Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth

# Predigt des Superintendenten

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth

Vom Küchenfenster aus kann ich ihn sehen – den Hahn. Thront auf dem Kirchendach und glänzt goldfarben in der Morgensonne. Sehen kann ich den Hahn und ihn hören – nicht den auf dem Dach natürlich, es gibt noch einen anderen – mit rotem Kamm und grünem Federschwanz. Die Familie von gegenüber hält ihn zusammen mit vier Hennen in einer Voliere. 

Jeden neuen Tag begrüßt er mit seinem Kikeriki – manchmal schon gegen 5 Uhr früh. Ein besonderer Wecker. Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn irgendwas nicht stimmt oder Gefahr droht, kräht er auch – wenn ein Greifvogel in der Luft kreist oder ein Fuchs um die Voliere streift: „Kikeriki!“ Doch oft kräht er auch ohne jeden ersichtlichen Grund. 

Sein Vetter aus Messing dagegen schweigt eisern, dreht sich nur manchmal leicht im Wind hin und her. Eine besondere Wetterfahne - fester Bestandteil so vieler Kirchen seit der Geschichte, die auch Lukas erzählt … 

Die Soldaten ergriffen Jesus aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich mitten unter sie. Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen und sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Er aber leugnete und sprach: Frau, ich kenne ihn nicht. Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin’s nicht.

Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm; denn er ist auch ein Galiläer. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. 

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth – ruft die Magd, als sie Petrus eine Weile im Schein des Feuers studiert hat. Wie Recht sie doch hat – Petrus war mit Jesus, ja noch mehr: Er hat sein Leben mit ihm geteilt, alles für ihn aufgegeben. Er war mit Jesus all die Jahre und will auch jetzt mit ihm sein, ihm nah bleiben in seinem Leiden, in Verhör, Folter und Tod – gerade jetzt ihm beistehen. Der Fels sein für den Freund. 

Die anderen Jünger verschwinden in der Nacht, als Jesus abgeführt wird. Nicht so Petrus, er folgt den Soldaten, die Jesus in Gewahrsam haben – in gehörigem Abstand, versteht sich. Petrus bleibt dran und geht ein Risiko ein. Mischt sich im Hof des Hohenpriesters einfach unter die Soldaten, Knechte und Mägde, die sich um ein frisch entzündetes Feuer versammelt haben. Sich hier die Hände und Füße aufzuwärmen – eine heiße Sache, brandgefährlich sogar. Ein falsches Wort, ein Hinweis an die Soldaten und Petrus findet sich mit gebundenen Händen neben Jesus wieder. Ganz schön mutig oder ganz schön leichtsinnig, zumal er mit dem Gesicht im Schein des Feuers noch leichter zu identifizieren ist. 

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth – ruft die Magd und Petrus fühlt ein Dutzend Augenpaare auf sich gerichtet. Er könnte geschickt abwiegeln, sich rausreden, das Thema wechseln oder die Magd mit einer Frage verunsichern. Doch Petrus bekommt es mit der Angst zu tun, kriegt trotz seines Platzes an der Feuerstelle so richtig kalte Füße, reagiert heftig und unüberlegt, streitet ab, Jesus zu kennen. 

Schließlich schaltet sich ein anderer ein, der am Feuer sitzt, fragt noch mal nach. Wieder leugnet Petrus. Und wieder einem anderen fällt der galliläische Dialekt auf, den Petrus spricht. Doch Petrus streitet alles ab -  in breitestem Galliläisch natürlich. So als würde man einen waschechten Berliner seine Herkunft auf den Kopf zusagen und der würde antworten: „Wat soll ick sein?“ Petrus verleugnet hier nicht nur Jesus, sondern auch sich selbst, wo er herkommt, wer er ist, sein Leben, alles was er geglaubt hat. Ist es nur die Angst vor Verhaftung und Folter, die ihn treibt oder ist es die Scham, dass alle Hoffnungen, die er mit Jesus verbunden hat, nun zunichtegemacht und lächerlich geworden sind?

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Vielleicht liegt auch Spott in diesen Worten? Vielleicht feixt die Magd am Feuer über einen, der augenscheinlich aufs falsche Pferd gesetzt hat. Petrus jedenfalls wird beim dritten Versuch, das Offensichtliche abzustreiten, das Wort abgeschnitten. „Kikeriki“ schallt es durch die Nacht. 

