Sollte Gott auf Erden wohnen?

# Predigt des Superintendenten

Sollte Gott auf Erden wohnen?

Auf diesen Tag hat er so lange gewartet. König Salomo weiht den Tempel ein. Was für ein erhebender Moment. Jahrelang haben sie geplant. Das schönste, das größte Haus, das je gebaut wurde, aus Marmor, Zedernholz und Gold.

Der heiligste Ort. Gottes Wohnung auf Erden. Das Herz der Welt. Und irgendwie auch Salomos Lebenswerk, ein Symbol für sein Königtum, steingewordener Beweis, dass er und seine Dynastie gesegnet sind, Kinder des Höchsten.

Die Priester blasen die Widderhörner. Der Chor singt Psalmen. Auf dem Altar prasselt das Feuer. Es duftet nach Weihrauch und es riecht nach dem brennendem Fett der Opfertiere. Der Wind trägt den Rauch nach oben. Alle sind ergriffen. Manchen stehen Tränen in den Augen.

Auf diesen Moment hat er so lange gewartet. König Salomo steht mitten im Tempelhof vor dem großen Altar im Sonnenschein. Er breitet seine Arme aus zum Himmel und betet mit lauter Stimme. Seine Worte hat er sich wochenlang überlegt:

Herr, Gott Israels, es ist kein Gott, weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen …

Doch dann passiert, was nicht passieren darf in so einem Moment: Salomo verliert den Faden, kommt vom Konzept ab. Es passiert, was passiert, wenn man betet. Worte strömen aus dem Herzen, die der Kopf sich nicht zurechtgelegt hat: 

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?

In Festtagspathos und Marmorglanz ein feiner Zweifel: Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Salomo wird plötzlich klar: Gott ist größer. Viel größer als alles. Weiter als der Himmel, höher als die Berge, tiefer als das Meer, mehr als der Sand. Und noch viel schöner als dieses Haus aus Marmor, Zedernholz und Gold.

Wie es wohl war bei der Einweihung dieses Hauses aus Ziegeln, Belgisch Granit, Kalkstein und Eichenholz?

Welche Gedanken und Gefühle strömten da durch Köpfe und Herzen im Januar 1992 beim ersten Gottesdienst im neuen Gemeindezentrum Radeland? Einige von Ihnen waren dabei, werden sich erinnern …Vermutlich war die Freude groß über den neuen Kirchsaal und die anderen schönen Räume. Seit den 70er Jahren hatte die junge Kirchengemeinde in provisorischen Bauten Unterkunft gefunden, die aber marode geworden waren. Eine Reparatur lohnte nicht. So kam der Abriss und der Umzug ins neue Gemeinzentrum. Zur Einweihung predigte der damalige Bischof Martin Kruse. Was er wohl für Worte gefunden hat an diesem festlichen Tag?

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?

Fragt sich König Salomo. Eine gut protestantische Frage. Denn der Protestantismus ist von jeher skeptisch gegen alle menschlichen Versuche Gott auf bestimmte Orte festzulegen, ihn zu Wohnzwecken einzuhegen. Der Katholizismus denkt da anders. Katholische Kirchen sind ausgewiesene Wohnstätten Gottes. Im Tabernakel, dem Sakramentshäuschen wird das gewandelte Abendmahlsbrot aufbewahrt. Hier wohnt Christus auf geheimnisvolle Weise. 

Das ewige Licht, das vor dem Tabernakel brennt ist wie ein Klingelschild - ein sichtbarer Hinweis: Hier ist die Wohnadresse Gottes. Diese sinnhafte Gewissheit der Anwesenheit Gottes hat eine Schönheit, die besonders zum Ausdruck kommt, wenn gläubige Menschen vor dem Tabernakel auf die Knie fallen oder sich bekreuzigen, aber uns Evangelischen ist sie fremd und Theologen wittern, hier würde Gott quasi unter Hausarrest gestellt. Wenn wir Protestanten ein ewiges Licht aufstellen würden, dann am ehesten vor der aufgeschlagenen Bibel. Wohnt Gott nicht zuallererst in seinem Wort?

