
Predigt zu Johannes 16,5-15
Mir wird wehmütig zumute, als meine Kinder Anfang dieser Woche stolz ihre großen Koffer in Richtung Kita schieben. Zum ersten Mal verreisen sie ohne mich. Gleich für zwei Übernachtungen werden sie mit den anderen Zugvogelkindern, also mit denen, die im Sommer in die Schule kommen, unterwegs sein. Mein Herz klopft. Die beiden sind doch noch so klein! Hoffentlich wird keinem gleich bei der Busfahrt schlecht! Ob sie Heimweh bekommen? Und nicht, dass nachher unser Handy klingelt, weil eins der Kinder beim Toben vom Hochbett gefallen ist…! Solche Gedanken begleiten mich am Montagmorgen. Gleichzeitig staune ich, dass meinen Kindern der Abschied viel leichter fällt als mir.
Wenn Kinder Schritt für Schritt flügge werden, kann es für Eltern eine Herausforderung sein, sie auch loszulassen. Gerade heute am Muttertag mögen sich manche erinnern, wie es früher bei ihnen und ihren Kindern gewesen ist.
Abschiednehmen kann schwer sein. Das weiß, wer schonmal einem Zug hinterhergeblickt hat oder vor einer Absperrung am Flughafen stand. Noch schwerer ist es, wenn ungewiss ist, ob wir uns wiedersehen…
Wie mögen sich die Jünger nach Himmelfahrt gefühlt haben, als ihr Freund und Lehrer nicht mehr bei ihnen war? Jesus war zu Gott aufgefahren. Er, auf den sie stets geblickt hatten, der ihnen Orientierung gab und dem sie folgten, war von ihnen gegangen – hin zu Gott. Als Jesus diesen Abschied ankündigte, hatten sie davon nichts wissen wollen. Zu schmerzhaft! Nach den erschreckenden Erlebnissen am Kreuz hatten sie Jesus doch gerade erst wieder! Um nichts in der Welt wollten sie ihn wieder hergeben, auch nicht für einen „Geist“ oder „Tröster“, von dem Jesus spricht.
Nun war Jesus von ihnen gegangen. Sie konnten ihn nicht mehr sehen. Doch sie wussten, er lebt. Seine Abschiedsworte klangen ihnen noch im Ohr. Ich lese unseren Predigttext aus Johannes 16,5-15: Jesus spricht:
5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.
Liebe Gemeinde,
könnt Ihr mit den Jüngern fühlen? Spürt Ihr, wie wenig sie Jesus bei seinen Gedanken folgen können? Es solle sogar noch gut für sie sein, dass er von ihnen gehe? Sonst könne dieser Geist, der Tröster, nicht zu ihnen kommen? Was sollen sie sich unter dem Tröster vorstellen?
Wer möchte denn schon hören, dass jemand weggeht, den man sich nicht wegdenken mag? Die Aussicht auf eine Vertretung war jedenfalls für mich erstmal kein Trost, als mir mein Kollege Claus Nungesser eröffnete, er werde weggehen. Ich habe den Moment in seinem Büro noch lebhaft vor meinem inneren Auge. Mein erster Impuls war: „Nein, das geht nicht. Das ist nicht wahr! Wir sind doch ein eingespieltes Team. Ich schaffe es nicht allein.“ Auch wenn es mir später gelungen ist, im allerersten Moment konnte ich mich nicht so gut mitfreuen über die spannende neue Stelle, die Claus als Studienleiter am Predigerseminar in Loccum haben würde. Und es war mir kaum ein Trost, dass er gleich versuchte, mir Mut zu machen: „Es werden sich für die Vakanzzeit Lösungen finden. Du wirst nicht allein dastehen. Diese Gemeinde wird auch ohne mich eine gute Zukunft finden.“ Auch wenn Claus mit all dem recht behalten hat, ich glaube, einigen von euch ging es zuerst ähnlich wie mir. Ich hörte: „Wir haben uns so an ihn gewöhnt.“ Jemand sagte: „Er hat mich in einer Krise gut begleitet. Zu ihm habe ich Vertrauen. Ich hätte mich gern wieder an ihn gewandt.“ Viele seufzten: „Er wird uns fehlen.“
Doch Claus hatte recht, als er uns sagte: „Kein Mensch ist unersetzlich.“ Unersetzlich war, wie wir gehört haben, selbst Jesus nicht. Wo eine Lücke entsteht, wenn jemand weggeht, bieten sich Möglichkeiten, dass sich die Dinge neu finden, anders weitergehen. Langsam entsteht Neues, das sonst nicht möglich gewesen wäre und das mit der Zeit auch einen Wert entwickeln kann.