Ein Weckruf, ein Warnsignal, eine Erinnerung an die Worte Jesu: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Dreimal verneint Petrus Jesus, dreimal. Drei Tage wird Jesus vollkommen verneint und vernichtet sein – in der Grabeshöhle, im Reich des Todes. Drei Tage, doch dann … Scheint hier schon etwas Österliches durch?

Gemälde: Im Vordergrund ein beschämter Petrus und Frauen vor einer Treppe. Auf den Stufen stehen ein Hahn und Hühner. Im Hintergrund ein dunkler Säulengang, in dem Jesus abgeführt wird.

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth. Auf dem Bild des dänischen Malers Carl Bloch kommt alles in einer Szene zusammen: Die Worte der Magd, während sie auf Petrus zeigt, der Hahn, der auf den Stufen zum Palast des Hohenpriesters kräht, der Blick Jesu, den er Petrus über die Schulter zuwirft, während die Soldaten ihn im Hintergrund abführen, und das schmerzverzerrte Gesicht von Petrus.

Auf dem Bild von Bloch ist Jesus im Halbdunkel, es ist nicht genau zu erkennen, ob er Petrus traurig anblickt, vorwurfsvoll oder voll Wärme und Liebe. Klar ist, diesem Blick kann Petrus nicht ausweichen, er trifft ihn mehr noch, als der Hahnenschrei das könnte. Er öffnet ihm die Augen über sich, bevor sie sich mit bitteren Tränen füllen. 

Tränen lügen nicht – in seinen Tränen ist Petrus ganz wahrhaftig und echt, in ihnen liegt sein Versagen, seine Scham, seine Liebe und die Möglichkeit zur Umkehr und zum Neuanfang. Manchmal sind es nur unsere Tränen mit denen Gott neu beginnen kann. In einem tausend Jahre alten Gebet heißt es: „Herr du hast deine Kirche gegründet auf die Briefe des Paulus und die Tränen des Petrus.“

Grabstein von Johannes Rau auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, Berlin

Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth – das steht auch auf einem Grabstein, der auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin zu finden ist. Es ist das Grab von Johannes Rau. Ein kleines Bronzerelief auf dem Stein zeigt sein Porträt. Dass er Bundespräsident war und Ministerpräsident, Oberbürgermeister – steht da alles nicht. Nur der Name, die Lebensdaten und die Worte „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“. Ein beeindruckender Nachruf, wie ich finde. 

Christ zu sein, war Johannes Rau offensichtlich so viel wichtiger als das Bundespräsidentenamt und seine sonstigen Verdienste, die Worte der Magd sollen ihm die schönste Auszeichnung sein. Aus seinem Glauben hat Johannes Rau nie einen Hehl gemacht und so legt auch sein Grabstein ein Bekenntnis ab: Mit Jesus sein – das ist es, was letztlich zählt und woran ein Leben sich messen lassen muss. Und weil es die Worte sind, die zuerst über Petrus gesagt wurden, steckt da auch eine feine Selbstrelativierung drin: Wir Menschen sind wie Petrus immer brüchige Felsen – angefochten und fehlbar. Wir können nur mit Jesus sein, weil er zuallererst mit uns ist.

Vom Küchenfenster aus kann ich ihn sehen – den Hahn. Thront auf dem Kirchendach und glänzt goldfarben in der Morgensonne. Auf vielen Kirchendächern und –Türmen ist er zu finden. Mahnt er alle die ihn sehen zum furchtlosen Bekenntnis? Oder erinnert der Hahn als Wetterfahne an die Gefahr, dass der Glaube schal wird, wenn er sein Fähnlein in den Wind des jeweils Opportunen hängt? 

Ich glaube der Hahn auf dem Dach meint etwas anderes. Er ist ein Hoffnungszeichen, ein Bote des Lichts und der Freude. Selbst in dunkler Nacht, spürt der Hahn schon den Anbruch des neuen Tages – wie ich manchmal um 5 Uhr feststellen kann. Auch die Frauen wird er damals geweckt haben, bevor sie sich in der Dämmerung auf den Weg zum Grab gemacht haben - an dem Morgen, der alles verändert hat.  

Amen.

Superintendent Florian Kunz

Predigt nach Lukas 22,54-62 

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