht sich. Denn es kracht gewaltig in der Gemeinde in Korinth, das kann in einer Gemeinde schon mal vorkommen. Und auch zwischen Paulus und den Korinthern ist dicke Luft.
Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! Es braucht Liebe in allem Tun und Lassen, meint Paulus. Aus Gott strömt eine Kraft, die das Miteinander transformieren kann. „Agape“ ist das Wort für Liebe, das Paulus hier benutzt. Im Gegensatz zu „Eros“ ist „Agape“ keine natürliche Anziehung, sondern die Entscheidung zur Zuwendung. Nur zugewandt kann man auf gute Weise streiten, um den richtigen Weg ringen. Wenn klar ist: Mein Gegenüber, auch wenn er mir tierisch auf den Keks geht, ist ein geliebtes Gotteskind wie ich. Wenn bei allen Meinungsunterschieden Achtung und Wertschätzung im Spiel sind.
Das war zu Paulus Zeiten schwierig und ist es heute, wenn man sich die gegenwärtige Debattenkultur anschaut. Die Empörungsbereitschaft ist groß und die Zündschnüre sind kürzer geworden. Der Tagesspiegel titelte heute von einem „Wutwinter“.
Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! Hört sich da wie ein frommer Wunsch an. Aber nur so geht es. Unterschiede aushalten lernen. Streiten, ohne Feindbilder zu pinseln. Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! All you need is love – bereits 1967 wurde die Jahreslosung für 2024 vertont. Echt vorrauschauend Paulus und Johannes, also Paul, John und die anderen Beatles.
Alles Liebe – das ist auch die Botschaft, die mir jeden Morgen im U-Bahnhof begegnet, Ihnen vielleicht auch? Gelbe Herzchen, „Hashtag Weil wir dich lieben - BVG“. Zunächst fand ich das ja ziemlich übergriffig. Auf die Liebeserklärung eines Unternehmens des öffentlichen Nahverkehrs kann man ja eigentlich getrost verzichten. Ein geschickter Marketing-Coup, habe ich gedacht. Denn wer mir seine Liebe gesteht, dem kann ich ja schlecht böse sein, wenn mal wieder ein Zug ausfällt oder der Bus 7 Minuten Verspätung hat. Das muss eine gute Beziehung schon aushalten können. Doch womöglich steckt auch hier mehr dahinter …
Zugegeben, mit ihren selbstironischen Werbespots, die wunderbar die Berliner Seele mit ihrem rauen Charme persiflieren, hat die BVG klug ihr Image aufpoliert, doch gleichzeitig sendet sie eine Botschaft: Berliner geht liebevoll miteinander um – in Bus und Bahn, im Alltagsleben! Ein Plädoyer für Fehlertoleranz und Vielfalt mit bunten Sitzbezügen und gelben Herzchen. „Weil wir euch lieben“. Sogar ein Weihnachtsmusical gab es: „Tarifzone Liebe“. Na ja, nicht unbedingt Broadway-verdächtig. Aber dass für unser Zusammenleben in unserer Stadt die Liebe die Tarifzone sein soll, klingt schon fast wieder nach Paulus: Alles was ihr tut, geschehe in Liebe!
Alles Liebe – das sagt sich so leicht. Kann zur Floskel werden und damit trivial. Und ernstgemeint ist es ein Riesen-Anspruch. Ein weiterer Neujahrvorsatz, der sich nicht verwirklichen lässt? Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! Ist das gar naiv angesichts von circa 60 Kriegsschauplätzen auf unserem Planeten, angesichts von gesellschaftlicher Verrohung bei Protesten, Antisemitismus neuen Ausmaßes und Geheimtreffen von Demokratiefeinden, die „Remigrationen“ planen?
Doch Liebe, wie Paulus sie versteht, setzt nicht die rosarote Brille auf und gießt Zuckerguss auf alle Probleme. Nein, diese Liebe macht gerade kritikfähig und sensibel, sie ist eine Entscheidung gegen alles was das Miteinander zersetzt. Sie ist der Einspruch gegen alle Lieblosigkeiten, auch in mir selbst drin.