Für all das ist viel Kraft nötig: Sich in der neuen Situation aufraffen, sich mit anderen zusammentun, zu fragen: Wer kann die Aufgaben übernehmen? Sich auf neue Personen einstellen. Für die Jünger ist es keine sichtbare Person, die nach dem Weggang von Jesus kommt. Sie bekommen für Jesus keine Vertretungsperson, so wie wir in der Vakanzzeit Pastor Jörg-Stefan Tiessen. Natürlich lässt sich die Situation der Jünger nicht eins zu eins mit der unsrigen vergleichen. Denn Jesus ist kein normaler Mensch und daher braucht es mehr als eine gewöhnliche Vertretung: Jesus hat den Jüngern den Heiligen Geist verheißen.
Erst einmal soll der Heilige Geist eins für die Jünger sein: Ein Tröster, damit ihre Herzen wieder leicht werden. Dann werden sie wieder klare Gedanken fassen und wieder offen werden für die Worte, die Jesus zu ihnen spricht. Der Geist wird sie später nicht nur trösten, er wird ihnen auch helfen, Wahrheit und Gerechtigkeit zu erkennen, die Jesus damals lehrte. Er wird ihnen Zuversicht schenken, dass Jesus weiterlebt, bei Gott, nur unsichtbar aber nicht gänzlich unerreichbar. Und der Geist wird ihnen Glauben schenken, dass Gottes Zusagen über allem stehen und dass kein Fürst der Welt dem etwas anhaben kann.
Damals nach dem Abschied von Jesus waren die Jünger voller Trauer. Doch wie ging es weiter? Wir wissen: Die Jünger haben sich ohne Jesus gut organisiert. Sie gründeten Gemeinden, wählten Vorsteher und verteilten diakonische Aufgaben unter denen, die dafür geeignet waren. Die christliche Gemeinschaft wuchs, wurde stärker und überstand politische Widerstände und Verfolgung. Heute, fast 2000 Jahre später, sind wir Christen mit über 2,5 Milliarden Gläubigen eine große Weltreligion. Wenn da nicht der Heilige Geist mit Macht am Werk gewesen ist?
Jesus hat diesen kraftvollen Geist nicht nur den Jüngern versprochen, sondern allen Menschen. Dieser Geist ist bei allen Veränderungen, die wir erleben, die bleibende Konstante. Er ist da, wenn wir im Leben mit Herausforderungen und Abschieden konfrontiert werden. Und ich bin sicher, besonders in den vergangenen Monaten war er auch in unserer Gemeinde am Werk.
Als Claus Nungesser ging, haben wir es geschafft, uns gemeinsam zu arrangieren. Wir haben anfallende Aufgaben anders verteilt. Viele haben dazu beigetragen. Und wir haben Jörg-Stefan Tiessen als Vertretungspastor kennen- und schätzen gelernt. So haben wir uns auf den Weg gemacht und langsam wieder zuversichtlicher nach vorn geblickt. Spätestens seit sich Yvonne Ziaja bei uns beworben hat und gewählt wurde, ist der Trauer über den Abschied die Vorfreude auf die neue Pastorin gewichen.
Der Neuanfang birgt Chancen. Neues wird wachsen. Yvonne wird ihre Fähigkeiten und Stärken hier einbringen und wir freuen uns darauf! Jetzt können wir wieder nach vorn blicken.
Es gibt unterschiedliche Abschiede. Der Abschied eines Pastors aus einer Gemeinde ist sicher leichter zu verschmerzen als ein Abschied für immer von einem geliebten Menschen. Wenn jemand stirbt und Trauernde zurückbleiben, hat der Heilige Geist besonders viel zu tun. Manchmal reicht es nicht Trost zu geben, manchmal hilft Trost nicht weiter, aber das Gefühl, nicht allein zu sein, sich trotz allem gehalten zu wissen. Auch hilft vielen der Gedanke, dass der liebe Verstorbene den gleichen Weg geht wie Jesus, nämlich zu Gott und dass er dort geborgen sein wird. Ich glaube aber, die häufigsten Abschiede, die wir im Leben erleben, sind aber die kleineren, die nicht für immer sind.
Liebe Gemeinde, welche Abschiede habt Ihr schon erlebt? Was hat euch Kraft gegeben? Ich wünsche uns, dass Gottes Heiliger Geist uns alle begleitet, bei den großen und den kleinen Abschieden und Herausforderungen in unserem Leben. Schon an den kleinen Erlebnissen können wir wachsen und Zuversicht schöpfen.
Übrigens: Meine Kinder, die ich am Montag schweren Herzens verabschiedete, sind inzwischen wohlbehalten, erfüllt und glücklich von ihrer Ausreise wiedergekommen. Auch dieser kleine Abschied hat Kraft gekostet. Doch die Kinder sind in der Zeit gefühlt ein ganzes Stück gewachsen an Mut, Selbstvertrauen und Selbstständigkeit. Ein Abschied, der im Nachhinein wirklich sein Gutes gehabt hat!