von Lars Meyer
Im Mai haben viele Menschen in Europa und sogar darüber hinaus den Eurovision Song Contest geschaut. Auch ich war einer der zahlreichen Zuschauenden. Viele verschiedene Teilnehmende, die ein buntes Fest der Musik gefeiert haben. Gewonnen hat am Ende der Beitrag aus der Schweiz von Nemo. Musikalisch bin ich wohl nicht in der Lage, den Ausgang zu bewerten, aber ich finde den Beitrag besonders inhaltlich spannend und gut. Denn der Name Nemo kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Niemand". Am Ende des größten Musikwettbewerbs steht also Niemand auf der Bühne und singt ein zweites Mal an diesem Abend den Song "The Code“.
Nemo hat lange Zeit diesen Code, dieses Rätsel des eigenen Lebens nicht entschlüsselt bekommen, denn Nemo ist non-binär, was bedeutet, dass Nemo sich keinem binären Geschlecht - also weder Mann noch Frau - zuordnet. In einer Welt in der Menschen abseits der Normen so gut wie nie vorkommen, ist Nemo vielleicht oft ein Niemand. Das ist vielleicht für viele Menschen erst einmal befremdlich, denn die allermeisten sind so aufgewachsen, dass es eben zwei Geschlechter gibt und dementsprechend jeder Mensch diesem simplen Schema zugeordnet werden kann. Wenn das nicht mehr klappt, dann fühlt sich das komisch an, weil das eigene Weltbild in Frage gestellt wird. Aber schaue ich mir den Text von "The Code" an, dann wird deutlich, wie schwer diese Sache erst für Nemo sein muss: "Ich bin durch die Hölle gegangen und habe nun das Rätsel gelöst. Jetzt habe ich das Paradies gefunden.“
In meiner Arbeit mit queeren Christen, Christinnen und nicht binären Gläubigen habe ich leider oft solche Lebensgeschichten gehört: "Ich weiß nicht, wer ich bin." oder "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre." Und auch ich selber kenne genau diesen Punkt im Leben. Das sind für mich wirklich schreckliche Aussagen von Menschen, die an Gott glauben. Denn die wohl zentralste Botschaft, die vom Kreuz ausgeht, ist doch, was wir in der Bibel lesen können: "Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder Mensch, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat." (Johannes 3,16)
"Gott liebt dich!" Das ist das, was wir als Christen Menschen weitergeben wollen. Gott kennt dich und er liebt dich. PUNKT. Die alles entscheidende Frage dabei ist: Glaubst du das? Kannst du das annehmen, dass Gott dich so annimmt, wie du bist?
Und da erlebe ich immer wieder zwei "Ja, ABER...": Auf der einen Seite das innere ABER, das es dem Menschen schwer macht, diese bedingungslose Liebe anzunehmen. Der Theologe und Autor C.S. Lewis hat das mal so beschrieben, dass diese inneren Kämpfe davon genährt werden, indem Zweifel in uns immer wieder die Frage aufwerfen "Warum sollte dieser große Gott mich lieben? Ich mach immer wieder Dinge falsch und was ist an mir schon liebenswert für einen guten Gott?!" Wenn in uns das Gefühl ist, dass wir jemand anders sein müssen, damit Gott uns lieben kann, dann ist in der Frage schon der Fehler. Denn die Liebe, die uns im Kreuz begegnet, ist ein klares Statement Gottes.
Das äußere ABER kann ganz unterschiedlich aussehen: "Ja, Gott liebt dich, ABER bevor du wirklich dazu gehörst, musst du dich verändern." Oder: "Ja, du bist angenommen, ABER du musst schon glauben, wie wir es tun." Dieses ABER kann viel kaputt machen. Zumal ich bei Jesus dieses ABER nicht ablesen kann. Denn Jesus ist auf Menschen zugegangen und hat sie angenommen. Der verlorene Sohn, der nach Hause kommt - sein Vater nimmt ihn bedingungslos an. (Lk. 15)
Ich wünsche mir eine christliche Gemeinschaft, in der Menschen diese bedingungslose Liebe vorgelebt bekommen, weil sie angenommen werden - ohne ein ABER. Eben eine Gemeinschaft, in der Jemand wie Nemo kein Niemand bleibt, sondern dazugehört. In der wir einander begegnen und uns gemeinsam auf unseren Weg machen. Heißt das, dass wir alles verstehen müssen? Nein. Es heißt aber, dass wir uns in Liebe miteinander auseinandersetzen und ich bin davon überzeugt, dass diese Vielfalt, die wir dabei entdecken werden, nicht unseren Glauben in Frage stellt, sondern einen großen Schatz hervorbringen wird. Und ich wünsche mir, dass diese Zusage Gottes in unseren Gemeinden wahrgenommen und ausgestrahlt wird - Du bist geliebt - PUNKT. Dein Lars