Das Altarbild von Georg Meistermann (*1911 | †1990)

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Das Altarbild von Georg Meistermann (*1911 | †1990)

Text von P. Urban Rapp OSB 

Die Wand hinter dem Altar ist seitlich von einem Lichtrahmen gefasst und steht daher in einem diffusen Gegenlicht. Professor Meistermann musste als erstes diese Situation mit kompositionellen und malerischen Mitteln bewältigen. Mit einer festen, fast schwarzen Barriere unten und drei dunklen, von oben hängenden Feldern setzt er dem Licht harte Formen entgegen. Diese Fixierung und Absetzung der Wand gegen das Tageslicht liegt in ihrem Hauptgewicht auf der linken Bildhälfte, da unser Auge, einem naturgegebenen Prozess folgend, ein Bild von links nach rechts liest. Damit begegnet unser Auge auch gleichzeitig zuerst der vordersten Bildschicht, es erhält einen innerbildlichen Standpunkt, von dem aus es den Farbraum, der sich von hier aus in die Tiefe staffelt, erfährt.

Auf der gleichen linken Bildhälfte, welche die dunkle Sockelform hat, ist das Bildvolumen über und hinter einer dunstigen, grün-schwarz schraffierten Zone am klarsten, wie in einem Grundakkord, formuliert. Die optisch hellste und für das Auge am weitesten entfernte Stelle ist hier das Weiß Über dem Coelinblau und Rosa. In seiner dichten, wie abschließenden Konsistenz stellt es die Wand als Architekturelement neu her. Auf ihm baut sich in Schichtungen und Treppungen der Farbkörper des Bildes auf. Es entsteht eine Farbarchitektur, in der die gegossenen, reliefhaften Betonwände der Kirche in eine teppichartige, verflochtene, dichte und doch auch wieder transparente, immaterielle, neue Wirklichkeit verwandelt werden.

Zwischen dieser, im wesentlichen aus Horizontalen und Vertikalen bestehenden Textur der rückwärtigen und der vordersten dunklen Zone erhebt sich ein weiteres Gestaltungselement, ein Spiralraum. Er wird von einer Spirale gebildet, welche in der Mitte des Bildes, in der zitronengelben Flammenform ihren Anfang nimmt und sich nach rechts und nach vorne bewegt. Dieser Spiralkörper trägt die drei grünen, immer dunkler werdenden Flächen in sich, die ihn gleichzeitig auch räumlich interpretieren. Dieser ersten Spirale antwortet eine zweite, spiralige Gegenbewegung, die zugleich deren Dynamik nach innen beschließt. Ihre hornartige Form trägt eine vom Orangeroten ins Rosa gehende Farbigkeit. Diese innerbildliche Farbkörperlichkeit ist in sich schwebend und von einer permanenten Bewegung, die sowohl kommend als auch zurückweichend ist. Die Erfahrbarkeit des Bildes als Flächenschrift von links nach rechts wird in diesem dauernden Pulsieren durch ein unaufhörliches Bewegungserlebnis innerhalb des Farbraums bereichert.

EINE KÄMPFERISCHE AUSEINANDERSETZUNG

Die immer wechselnde Intensität der Bewegung einzelner Bildelemente gehört zu den künstlerischen Erfindungen Meistermanns, die er in seinen Tafelbildern der letzten Jahre erarbeitete. Für das Wandbild von »Regina Martyrum« bedeutet dies, dass die Spannung zwischen statischer Farbtektonik und auftauchenden, zurückweichenden, fallenden und steigenden Formen nicht nur eine Farbbewegung erzeugt, sondern durch den Weg aus hellem, tiefem Grund in die dunkle, vordere Bildschicht zugleich eine Lichtbewegung ist. Dieses innerbildliche Geschehen lässt das Altarbild zuerst als eine kämpferische Auseinandersetzung von Licht und Dunkel erleben, als eine sieghafte Überwindung des vordergründigen Schwarz durch die vom Licht getragene Farbe. Die anfänglich so stabil erscheinende, schwarze Barriere bekommt dadurch gleichzeitig etwas Zerbrechendes und Stürzendes, und die schraffierte, dunstige Zone darÜber etwas Vergehendes und Zerfallendes. Der Kampf des Lichtes gegen die Finsternis ist aber ein urreligiöses Thema, das im Christentum vor allem beim Evangelisten Johannes eine wesentliche Rolle spielt. Es könnte allein als Bildinhalt einer Altarwand dienen.

In dem Altarbild von »Regina Martyrum« ist jedoch noch ein zweiter und eigentlicher Bildinhalt vorhanden. Er wird vom zentralen Bildgegenstand, vom Lamm, getragen. Vom Lamm heißt es in der Geheimen Offenbarung 5, 6-7:

»Und ich sah ein Lamm stehen wie geschlachtet mit sieben Hörnern und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, die auf die ganze Erde gesandt sind. Und es kam und empfing das Buch aus der Rechten dessen, der auf dem Throne sitzt.«

In dem Altarbild geht alle Bewegung vom Lamm aus. Es befindet sich in einem violett-grauen, rechteckigen Feld, das in seiner Statik und Ruhe die Bildmitte bestimmt und einnimmt, und auf das ein Bogenfeld, in der Farbe einer aufgehenden Sonne, hinweist. Die Farbigkeit des Lammes ist Rot und Weiß, es sammelt darin den tiefstliegenden Ton und die aktivste, vordringendste Farbe.