„Hass ist nicht einfach da“ schreibt die Publizistin Carolin Emcke, „er wird gemacht“. So ist es mit der Liebe auch, sie muss gelernt werden die „Agape“, diese Zuwendung zum anderen. Gestern sah ich ein Foto von den Bauernprotesten. Ein Traktor hatte ein Transparent mit der Jahreslosung aufgespannt: Alles was ihr tut, geschehe in Liebe! Eine Aufforderung an die Politik oder ein Hinweis an die eigenen Leute? Vielleicht beides. Jedenfalls eine Form der Protest-Unterwanderung die mir Hoffnung gibt.
Alles Liebe – davon handelt auch eine weihnachtliche Legende. Sie erzählt von einem vierten König, der sich wie die drei bekannten Könige auf den Weg macht um dem Stern zu folgen, der zum neugeborenen König aller Könige führen soll. Drei kostbare Rubine trug dieser vierte König bei sich, die er dem Kind schenken wollte. Doch ach, sein Reittier lahmte und er kam zu spät am verabredeten Treffpunkt an. Caspar, Melchior und Baltasar waren schon nicht mehr da, die Karawane weitergezogen.
So versuchte er allein den Weg zu finden, der Stern führte ihn zu einer Lichtung. Da traf er auf ein völlig verängstigtes Mädchen, seine Eltern waren gestorben, es war ganz allein auf der Welt. Der König hob das Mädchen auf sein Pferd und ritt in das nächste Dorf, fand eine gute Frau, die das Mädchen in Pflege nahm und überreichte ihr einen der Rubine. Damit war ihre Zukunft gesichert.
Das nächste Mal führte der Stern ihn zu einem Trauerzug, eine Familie trug den Vater zu Grabe, ihren Ernährer. Der König legte auch der Witwe einen Rubin in die Hände, damit die Familie versorgt sei. Schließlich führte der Stern ihn in ein Dorf, in dem Soldaten die Bauern zusammengetrieben hatten, sie drohten die Männer zu töten und alles in Schutt und Asche zu legen. Da schritt der König ein: Ein Rubin für das Leben des Dorfes! Der Anführer der Soldaten willigte ein, er und seine Truppen zogen ab.
Doch der Stern führte den König weiter, zu einem Hafen. Ein Galeerensträfling war gestorben, nun sollte der Sohn des Mannes anstelle des Vaters in Ketten gelegt werden. Der König hatte keinen Rubin mehr übrig, so löste er sich selbst ein. 30 Jahre ruderte er als Sklave auf dem Schiff, bis man ihn an Land warf. Von seinem königlichen Äußeren war nichts mehr übriggeblieben, alt war er geworden, der Stern von einst schon lange erloschen. Doch dann sah er ihn plötzlich wieder.
Der Stern führte ihn vor die Tore einer Stadt, wo sie die Verurteilten hinbringen. An einem Kreuz hing einer, von dem seine Anhänger sagten, er sei der König der Könige. Ist er’s, den er seit 30 Jahren gesucht hat? „Endlich bist du da“, hieß ihn der am Kreuz willkommen. Doch der König wurde ganz traurig. „Ich habe nichts mehr, das ich dir schenken kann“. Doch der am Kreuz antwortete: „Du hast mir schon alles geschenkt, dein Herz nämlich.“ Und ein Blick voll Wärme und Liebe umfing ihn. Da wusste der König: Ich bin am Ziel.
Mehr Zeit im Garten verbringen und endlich mal den Dachboden ausmisten, öfter Tante Helga im Pflegeheim besuchen und einen Kochkurs belegen. Wieder Klavierunterricht nehmen, sich beim Fitnessstudio anmelden und überhaupt mehr Zeit für mich … Gute Vorsätze! Was steht auf Ihrer persönlichen Liste? Kürzlich postete jemand auf Facebook seine Liste mit Neujahrsvorsätzen. Da stand: „In diesem Jahr möchte ich so sein wie Jesus: Mit den Ausgegrenzten abhängen, gern feiern und religiöse Autoritäten ärgern, Geschichten erzählen, die Leute zum Nachdenken bringen, mit unpopulären Freunden unterwegs sein, Nickerchen auf Booten machen und bei allem: liebevoll und barmherzig sein.“
Ganz gleich, was auf eurer Liste steht, liebe Gemeinde. Möge für euch wahrwerden, was Paulus der Gemeinde in Korinth wünscht: Alles was ihr tut, geschehe in Liebe!
Oder in der Kurzform: Alles Liebe für 2024!
Amen.
Florian Kunz
Predigttext: 1. Korinther 16,14