
Zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus, die Stimmung ist gedrückt, milde ausgedrückt. Es ist ihr Heimatort, den sie wieder aufsuchen wollen, nachdem sie lange Zeit mit Jesus und seiner Jüngerschar unterwegs waren. Der Ort liegt lt. Lukas 24,13ff etwa elf km von Jerusalem entfernt, in westlicher Richtung. Eigentlich haben sie keine Lust zu nichts, zu gar nichts. Die Katastrophe kam, vielleicht nicht gänzlich unerwartet, aber doch plötzlich. Nach einer knappen Woche war der Mann, dem sie und an den sie geglaubt, alle ihre Hoffnung auf ihn gesetzt hatten, tot. Und dann verschwand auch noch sein Leichnam. Schlimmer, katastrophaler hätte es nun gar nicht mehr kommen können. Jetzt, am Ostersonntag, verlassen sie den Ort, Jerusalem, wo sie diese schreckliche, traumatische Erfahrung machen mussten. Andere Jünger gehen, vermutlich mit ihren Brüdern, Kollegen und auch mit Teilen ihrer Familien nach einigen Tagen wieder zurück an den See Tiberias, um ihr altes Leben als Fischer wieder aufzunehmen. Was sollten sie auch sonst machen? Sich ablenken und Trauerarbeit einerseits, arbeiten für ihren Lebensunterhalt und für den ihrer Familien andererseits. Aufbruch, Neubeginn sehen für mich etwas anders aus.
Diese Geschichte von den Emmaus-Jüngern enthält m.E. drei Aspekte, drei Schwerpunkte.
Der Weg: Auf dem Weg gesellt sich ein Fremder zu den beiden Jüngern, namenlos der eine, Kleopas der andere Jünger. Der Mann mischt sich in ihr Gespräch ein und erkundigt sich nach dem Inhalt ihrer Unterhaltung. Im weiteren Verlauf fragt er sie: „Warum fällt es euch nur so schwer, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben? Wie wenig versteht ihr doch!“ (Zit. s.u.). Dann erklärt er ihnen, „was durch die ganze Schrift hindurch über Jesus gesagt wird – von den Büchern Mose angefangen bis zu den Propheten.“ Einen Weg gemeinsam oder alleine gehen ist wie ein Gespräch, wie ein (innerer) Dialog. Meist hat man ein Ziel vor Augen, manchmal bewegt man sich aber auch im Kreis. Manche Menschen brauchen zum Denken die Bewegung, das Wandern oder Pilgern; andere, wie Nikodemus, suchen das intensive Gespräch in der Nacht, wo es keine äußere Ablenkung gibt, wo man sich voll auf das Gegenüber konzentrieren kann; dem Gesprächspartner oder der -partnerin aufmerksam zuhören kann.
Die Einladung und die Erkenntnis: „Bleib doch über Nacht bei uns! Es ist spät und wird schon dunkel.“ Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, nicht nur zur damaligen Zeit. Und für mich ist der Gedanke naheliegend, dass die beiden Jünger froh sind, einen Menschen bei sich zu haben, um nicht alleine zu sein, um nicht sozusagen im eigenen Saft schmoren zu müssen. Denn für sie ist das Gespräch mit dem Fremden tröstlich. Sind es doch gerade die Gedanken, die ihnen Jesus im Lauf seines Lebens gepredigt hatte. Der Abend verläuft aber ganz anders als sie es sich vorgestellt hatten. „Als Jesus sich mit ihnen zum Essen niedergelassen hatte, nahm er das Brot, dankte Gott dafür, brach es in Stücke und gab es ihnen. Da wurden ihnen die Augen geöffnet: Es war Jesus. Doch im selben Moment verschwand er, und sie konnten ihn nicht mehr sehen.“ Es ist ein unglaubliches Geschehen für die beiden Jünger: Erkennen und gleichzeitiges Verschwinden. Es macht die beiden fassungslos.
Der Weg zurück: Kennen Sie, liebe Leser, das Gefühl, wenn Sie ein freudiges (oder auch ein trauriges) Ereignis erlebt haben, dass Sie dieses sofort mitteilen, weitersagen wollen? Am besten der ganzen Welt, zumindest aber den nächsten Angehörigen und Freunden? So ergeht es auch den beiden Jüngern. „Hat es uns nicht tief berührt, als er unterwegs mit uns sprach und uns die Heilige Schrift erklärte? Ohne Zeit zu verlieren, brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück.“ Stellen Sie sich diese Situation vor. Nach einem Weg von mindestens drei Stunden eilen die beiden zurück. „Ohne Zeit zu verlieren, brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück.“ Wieder den dreistündigen Weg zurück, in der Nacht, denn in Palästina, dieser Region in den Subtropen, ist die Dämmerungsphase sehr kurz. Aber die Erfahrung mit Jesus verleiht ihnen ungeahnte Kräfte, wie in der Werbung: … verleiht Flügel. „Dort (in Jerusalem) waren die elf Jünger und andere Freunde von Jesus zusammen.“ Und es bricht aus ihnen heraus: Sie erzählen „… was auf dem Weg nach Emmaus geschehen war und dass sie ihren Herrn erkannt hatten, als er das Brot in Stücke brach.“
Vielleicht liebe Leserin, lieber Leser, haben Sie ähnliche Erfahrungen, wie sie in dieser Geschichte erzählt werden, auch schon einmal gemacht. Für mich persönlich ist seit meiner Kindheit eine Stelle in dieser lukanischen Erzählung von größter Bedeutung geworden. Ich erinnere mich an die Abenddämmerung in der Wohnküche meiner Großeltern im Schwarzwald. „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.“ An diese Worte denke ich sehr oft. Ich bedenke dabei, was an diesem Tag passiert ist, welcher Weg gerade oder krumm und schief verlief. Es ist aber auch das kurze Gebet, das mich an das Ende meines Lebens erinnert.
Die biblischen Zitate stammen aus der Übersetzung: Hoffnung für alle bzw. Luther 1984.
Nachtrag: Der Name „Emmaus“ ist wohl von hebr. Hamam, „warm werden“ abzuleiten. Das deutet darauf hin, dass der Ort in der Nähe von warmen Quellen gelegen haben muss. Die Lage des biblischen Emmaus ist nicht gesichert. Laut Lukasevangelium ist der Ort 60 Stadien (ca. 11,5 km) von Jerusalem entfernt. Er wird im Neuen Testament an keiner anderen Stelle erwähnt. Traditionell nehmen vor allem drei Orte für sich in Anspruch, das im Lukasevangelium erwähnte Emmaus zu sein: Amwas, Abu Gosch und El Qubeibeh. Der Historiker Carsten Peter Thiede († 2004) war dagegen überzeugt, ihm sei der Nachweis der Lage des Ortes in dem heutigen Jerusalemer Vorort Moza gelungen. (nach wikipedia e.a.)
Jürgen Reichle