„Zum einen war der Karfreitag als Feiertag der evangelischen Bevölkerung ein Gedenktag: dem Gedenken des Leidens Jesu gewidmet, aber auch dem Gedenken an die Verfolgungen, Deportationen, Ausweisungen und Ermordungen, die die Protestanten in Österreich während der Gegenreformation erdulden mussten, und dem Gedenken an die Verweigerung der Gleichstellung weit über die Gegenreformation hinaus. Mit der Abschaffung des Karfreitags als staatlichem Feiertag wurde ein Denkmal geschleift, ein Mahnmal des Schuldbekenntnisses und der Anerkennung einer Minderheit als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Zum anderen bleibt die Art und Weise der Abschaffung in Erinnerung. Der Ton der Missachtung einer Minderheit […] und die Demütigung ihrer Repräsentanten hinterlässt als bitteren Beigeschmack die Frage, wie denn eine Regierungspartei mit Gruppen, die nicht wichtig erscheinen, umzugehen gewillt ist.“ [1]
1. Historischer Rückblick
Im Zuge der Novelle zum Feiertagsruhegesetz (BGBI. Nr. 227/1955) wurde der 8. Dezember (Mariä Empfängnis) als gesetzlicher Feiertag verankert. In derselben Parlamentssitzung wurde von den (evangelischen) sozialistischen Abgeordneten Pittermann und Spielbüchler ein weiterer Antrag eingebracht: Dem seit langen bestehenden Wunsch der Evangelischen Kirchen Österreichs nachzukommen, den Karfreitag – in Hochschätzung des Kreuzes Christi (Luther: „guter Freitag“) – ebenso zum Feiertag zu erheben. Die Umsetzung folgte einer bereits 1952 getroffenen Lösung zwischen der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund. Als arbeitsbefreit wurden nur Mitglieder jener Kirchen angesehen, auf die das Gebot einer besonderen Karfreitagspflege zutraf. Dies wurde im Sinne des Minderheitenschutzes umgesetzt, jedoch von Beginn an von der Kritik begleitet, warum kein „Feiertag für alle“ geschaffen wurde.
2. Hintergrund 2015–2019
Im Jahr 2015 ging eine Klage am Arbeits- und Sozialgericht Wien ein, dass es sich um eine Diskriminierung handle, wenn am Karfreitag nur Mitglieder der Evangelischen Kirchen A.u.H.B., der Methodistischen Kirche sowie der Altkatholischen Kirche frei hätten. Die Österreichische Arbeiterkammer unterstützte die Klage. Infolgedessen entschied der Europäische Gerichtshof, dass Ungleichbehandlung aufgrund von Religionszugehörigkeit unzulässig sei. Das Urteil fiel am 22.01.2019. Die bisher bestehende Karfreitagsregelung wurde außer Kraft gesetzt. Vertreter*innen genannter Kirchen und aus der Politik begannen sich daraufhin für einen „Feiertag für alle“ in Österreich einzusetzen, um der Diskriminierung entgegenzutreten. Dies wurde seitens der Regierungskoalition abgelehnt. Rasch ging es nicht mehr um die religiösen Anliegen der Protestanten, sondern vorwiegend um die wirtschaftlichen Auswirkungen eines zusätzlichen freien Tages.
Alternativvarianten zum Karfreitag als vollem Feiertag – wie ein möglicher „Tausch“ mit dem Pfingstmontag oder ein „halber Feiertag“ ab 14:00 – wurden angedacht, aber nicht umgesetzt. Einen Tag nach der Präsentation einer neuen Karfreitags-Regelung im Nationalrat, stimmten ÖVP und FPÖ im Plenum dafür, den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag zu streichen. Der Gesetzgeber hat stattdessen einen „persönlichen Feiertag“ für alle Arbeitnehmer*innen geschaffen. Dieser ist dem normalen jährlichen Urlaubskontigent zu entnehmen und mindestens drei Monate im Voraus anzumelden
3. Evangelische Feststellungen
Der Karfreitag stellt für die protestantische Christenheit (und darüber hinaus!) keinen Urlaubstag nach klassischem Verständnis dar. Abseits des eigentlichen religiösen Gehalts dient ein Feiertag zum Gedenken des Kreuzestodes Jesu nicht der Erholung der Arbeitnehmer*innen, sondern der Stillung eines gemeinschaftlichen religiösen Bedürfnisses. Es wurde nicht beachtet, dass die neue Gesetzesregelung massiv in die Sphäre der inneren Angelegenheit der Kirche – etwa die zeitliche Festlegung ihrer Gottesdienste – eingreift. Bei der Abschaffung von Feiertagen handelt sich um einen Paradigmenwechsel hin zu einer Privatisierung der Religion. Es stellt sich die Frage, warum man damit gerade bei Minderheiten beginnt?
