Wenn man vom Teufel spricht

# Predigt des Superintendenten

Wenn man vom Teufel spricht

Dichtes Gedränge herrscht in den Sommermonaten auf der Wartburg, die über dem thüringischen Städtchen Eisenach thront. Touristen stehen im Burghof Schlange. Das größte Highlight für die meisten ist die Lutherstube, da wollen sie hin – in das Kämmerchen mit Schreibtisch, Stuhl und Kachelofen, wo Martin Luther, verkleidet als Junker Jörg die Bibel ins Deutsche übersetzt haben soll. 

„Doch vor allem wollen wir den Tintenfleck sehen“, erklärt der Leiter einer amerikanischen Reisegruppe. „Den Tintenfleck?“ „Na, die Stelle an der Wand wo das Tintenfass gelandet ist, das Luther nach dem Teufel geworfen hat“ Und er erzählt von der Legende, wonach der Reformator bei seiner nächtlichen Übersetzungsarbeit von einem Kratzen und Schaben aufgeschreckt worden sei. Im Schein der Kerze habe er dann eine dämonische Fratze gesehen und sich nicht anders zu helfen gewusst als mit einem gezielten Wurf – quasi Notwehr. Die Menschenschlange im Burghof setzt sich wieder in Bewegung. Der Amerikaner will den Anschluss an seine Reisegruppe nicht verlieren …

Wenn man vom Teufel spricht …

muss man auch die Geschichte von Jesu Versuchung erzählen. Kurz vorher stand Jesus im Wasser des Jordans, der Himmel über ihm offen und eine Stimme sprach: „Du bist mein geliebter Sohn!“ Nun steht Jesus in der Wüste und eine Stimme neben ihm sagt: „Wenn du wirklich Gottes Sohn bist …“. Da träufelt einer Zweifel in Ohr und Herz. Bei seiner Taufe hörte Jesus eine leuchtende Zusage, nun wird er radikal in Frage gestellt. Und der Teufel tritt in der Verkleidung des Theologen auf, des Bibelexperten, schlägt Jesus ein Schriftzitat nach dem nächsten um die Ohren. 

Viele haben es ihm nachgemacht und tun es noch, missbrauchen Bibelworte, um Kriege zu rechtfertigen, Frauen zu verachten und Menschen auszugrenzen, die anders glauben oder lieben. Auch der Teufel will nicht die Handschrift Gottes hinter den Worten entziffern, ihm ist die Bibel nur Mittel zum Zweck.

Erster Versuch des Versuchers: Jesus, vom vierzigtägigen Fasten mit knurrendem Magen, sagt er: „Wenn du wirklich Gottes Sohn bist, … so sprich, dass diese Steine zu Brot werden.“ Nur ein Wort und sein Hunger wäre gestillt. Doch der Sohn lehnt ab, spielt die Gottes-Karte nicht aus, bleibt Mensch, ein Hungriger an der Seite aller, die hungern.

Zweiter Versuch auf der höchsten Zinne des Tempels: „Wenn du wirklich Gottes Sohn bist, … so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößst!‘“ Doch Jesus bleibt auf der Tempelzinne stehen, zeigt sich nicht als unsterblicher Gottessohn, dem der Tod nichts anhaben kann, bleibt verletzlich.

Einmal versucht er es noch, der Versucher. Macht hat er im Angebot, Macht über die ganze Welt, wenn Jesus vor ihm auf die Knie geht, ihn anbetet. Doch es gibt keinen Kniefall vor dem Satan, Jesus will nicht herrschen, dienen will er - Mitmensch statt Übermensch. „Stark-sein, mächtig-sein, Gott-sein!“  - das ist Jesu Versuchung. Doch er widersteht ihr – nicht mit Stärke, sondern durch seine Schwäche. Hungrig, verwundbar, machtlos – radikal menschlich, das ist Jesus – so zeigt sich Gott.

Da kann der Teufel nur wie ein begossener Pudel von dannen ziehen. Zumindest eine Band hat Mitleid mit ihm.

Wenn man vom Teufel spricht … 

... kann man auch von ihm singen. Die Rolling Stones haben das getan. „Sympathy for The Devil“ heißt einer ihrer Erfolgshits „Mitgefühl mit dem Teufel“. Der wird als kultivierter Mann von Welt geschildert, der sich rühmt bei allen historischen Ereignissen die Hand mit im Spiel gehabt zu haben. „Let me introduce myself …“

„Gestatten Sie mir, mich vorzustellen:
Ich bin ein Mann mit Vermögen und Geschmack.
Mich gibt es schon seit langer Zeit,
ich stahl vielen Menschen Seele und Glaube.

Ich war dabei als Jesus Christus
seinen Moment des Zweifels und der Qual hatte.
Ich stellte sicher, dass sich Pilatus die Hände wusch
und Jesus´ Schicksal besiegelte.