DAS LAMM, DAS AUGE, DIE SICHEL

In der Bewegung des Lammes, das sich aufrichtet und damit unserem Blick entgegenkommt, ist die Urform vorgegeben, die sich dann in Gestalt und Dynamik der beiden Spiralen entfaltet. Als Ursprung und Anfang von Licht und Bewegung ist das Lamm selbst wie im Kommen. Das Lamm taucht gleichsam auf, es tritt in Erscheinung, es erhebt sich zum Zeichen. Dadurch ist das ganze Bildgeschehen letztlich ein Werden und Sichentfalten. Die Endzeit ist da, aber es ist ein anfängliches Sein.

Die Blickrichtung des Lammes, getragen von seiner Gestalt, geht hin auf ein zweites inhaltliches Zeichen, ein Auge, das über der gelben Flammenform auftaucht und auf das deren Spitze weist. Auch das Auge ist im Kommen und Auftauchen. In ihm ist ein potentielles Immer-größer-Werden. Es ist ein Auge, das sieht, noch von ferne, aber zugleich bald groß, nahe und herrscherlich.

Ein weiteres gegenständliches Zeichen ist die Sichel. Sie schwebt innerhalb der großen Spirale und ist damit auf dem Weg aus der Tiefe heraus. Sie tendiert in der Begleitung des großen, bräunlich-violettgrünen Feldes nicht nach unten, sondern waagerecht aus dem Bild heraus in den Raum. In ihrer Dinglichkeit fängt sie gewissermaßen die Dynamik der großen Spirale auf, so dass auch sie in einer merklich begonnenen Einbiegung sich in die Mitte des Kirchenraumes fortsetzt. Von der Sichel heißt es  in der Geheimen Offenbarung 14, 15:

»Und ein anderer Engel rief mit lauter Stimme dem, der auf der Wolke sitzt, zu: Sende Deine Sichel und ernte, denn die Stunde zu ernten ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist reif geworden.«

Die Sichel ist geworfen. Die Menschheit steht schon im Gericht, und dieses Gericht ist ein Teil der Endzeit. Aus dem eschatologischen Inhalt und seiner Interpretation durch den Maler erhalten eine Reihe von Formen und Gebilden zu ihrer kompositionellen Funktion eine zweite Deutungsschicht. Die als Trabanten der großen Spiralkörper erscheinenden sieben roten, gelben und gelb-roten Zungen, welche sich selbständig und aggressiv nach vorne und unten bewegen und der rechten, unteren Bildhälfte eine besondere Dynamik verleihen, sind die in der Geheimen Offenbarung benannten Geister Gottes, die Licht- und Feuerzungen des Heiligen Geistes. Drei andere Flammen, die in der linken Bildhälfte, wie aus der Spirale herausgeschleudert, auftauchen und sich gegen die dunstige Zone durchsetzen, sind weitere Zeugen des Lichtes und seiner Kraft. Sie können in ihrer Dreizahl als die göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe gedeutet werden.

Aus der Sieghaftigkeit des endzeitlichen Tages wird deutbar, warum das dunkelrote, schräge Viereck im mittleren Vordergrund, das eine entscheidende Aufgabe in der Komposition besitzt, in sich die Ambivalenz von hinweisend und fallend hat und farbig sowohl festlich wie finster erscheint. Es gehört der dunklen, zerbrechenden, vorderen Bildschicht an und empfängt zugleich in seinem Fallen ein abendliches Aufglühen durch den morgendlichen Tag.

DAS NEUE HIMMLISCHE JERUSALEM

In anderer Weise und nur aus der künstlerischen Bewältigung des Farbraums verstehbar, haben die drei, den Spiralkörper bildenden, schwebenden, grünen Felder eine doppelte Farbigkeit, nämlich eine unsichtbare und doch vorhandene, helle, vom rückwärtigen Eigenlicht des Bildes beleuchtete Fläche und eine sichtbare, die sich verdunkelt, je näher sie dem Bildrand kommt.

Die Tektonik der zarten Farbschichtungen des Bildgrundes wird vom Inhalt her zu einer Architektur aus Licht und Edelsteinfarben. Eine neue Stadt baut sich auf und erhebt sich nach vorne, die Stadt des Lammes, das neue Himmlische Jerusalem. Sie tritt in einem unaufhaltsam vordrängenden Wachsen an die Stelle der dunklen Architektur des Bösen. Deren schwere und doch kippende, mauerähnliche Form, von Dunst und makaber-schimmeliger Farbigkeit umgeben, trägt in sich eine Gestalt, die sich aus einem rotblau gestreiften Band, einer bis zum Boden reichenden Schrägen und einem umbra-farbenen Viereck bildet. Diese Binnenform hat etwas von einem schlangen-Iöwenhaften Tier an sich, jenem uralten Symbol des Bösen. Schließlich stehen auf der rechten Bildseite ein scharfes Chromoxydgrün unten und ein glühendes Rot oben in einem Bezug zueinander. Sie erscheinen als eine rein farbige Interpretation »einer neuen Erde und eines neuen Himmels«.

Der Morgen des endzeitlichen Tages ist da. Die himmlische Liturgie tritt an die Stelle der irdischen Liturgie, die, heilig und groß, doch nur ein Vorspiel, ein Übergang zur himmlischen Liturgie des Lammes ist. Darum reicht das kultische Geschehen am Altar hinein in die Vision des Johannes. Darin begegnen sich Altar und Bild in der Kirche »Regina Martyrum«.


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