eine Plastik von Fritz Koenig (*1924 | †2017)
Die Plastik über dem Portal stellt in ihrer betonten Körperlichkeit ein eigenständiges, plastisches Gebilde dar und ist zugleich durch ihre Flächigkeit und Ausgespanntheit der Architektur zugeordnet. Während kräftige, Schattentäler bildende Formen vorwärts stoßen und bis an die Wand rückwärts greifen, scheint gleichzeitig der reiche, großförmige Umriss wie ein Lineament vor der Fläche zu schweben.
In einem dreifachen Rhythmus entfaltet sich die Figur nach oben. Im untersten, wurzelhaften Teil ist die stärkste plastische Zerklüftung, ereignet sich ein dynamisches Ausbrechen von würfelhaften Einzelgebilden, von denen zwei sich kapitellartig vor und unter eine geschlossene, klare, nach oben scharf abgegrenzte Schalenform schieben. Diese Schalen-Sichelform ist Abschluss und Beginn zugleich, in ihr ist etwas nach unten Drückendes und nach oben Schwebendes, sie gehört zum unteren, belebten Teil und ist auch Basis der zweiten und dritten Teilform. Aus ihr wächst ein von vorn schmal erscheinendes, stammähnliches Stück, das aber weit in die Tiefe zurückreicht und so von pfeilerhafter Tragkraft ist. Es verwächst in die mittlere Form, die zunächst als ein hochgestelltes Viereck mit mehreren waagerechten Ausmuldungen erscheint. Aber dieser Entfaltung nach außen antwortet dann sogleich eine mächtige Vertikale, die sich in der steleartigen Gestalt in der Mitte emporreckt. In ihr ist eine kraftvolle Verdichtung, ein Drängen nach vorne und eine energische Streckung nach oben, die über die flügelförmigen Flächen hinausführt, sich so verselbständigt und zugleich Sockel des dritten, oberen Teiles ist.
Diese strenge Binnenform, in der die gesamte Figuration ihre formale, beherrschende Mitte hat, besitzt ihren eigenen, optischen Schwerpunkt in einer ovalen Wölbung, die bis zum oberen Rand des Vierecks reicht. Ihr entspricht ein zweites, kleineres Oval darüber, das der Mittelgestalt zugehört, aber durch seine klare Absetzung davon zugleich zum Kern, zum »Ausgangspunkt« der großen, breiten Entfaltung der gesamten obersten Fläche wird. Hier ist die weiteste Ausladung, die betonteste Horizontale, die von einer waagerechten mittleren Rippe noch unterstrichen wird. Die Reihung von sieben senkrechten Rippen, welche die Scheibe nach rückwärts durchstoßen, variiert das Grundmotiv der Horizontalen und führt gleichzeitig aus der Flächigkeit in die volle Plastizität über.
Die drei großen Teilformen verzahnen sich nicht nur im Innern zu einer Gestalt, sondern sind auch außen durch einen keilförmigen Umriss, trotz der tiefen Einschnitte, zu einer Einheit zusammengebunden. Mit dieser Keilform wird die Plastik in doppelter Weise ihrer Situation gerecht. In der Verengung nach unten ist sie eine auf das Portal hinweisende Form, ist sie Portalplastik, in ihrer Verbreiterung nach oben und der wachsenden Großflächigkeit bindet sie sich der Architektur ein, ist sie Bauplastik. Gleichzeitig mit der Verspannung in die Fläche formt sie sich in der obersten Zone zur größten Körperlichkeit und antwortet so der unteren Zone und führt deren Bewegtheit in die monumentale Ruhe der Reihung zurück.
