Jüdische Musik von heute

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Jüdische Musik von heute

Jüdische Musik von heute

Das Interview mit Bobby Rootveld (br) führte Uli Meyer-Spethmann (ums).

ums       Hallo Bobby, schön, dass ich mich mit Dir über jüdische Musik unterhalten kann. Du bist in den Niederlanden geboren und aufgewachsen. Seit wann hast Du Dich mit Musik beschäftigt? Und wann und wo ist aus der Beschäftigung Dein Beruf geworden?

br           Meine Eltern sind Musiker. Ich habe mich schon immer mit Musik beschäftigt. Schon als Kind war ich mit ihnen in den Niederladen und in Dänemark auf der Bühne. Seit ich 18 Jahre alt bin, ist Musik zu meinem Beruf geworden. Ich bin zur Musikhochschule gegangen und habe gleichzeitig Musik gespielt, um damit mein Geld zu verdienen. Ich habe also nie etwas anderes gemacht als Musik.

ums       Wie ist denn Deine Berufsausbildung gelaufen? Du bist ja ein richtiger Musikpädagoge und Du bist ein Berufsmusiker.

br           Ja, ich habe an der Musikhochschule Enschede studiert und bin dort als Konzertmusiker und als Musikpädagoge ausgebildet worden. Zusätzlich habe ich noch ein Nebenstudium gemacht, an der Schauspiel-Akademie in Arnhem. Das Schauspielen zu lernen ist meistens mit dem Thema Musik verbunden. Als Kind habe ich angefangen, bei meinem Vater Gitarre zu spielen. In Alter von 15 bin ich schon zu einem vorbereitenden Studium an die Musikhochschule gegangen. Nach meinem Schulabschluss am niederländischen Gymnasium habe ich gleich mein Studium aufgenommen.

ums       Das Kulturhaus NIHZ hast Du mit Sanna van Elst, Deiner Frau, vor über 10 Jahren hier in Nordhorn gegründet. Was habt Ihr Euch mit diesem Projekt für Ziele gesetzt?

br           Wir hatten uns mehrere Ziele gesetzt, diese haben sich aber nach Jahren teilweise geändert. Es war uns zuerst wichtig, ein Kulturhaus für Ausstellungen, Musikfestivals, Konzertreihen, Musikkurse und Musikwettbewerbe zu gründen. Im Laufe der Jahre haben wir festgestellt, dass das, was wir am meisten mögen, Sachen sind, die sich nicht ausschließlich mit Musik beschäftigen, sondern auch mit Themen wie Judentum, Christentum und religiöse Geschichte zusammenhängen. Es gibt viele Verbindungen zwischen diesen Themen und der Musik. Heute laden wir meistens zu Kulturabenden ein, deren Komponenten Musik, Dialog und Vortrag sind. Das machen wir jetzt vor allem mit dem Verein „Erinnerung mit Zukunft“. Gemeinsam mit diesem Verein, dem viele tolle Menschen aus Nordhorn angehören, laden wir zu einem Programm, das nicht nur musikalisch interessant ist. Wir befassen uns seit 2010 – auch wegen meiner jüdischen Wurzeln – verstärkt mit gesellschaftlichen Themen. So haben sich die Ziele des Kulturhauses ein bisschen gewandelt.

ums       Ich möchte nun gerne zum Thema „jüdische Musik“ kommen. Gibt es eine typische jüdische Musik?

br           Ja, es gibt eine typische jüdische Musik, mit bestimmten Tonleiterfolgen und deren Variationen, bestimmten Arten von Kompositionen. Die typische jüdische Musik besteht aus Klezmer Musik, Ladino-Musik (sephardische Musik), religiös-jüdischer Musik, Holocaust-Musik, jiddischer Musik, israelischer Musik und traditionell hebräischer Musik. Sie wurzelt in einer uralten indischen Musik. Diese hat sich von Indien aus in die ganze Welt verbreitet und überall die jeweils regionale Musik bereichert.

ums       Ich habe auf Eurer Website gelesen, dass Ihr Euch speziell mit der Musikrichtung Klezmer befasst. Was ist das Besondere für Euch an dieser Musikrichtung?

br           Wir befassen uns sehr mit Klezmer Musik, weil ein Teil meiner Vorfahren aus Osteuropa kommt. Sie sind Aschkenasim, aschkenasische Juden, das sind Juden eben vor allem aus Osteuropa. Die Stetls waren die Ursprungsorte der jüdischen Klezmer Musik. Diese Musik zu spielen, bietet mir eine direkte Verbindung zu meinen Vorfahren. Das ist die Musik, die in meiner Familie viel gespielt und gehört wurde. Wir fühlen uns so mit unserer Familie sehr verbunden. Diese Musik ist sehr schön und auch sehr schön zu spielen. Die Klezmer Musik hat keinen festen Ablauf. Bei einer Fuge von Johann Sebastian Bach zum Beispiel muss man das so spielen, wie Bach das in der Barockzeit komponiert hat. Bei Klezmer Musik hat man eher eine Melodie und ein paar Akkorde und man kann dann selbst das Lied gestalten, man kann Improvisationen hinzufügen, man kann Noten hinzufügen, da ist man sehr frei. Jedes Mal ist es spannend Klezmer zu spielen, weil wir ein Lied nie 100% noch mal so spielen wie beim letzten Mal. Es ist jedes Mal eine Herausforderung, zu schauen, wie sich das Lied beim Spielen entwickelt. Das gefällt uns sehr gut. Es ist mir sehr wichtig, diese Musik zu spielen, die nah bei meinem Herzen und nah bei meiner Herkunfts-Familie ist.