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Salomonischer Zweifel bei der Tempeleinweihung – das gab‘ s auch 1999 – sieben Jahre nach dem Radeland wurde ein etwas größeres Gotteshaus wiedereingeweiht – der Berliner Dom. Damals predigte der damalige Präses der rheinischen evangelischen Kirche, Peter Beier - auch so ein Salomo. Auf der prächtigen Kanzel unter der goldstrahlenden Kuppel hat er gesagt: „Die Wahrheit braucht keine Dome. Das liebe Evangelium kriecht in jeder Hütte unter und hält sie warm.“ 

Recht hat Peter Beier gehabt, die gute Nachricht erklingt auch in der Bretterbude, vielleicht dort manchmal sogar echter und unmittelbarer als in einer großen Kathedrale. Gott braucht keinen festen Wohnsitz, schon gar nicht in neobarocker Pracht. Gott braucht keine Häuser. 

Menschen brauchen Räume, die uns staunen lassen 

Aber wir Menschen brauchen sie. „Ich gehe gern in Kirchen“, hat mir mal eine bekannte Schriftstellerin erzählt, „denn auch als Agnostikerin habe ich hin und wieder ein Bedürfnis nach Transzendenz“. Ja, wir Menschen brauchen Räume, die uns staunen lassen von der Schönheit und Weite des Glaubens, die uns entrücken aus unserem Alltag, wo wir ein Stück Ewigkeit schmecken wenn sich Sonnenlicht in buntem Glas bricht und Orgelklänge glänzen „Heilige Räume“, auch für uns Protestanten sind sie das. Aber nicht, weil Gott hier sicher zu haben ist. Heilig sind sie, weil sie durchbetet sind, weil so viele Menschen vor uns hier ihre Freude und ihre Trauer vor Gott getragen haben. 

Ich vermute, jede und jeder von Ihnen hat seine Geschichte mit diesem Ort an dem wir heute versammelt sind. Vielleicht hat die eine oder der andere hier sogar die eigene Trauung gefeiert, oder sein Kind über das Taufbecken gehalten? Wir Menschen hängen an den Orten und Räumen, die mit unseren Lebenswegen verbunden sind. Das ist auch hier so und deshalb liegt heute Traurigkeit in der Luft. Tröstlich ist: Dieser Kirchsaal bleibt ein Raum des Singens und Betens. Kita-Kinder werden ihn mit Leben füllen und hier in den Glauben hineinwachsen – wie gut. Und: Das ist heute kein Abschied vom Radeland: Die Sonntagsgemeinde wird sich weiter an diesem Ort versammeln, nur ein Stockwerk tiefer. Umzug, statt Abschied. Die vertrauten Herzstücke Altar, Taufbecken und Lesepult kommen mit – auch der neue Raum wird ein schöner Gottesdienstort, da bin ich sicher.

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen …

Ja, Gott ist größer als Tempel und Dome, Kirchen und Gemeindezentren, selbst das Universum bietet keinen Wohnort für ihn. Gott hat keine Residenzpflicht, Lokalangebundenheiten und Ortsverstrickungen gelten für ihn nicht. Gott ist nicht Immobilie, sondern sehr mobil. Überall ist er und doch nicht nirgends, denn er ist da, spürbar. „Gott ist so groß, dass ihm das Kleinste nicht zu klein ist“, schreibt Dietrich Bonhoeffer. In den Brüchen und Trümmern des Lebens, in den kleinen vagen Hoffnungen mit denen ich lebe, in den unscheinbaren Freuden meiner Tage ist Gott gegenwärtig. In allem Lachen in jedem Weinen ist Gott da.

Denn das ist das Wundersame: Wenn Gott selbst für die Himmel aller Himmel zu groß ist, in unser Herz passt er rein. Da will er einziehen. Von allen Orten wo er sein kann, sucht er sich unser kleines Menschenherz. Ein Herz, das ihn sucht und liebt und nach ihm fragt. Martin Luther hat in einer Predigt gesagt: „Das sollt ihr wissen, dass uns Christus näher ist als das Gewand, das wir auf dem Leib tragen!“ Fassen Sie doch mal ihr Gewand an, liebe Gemeinde, spüren Sie Ihr Herz das darunter schlägt. Sie sind der Tempel. Sollte Gott hier wirklich wohnen? Ja.

Florian Kunz

Predigttext 1. Könige 8,22 bis 28. Predigt gehalten im Gemeindezentrum Radeland am 28. April 2024.

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