Als Thema war dem Bildhauer Koenig das »große Zeichen« aus dem 12. Kapitel der Geheimen Offenbarung des Johannes gegeben. Dort steht in Vers 1-5:
»Und ein großes Zeichen erschien am Himmel: Ein Weib mit der Sonne umkleidet, und den Mond unter seinen Füßen und auf seinem Haupt einen Kranz von zwölf Sternen. Und sie ist gesegnet und schreit in Wehen und in Qual der Geburt. Und ein anderes Zeichen erschien am Himmel, und siehe, ein Drache, feuerrot, gewaltig, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und auf seinen Köpfen sieben Kronen, und sein Schweif fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels weg und warf sie auf die Erde, und der Drache stellte sich vor das Weib, das gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlinge. Und sie gebar ein männliches Kind, das alle Völker mit eisernem Stabe weiden soll, und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu Seinem Thron.«
Und im Vers 17 steht:
»Und der Drache ergrimmte über das Weib und ging hin, um Krieg zu führen mit den übrigen aus ihren Nachkommen, die die Gebote Gottes bewahren und am Zeugnis Jesu festhalten.«
Der Seher von Patmos beschreibt eine Vision, die eine zentrale Stellung in der gesamten Apokalypse hat. Er sieht und deutet eine Gestalt als Weib und Mutter. Er greift damit ein Bild auf, das ihm aus dem Alten Testament bekannt war, nämlich »das Weib« als Bild des Gottesvolkes, das er aber nun nicht nur auf »Israel dem Fleische nach« bezieht, sondern auch auf das Gottesvolk des Neuen Testaments. Für Johannes sind die Symbole, die er gebraucht, immer geschichtliche Wirklichkeiten. Das Weib ist das Gottesvolk in der Herrlichkeit, im Strahlenkranz seines Gottesbundes, der alle Geschichtswechsel überdauert und es ist das Gottesvolk zugleich in den Wehen der Heilsgeburt. In dieser Heilsgemeinschaft aber hat die Gottesmutter Maria ihren heilsgeschichtlichen Platz. Als Messiasmutter hat in ihr die Heilsschwangerschaft des Alten Bundes ihre konkrete Wirklichkeit und Erfüllung. Als Glied der Gemeinde gebiert sie den Messias und steht stellvertretend für die Gemeinde. Damit wird in ihr das Gottesvolk des Alten und des Neuen Bundes zu einer Heilsgemeinschaft.
Dieser ecclesiologisch-mariologische Symbolgehalt des Weibes aus dem 12. Kapitel hat die Wahl und den Auftrag für die Außenfront der Kirche bestimmt, wo es als Siegel, als Zeichen erscheint. Die Gedächtniskirche für die Blutopfer ist der »Regina Martyrum« geweiht. Es soll nach außen das »Königliche«, »Sonnenhafte« in Erscheinung treten. In dem Bild des Weibes aus der Apokalypse soll auch sichtbar werden, dass die erhabene Aufgabe der Jungfrau-Mutter Maria, Christus zu gebären, trotz aller Drangsal durch das Zeichen des Drachens, bis zum Ende der Zeiten im Werk der Kirche weitergeführt wird, »alle in Christus wiederzugeben«. Wie Maria in ihrem Handeln in und für die Gemeinde handelte, so verwirklicht jeder in seinem Tun und Erleiden, seinem Bekennen und erst recht in seinem Bekennertod die gemeinsame und ganze Geschichte des Heiles.
Die Symbole der Geheimen Offenbarung haben – auch wenn sie noch so konkrete Benennungen besitzen wie »Weib« – immer etwas Zeichenhaftes an sich. Sie müssen es auch in der künstlerischen Deutung bewahren, um im Visionären zu bleiben. Etwas von diesem unfasslich Fasslichen haben etwa die großen archaischen Götterbilder aller Zeiten an sich. Der Bildhauer Koenig durfte daher mit aller Freiheit seine künstlerische Einfühlung in das apokalyptische Bild zur Form gestalten. Seine Reduktionen und zugleich Umsetzungen von Einzelbildern, wie »Sonnenkleid«, »Sternenkrone«, »siebenköpfiger Drache« treten zu der Gestalt des schwangeren Weibes hinzu. Sie tragen und umfassen sie. In dem Bösen, Fratzenhaften und Aggressiven des Drachens ist die größte Dinglichkeit. Er ist erdnahe, räumlich und geschichtlich. Die Mondsichel ist seine Grenze, aus ihrer Schale hebt sich wie schwebend das Strahlenweib ab. Sie bildet die beherrschende Mitte, in ihr ist die größte plastische Verdichtung. Die steleartige Gestalt hat indem heiligen Zeichen werdender Mutterschaft wiederum ihr mächtiges Zentrum. In ihm ist das Weib, als Kirche und Maria, die Christusträgerin. Die seitlichen Flügelformen verhalten sich dazu wie Schale zu Kern, wie Gewand zu Leib. In gleicher Weise ist die oberste Fläche wie die Ausstrahlung des Kopfes. Zwischen dieser Zone des Geistes und der erdhaften, knollenförmigen Zone unten ist in der Mitte gleichsam die Synthese, die Verleiblichung.
Diese Interpretation der apokalyptischen Vision durch Fritz Koenig ist ohne Vorläufer. Das Zeichen am Himmel mit seinem mehrschichtigen, christologischen-ecclesiologischen-mariologischen Gehalt hat eine neue zeichenhafte Deutung und Umsetzung in ein Bild erfahren.