ums       Du forschst auch zum Thema Musik zu Zeiten des Holocaust. Konnten verschiedene jüdische Musikrichtungen diese Zeit überleben und gingen damals Musikrichtungen verloren?

br           Eigentlich haben die Musikrichtungen den Holocaust alle überlebt. Liednoten haben überlebt, bestimmte Aufnahmen haben überlebt, aber eine Weiterentwicklung hat eigentlich kaum stattgefunden. Die Musiker der jiddischen Lieder und der Klezmer Musik sind entweder geflüchtet – z.B. nach Amerika und haben sich dort meistens der Jazzmusik zugewandt – oder sie sind ermordet worden. Alte jiddische Lieder wurden zwar noch gespielt, aber es sind seitdem unfassbar wenig neu komponiert worden. In der normalen Rock- und Popmusik hat es immer eine Weiterentwicklung gegeben genau wie in der klassischen Musik. Bei der jüdischen Musik ist es zu einem Halt gekommen. Erst in den letzten Jahrzehnten gab es wieder mehr und mehr Leute, die es versuchen, auch bei den jüdischen Musikrichtungen neu zu komponieren. Uns selbst ist das auch sehr wichtig. Wir nehmen gerade eine CD mit 15 neuen jiddischen Liedern auf, die ich selbst komponiert habe. Wir wollen sehr, dass sich die jiddische Musik weiterentwickelt. Entwicklung geht nur, wenn es wieder ein neues Repertoire gibt.

ums       Du bist zusammen mit Sanna zeitweise im Jahresverlauf als Dozent an der Musikhochschule in Tel Aviv tätig. Was erteilt Ihr beide dort für Unterricht?

br           Meine Frau und ich sind ein paar Monate im Jahr in Tel Aviv tätig. Sanna gibt Unterricht in Blockflöte und Ensembles, ich unterrichte Gitarre sowie Ukulele und gemeinsam unterrichten wir jüdische Musik. Die Eigenart bei der Klezmer Musik ist, dass die meisten Musiker ihre Musik von Vorspielen und Nachspielen gelernt haben. Sie können sehr gut spielen, es aber meist selbst musikpädagogisch nicht gut weitergeben. Sie sagen „spiel das mal nach“, aber sie können nicht erklären, warum diese Noten und warum diese Technik zu verwenden ist. Sanna und ich haben eine musikpädagogische Ausbildung bekommen und uns intensiv mit Klezmer Musik beschäftigt. Wir vermitteln auch die Fähigkeit zur Improvisation. Mein Gitarren- und Ukulele-Unterricht behandelt die Musik zwischen Klassik und Rock.

ums       Welche Musik ist zurzeit in Israel populär? Gibt es aktuell besondere Musikrichtungen, die Menschen in Israel bevorzugen?

br           Es gibt im Moment ein paar Musikstile, die sehr populär sind. Auffällig ist eine Vorliebe für Musik mit Beat und R’n’B (Rhytm & Blues), manchmal kombiniert mit Gesang, mit Rapp und mit arabischen und jüdischen Tonleiterfolgen. Oft gibt es ein oder zwei Klezmer Instrumente oder arabische Instrumente dazu. Man könnte das als eine Art Oriental R’n‘B oder Oriental Disco oder Pop bezeichnen. Das hört man oft in den letzten Jahren, in jedem Restaurant, fast überall. Die jungen Leute haben auch immer mehr Interesse an der alten jiddischen und Klezmer Musik. Nach dem Ende des Holocaust wurde gesagt, man solle diese alte Musik nicht mehr spielen. Das erinnere zu sehr an die, die im Holocaust gestorben sind, und man solle an das Weiterleben denken. Aber in den letzten Jahren spürt man, dass gerade die jungen Leute fragen und sagen: „Was haben meine Großeltern und Urgroßeltern gehört und selbst gespielt? Das möchte ich kennenlernen.“ Das spürt man auch am Erfolg von YUNG YIDISH, das ist ein Begegnungszentrum mitten in Tel Aviv mit der größten jiddischen Bibliothek der Welt. Dort gibt es aber auch eine Bühne und sie haben Veranstaltungen, Lesungen und Konzerte. Es treffen sich hier alle Leute vom ultraorthodoxen Juden bis zu Leuten aus der LGBTQ+-Community. Junge Leute sitzen dort zusammen und versuchen Jiddisch zu lernen und zu sprechen. Und dort spürt man, dass sie ein großes Interesse haben an der alten Kultur. Wo kommt meine Familie her? Wie haben die gelebt? Was haben die gehört? Was haben die gespielt?

ums       Bobby, ich danke Dir ganz herzlich für das Interview!

 

 

 

 

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