Die Pietà

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Die Pietà

eine Plastik von Fritz Koenig (*1924 | †2017)

Fromme Versenkung in das Leiden und Sterben Christi hat im Mittelalter die Szene erdacht, dass der tote Herr nach der Kreuzabnahme noch einmal der Mutter Zur Beweinung übergeben,eben worden sei. In der Pietà wie die Darstellung der trauernden Maria benannt wird – ist diese Szene zu einem beliebten Andachtsbild geworden. Für die Unterkirche von »Regina Martyrum« wurde eine Pietà der Anlage der Gräber zugeordnet.

Auf einer Sockelform erhebt sich die Gruppe der Mutter und des in ihrem Schoß liegenden Sohnes. Beide bilden zusammen die Gestalt eines Kreuzes, dessen Grundelemente von Horizontal und Vertikal durch weitere Bewegungen und plastische Variationen bereichert werden. So vollzieht sich im Aufbau der sitzenden Madonna ein Übergang aus einer tiefen Räumlichkeit, die von der Sitzstütze und den schmalen Beinen gebildet wird, in eine gespannte, nach oben sich mehr und mehr verengende Flächigkeit, die sich dann aber im Kopf wieder zu voller, nach vorn und rückwärts greifender einePlastizität ausformt. In der Weise ihres Sitzens und dessen Gestaltung entsteht so dann auch eine Schale, die sich von den Knien aus nach rückwärts und oben ausmuldet und wieder in dem nach vorne drängenden Kopf den Sammelpunkt der Bewegung hat.

Schließlich ist bei aller Axialität und Vertikalität in der Figur Mariens auch eine deutliche diagonale Kraft spürbar, die von links unten bis zur Schulter führt und ihre Gegenbewegung in der leichten Neigung des Kopfes hat. In diesem spirituell kleinen, kristallin geformten Kopf sammeln sich alle innerplastischen Rhythmisierungen. Er ist jedoch nicht nur formaler Gipfelpunkt und Spitze der Plastik, sondern auch Ausgangspunkt und geistiger Träger des Bezugs zur Gestalt des toten Herrn. Der Kopf Mariens ist hingewandt zum Kopf Christi, der in gleicher Weise aus der kompakten Masse der Plastik herausgelöst ist. Die Gemeinsamkeit der formalen Exponierung trägt in sich einen spannungsreichen Kontrast von lebend und tot, aufgerichtet und hängend, teilnahmsvoll und kraftlos.

Dieser erschütternde Dialog wird in der Begegnung der beiden Körper weitergeführt. Der tote Christusleib drängt zur Erde. Der Kopf löst sich in seinem schweren Hängen fast von der Schulter, und in den schlanken Beine ist etwas von dem hilflosen und haltlosen Herabsinken geknickter Aste. Aber dieses Gleiten und Fallen des Leichnams wird von der Mutter aufgehalten und aufgefangen. Sie vollzieht dies mit der Schale ihres Körpers und dem Fassen der Arme, die ganz in ihrem Tun aufgehen und unsichtbar bleiben. Die rückwärtige Umarmung des Leibes ist vor allem in der diagonalen, sich dem Sinken entgegenstemmenden Bewegung des ganzen Körpers der Madonna spürbar. In diesem Halten geschieht zugleich ein weiteres. Die Hineinnahme des Leibes Christi in die Schale ihres Leibes lässt den Leib des Sohnes selbst zur Schale werden, die sich ganz zum Beschauer hin öffnet. Die Mutter zeigt den Tod ihr,es göttlichen Sohnes in der breiten Sichtbarmachung des toten Leibes, dessen Geschundenheit und Todesqual sich in den harten, vorstoßenden Brustrippen ausdrückt.

DIE FORM EINES KREUZES

Halten und Zeigen des Sohnes durch die Mutter sind Grundmotive fast aller Pietà.-Darstellungen. Fritz Koenig geht in seiner Interpretation noch einen wesentlichen Schritt weiter. Seit längerer Zeit erreichte er in seinen Werken durch die Verbindung und Durchdringung mehrerer Figuren eine plastische Einheit im Sinne von Eingestaltigkeit. Die der Pietà zugrunde gelegte Form eines Kreuzes, bei dem sich die Balken in der Mitte durchdringen, führte zu einer Verschmelzung der beiden Körper. Diese ungewöhnliche, gestalterische Lösung trägt in sich einen neuen, tiefen Bildinhalt. Die Mutter nimmt den Sohn in sich hinein, sie wird in sichtbarer Weise zur Mutter des Schmerzes, und sie schenkt gleichsam in zweiter, diesmal schmerzvoller Geburt ihren Sohn der Menschheit. Dieses In-sich-Aufnehmen formt innerhalb der Plastik eine sichtbare, tragende Mitte.

Aber das Einssein der beiden Körper ist nicht abgeschlossen, vollzogen und bleibend, sondern in ihm ist zugleich ein Geschehen. Der Verschmelzung antwortet eine Entfaltung und Ausbreitung des Leibes Christi. Dieser zweifachen Bewegung, die sich wie das Ein- und Ausatmen verhält, entspricht der Körper der Madonna. In der Hereinnahme scheint sich die Schale ihres Leibes langsam nach vorne verschließen zu wollen. In dem Darbieten aber tritt ihr Körper zurück, reckt sich jedoch zugleich mächtig nach oben. Damit kommt in die vertikale Komponente der Plastik eine eigene Dynamik, in der etwas Erhabenes und Sieghaftes ist. Das Versinken in den Schmerz wird überwunden durch ein zuversichtliches Aufrichten, in dem etwas von Erwartung des österlichen Morgens ist.

Die Beweinung Christi in der Unterkirche von »Regina Martyrum« ist voller Schmerz. Der Tod des Sohnes wird von der Mutter so übernommen, dass sie mit ihm eins wird. Sie wird darin im mehrfachen Sinne zur tragenden Gestalt. Ihre königliche Haltung erwächst aus der Verinnerlichung des Schmerzes. Darum ist diese Pietà zugleich mehr als eine Beweinung. In ihr ist eine Hoffnung, die der Stunde harrt, in der sich der Herr aus dem Tode befreit und ewiges Leben wird und bringt.

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