Erfreut Sie kennen zu lernen,
ich hoffe, Sie erraten meinen Namen.
Aber was Sie verwirren mag, ist die Art,
wie ich mein Spiel treibe.“

Die Rolling Stones haben Recht: Der Teufel liebt das verwirrende Spiel. Der Versucher mag sich in der Maske des Gentleman nähern, doch unter dem Deckmantel des Höflich-Kultivierten, lauern Verachtung und Bosheit. Das Böse im Gewand des Guten. 

„Diabolos“ ist das griechische Wort für den Teufel und lässt sich übersetzen mit „Der Durcheinander-werfer“ oder „Verwirrer“. Gott als Schöpfer bändigt das Chaos der Urzeit, verleiht der Schöpfung seine göttliche Ordnung, doch das Böse versucht immer wieder, Unordnung zu stiften, Chaos anzurichten. Und wenn man sich unsere Welt so anguckt, scheint der große Verwirrer gerade gut im Geschäft zu sein. 

Wo Lügen als alternative Fakten umgedeutet und echte Fakten als Fake News geschmäht werden, wo im Internet Verschwörungserzählungen ins Kraut schießen, sich Hassrede Bahn bricht und Politiker symbolisch als Volksverräter an den Galgen gehängt werden. Wo ein russischer Diktator seit zwei Jahren einen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine führt und behauptet, er befreie das Land von Nazis. 

Und die richtigen Nazis planen in einer Villa in Potsdam die Deportation aller die nicht ihrer Idee von Deutschland entsprechen und zwar unter dem harmlos klingenden Namen „Remigration“. Das ist alles schon sehr diabolisch. Wie gut, dass so viele in unserem Land in den letzten Wochen auf die Straße gehen, gestern in Kladow waren es 1.500. Denn: Nie wieder ist jetzt. Spandau bleibt bunt und Berlin auch. Menschen, die Hass und Menschenverachtung die Stirn bieten, den diabolischen Erzählungen widersprechen.

Wenn man vom Teufel spricht … 

... muss man freilich zuerst mit dem Finger auf sich selbst zeigen. Denn das Böse ist immer auch ein Teil von jedem von uns. In einer Kinderbibel, die ich sehr mag, sieht man Jesus bei seiner Versuchung in der Wüste stehen und an ihn schmiegt sich einer, der genauso aussieht wie er, aber in schwarz-weiß, flüstert ihm ins Ohr. 

Auch wir haben so einen dunklen Teil in unserer Persönlichkeit, eine Stimme, die unsere Ego-Trips schönredet, die uns sagt: Wir müssen stark sein, uns durchsetzen auf Kosten anderer. Oder aber die Stimme macht uns klein, lässt uns zweifeln, dass wir wertvoll sind und geliebt: „Wenn du wirklich Gottes Kind bist …“. Beides das Großmachen und Kleinmachen bringt Gottes Ordnung durcheinander. Kein Teufel mit Hörnern – es ist in uns, dieses Dunkle. 

Aber genauso ist in uns der Geist Jesu, der uns liebevoll macht und mitfühlend, der uns Mut schenkt, uns schwach und verletzlich zu zeigen, wahrhaft menschlich eben. In der Kinderbibel sitzen die beiden am Ende der Versuchungsgeschichte Rücken an Rücken – Jesus und sein schattenhafter Zwilling. Der Schatten hält eine goldene Kugel in der Hand, wie einen Reichsapfel, Symbol für Macht und Herrschaft. Traurig blickt er drein. Der Jesus in bunten Farben lächelt, in seiner Hand ein Zweig mit Dornen, Zeichen der Liebe.

Als die amerikanischen Touristen in die Lutherstube treten, sind sie enttäuscht. Da ist ja gar kein Tintenfleck zu sehen! Dafür ein Loch in der Wand neben dem grüngekachelten Ofen. „Den Tintenfleck gibt es schon seit hundert Jahren nicht mehr“, erklärt der Museumsführer. „Mehrfach ist er nachgemalt worden über die Zeiten und die Besucher früherer Jahrhunderte haben sich Stücke abgekratzt und rausgebrochen als Luther-Reliquien. So ist nur dieses Loch übriggeblieben. Allerdings, ob der Tintenfleck wirklich ursprünglich von Luther war, ist auch sehr fraglich.“ 

Immerhin hat Luther später über seine Wartburgzeit geschrieben: „Ich habe den Teufel mit Tinte bekämpft“. Doch vielleicht meinte er damit die Übersetzung der Bibel, das Übertragen der Worte Gottes, das Deuten seines Willens für uns. Wenn etwas hilft, da war Luther sich sicher, sind es Worte. Worte voll Liebe und Wahrheit gegen das Dunkle, das Dunkle in der Welt und in uns. Manchmal reicht ein einziges davon …

Der Fürst dieser Welt, wie sauer er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht er ist gericht: ein Wörtlein kann ihn fällen.

Amen. 

Florian Kunz, Predigt nach Matthäus 4,1-11 in der St.-Nikolai-Kirche am 18. Januar 2024

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