Seit jeher zeugen die spezifische Liturgie, die Schlichtheit der Kirchenräume, die Passionsmusik (J. S. Bachs), die Zahl der Gottesdienstbesuchenden sowie die Einschaltquoten der Radio- und Fernsehgottesdienste von der überragenden Bedeutung des Karfreitags. Es gehört zum Selbstverständnis der Evangelischen, Methodistischen und Altkatholischen Kirchen, dass dies über die eigenen Traditionen hinaus für die gesamte Christenheit gilt. Die Rechtfertigung des damaligen Kanzlers Kurz, dass sich mit der Abschaffung des freien Karfreitags für 96% ohnehin nichts ändere, sorgte unter evangelischen Christinnen und Christen für tiefe Irritation. „Abgesehen von dem damit implizierten Umgang mit Minderheiten im Allgemeinen ist daran zu erinnern, woher diese Minderheitensituation des Protestantismus in Österreich kommt. Sie beruht auf der Gegenreformation, den Ausweisungen, Emigrationen und Zwangsdeportationen aus Glaubensgründen.“ Es erscheint sonderbar, in einem Land, in dem das Kruzifix in öffentlichen Räumen symbolisch für die Grundwerte einer Gesellschaft steht, ausgerechnet den Karfreitag, als Ursprung des Symbols, geringzuschätzen. Der Gekreuzigte steht nicht allein für die kommende Erlösung, sondern auch dafür, den Leidenden beizustehen sowie Leid und Unrecht in der Gesellschaft etwas entgegenzuhalten.
In der aktuellen Situation reicht es nicht mehr aus, auf Minderheitenrechte einer kleinen Kirche zu pochen. Die Gesellschaft wird pluraler, Grundwissen – gerade um spezifisch protestantische Kernelemente – schwindet. Die Aufgabe scheint daher eine doppelte zu sein:
Die Vermittlung der Bedeutung des Karfreitags und seiner Chancen für die Gesellschaft.
Den Karfreitag als Feiertag für alle Österreicher*innen zu etablieren bzw. einen zusätzlichen Urlaubstag für alle zu erreichen, der auf religiöse Festtage gelegt werden kann.
4. Nationalratswahl 2024
Lediglich die ÖVP bekannte sich im Jahr 2019 ohne Einwände zur heute gültigen Lösung der Karfreitagsfrage. Der Koalitionspartner FPÖ tendierte zum „halben Feiertag“, die SPÖ zu einem Feiertag für alle, NEOS befürchtete einen hohen bürokratischen Aufwand durch den „persönlichen Feiertag“ und die Liste JETZT sprach sich dafür aus, eine Gesetzesvorlage zur pauschalierten Entschädigung diskriminierter Arbeitnehmer*innen zu erarbeiten. In Anbetracht der geänderten politischen Verhältnisse sowie der nahenden Nationalratswahl – voraussichtlich im Herbst 2024 – ist es für die Evangelische Kirche A.B. in Österreich an der Zeit, sich verstärkt für den Karfreitag als gesetzlichem Feiertag einzusetzen. Dafür möchten wir mit allen Parteien ins Gespräch kommen – sowohl mit den Spitzenkandidat*innen, als auch mit (potenziell zukünftigen) Nationalratsabgeordneten. Zurecht sind wir stolz auf unsere demokratischen Strukturen, die eine Beteiligung aller Ebenen vorsieht und fördert. Wir möchten auf eben diesen Ebenen an die Bedeutung des Karfreitags erinnern. Damit wird unser Anliegen nicht zuletzt breitenwirksam sichtbar. Wir verstehen uns damit auch solidarisch mit anderen Kirchen und religiösen Minderheiten Österreichs, abseits der katholischen Mehrheit.
5. Vorgehen
Die Mitglieder der Evangelischen Kirchen sind eingeladen, ein breites Bewusstsein für den Karfreitag zu schaffen. Der Bischof wird das Gespräch mit hochrangigen Politiker*innen suchen. Die Gemeinden werden gebeten, sich an „ihre“ politischen Abgeordneten zu wenden. Dies führt zum Dialog auf der Bezirksebene bis zu den jeweiligen Nationalratsabgeordneten. Der Karfreitag soll als gesellschaftliches Thema an Brisanz gewinnen. Das Bewusstsein um die Geschichte seit 2019 motiviert die Evangelischen Kirchen zu handeln.
Bischof Chalupka wird an Parteispitzen und Nationalratspräsident*innen herantreten. Neben dem zentralen religiösen Hintergrund haben gerade politische und arbeitsrechtliche Themen seit 2019 nochmals an Brisanz gewonnen. Auch diese spielen eine Rolle in den Debatten um den Karfreitag als „Feiertag für alle“.
Auf Ebene der Bundesländer werden die Superintendenten gebeten, bei Landeshauptleuten und deren Vertreter*innen anzufragen.
Die Gemeinden der Evangelischen Kirche erhalten Listen der Nationalratsabgeordneten, geordnet nach Bundesland bzw. Wahlsprengel. Auf diesem Weg können sie das Gespräch mit „ihren“ Mandataren suchen und diese nach ihrem Vorgehen bez. des Karfreitags im Falle ihrer Wiederwahl befragen. Pfarrer*innen wie Gemeindeglieder werden herzlich eingeladen, dieses zentrale Anliegen der Evangelischen Kirchen zu unterstützen.