Nachlese mit Video: Zweiter Abend der Reihe "Schöpfung!" mit Ottmar Edenhofer

# Ökologie - St. Peter und Paul

Nachlese mit Video: Zweiter Abend der Reihe "Schöpfung!" mit Ottmar Edenhofer

Den Vortrag können Sie in voller Länge hier nachschauen. 


Am 07.06. fand der zweite Abend unserer Reihe "Schöpfung!" im Pfarrsaal St. Peter und Paul statt. Prof. Ottmar Edenhofer sprach zum Thema "10 Jahre Enzyklika Laudato Si'. Botschaften, Erfolge und (enttäuschte) Hoffnungen" und kam mit den Anwesenden im fast vollbesetzten Pfarrsaal ins Gespräch. 

Die vier Etappen des Abends bilden: (1.) Warum die katholische Kirche eine Soziallehre hat, (2.) Aufbau von Laudato Si', (3.) Zentrale Themen und wissenschaftliche Hintergründe, und (4.) Wirkung, Würdigung und Herausforderungen. 

Im ersten Schritt zeigt Ottmar Edenhofer auf, wie die Enzyklika eine neue Etappe der katholischen Soziallehre darstellt und beginnt mit einem historischen Abriss: Vom klassischen Naturrecht  bis zum neuzeitlichen Naturrecht haben sich die Vorränge zwischen "Gutem" und "Gerechtem" gewandelt. In der Moderne entwickelt sich der Vorrang des "Gerechten" vor dem "Guten", dem tugendhaften Leben, und die Aufgabe von Staaten ist es, Gerechtigkeit im Zusammenleben herzustellen. Die katholische Kirche des 19. Jahrhunderts lehnte diese neuzeitliche Soziallehre ab, zusammen mit dem weltanschaulich neutralen Staat, der liberalen Demokratie und den Menschenrechten. In ihrer Soziallehre wendet sie sich aber dennoch der Arbeiterfrage zu und trug zur Entwicklung des Wohlfahrtsstaates bei. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter Papst Johannes XXIII. werden die Menschrechte anerkannt und das Gerechtigkeitsprinzip anerkannt. Die Kirche nimmt sich der Frage an, wie die Gesellschaft reformiert werden kann. 

Die Enzyklika Laudato Si' steht in dieser Tradition der Zuwendung zum Nachdenken über Gott und Gerechtigkeit nach Immanuel Kant. Gleichzeitig füllt sie Leerstellen, die die moralische Krise der Gegenwart zum Ausdruck bringt - und deren Fazit ist: Der Staat hat sich um das gute Leben, das als solches auch politische Bedeutung hat, zu kümmern. Die Enzyklika stützt sich erstmals auf die Naturwissenschaften, richtet sich an alle Menschen unseres Planeten, fordert den fortgesetzten Dialog zwischen Wissenschaft und Religionen, und bejaht sowohl die Pluralität im Christentum als auch die Pluralität der Religionen.

Der Aufbau der Enzyklika entspricht dem Schema "Sehen, Urteilen, Handeln". Sehen heißt, die Wissenschaft ernst nehmen. Urteilen heißt die Beurteilung im Lichte der philosophischen Ethik und Theologie. Handeln heißt, es werden Reformen gefordert. Ziel der Enzyklika sind Handlungsoptionen, und damit steht sie ganz in der Tradition der katholischen Soziallehre. Die Kirche tritt damit als Teil einer sozialen Bewegung auf den Plan. Als Forderung im Urteilen steht im Zentrum, dass die Menschheit die Verantwortung für die technische Entwicklung übernehmen muss. 

Zentrale Thesen der Enzyklika sind, dass wir Zeitzeug:innen einer beispiellosen Zerstörung der Ökosysteme sind, und sie zeigt das exponentielle Risiko durch Überschreiten der Kipppunkte: Wir setzen durch unser Handeln Kräfte frei, über deren Wirkung wir uns überhaupt keine Rechenschaft ablegen. Als Schlüsselsatz der Enzyklika hebt Ottmar Edenhofer Absatz 23 hervor: "Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut, von allen und für alle." Die Anerkennung der globalen Güter als Gemeinschaftsgüter durch die Enzyklika als internationales Dokument ist mit dieser Aussage erstmals erfolgt. Dies führt zur zentralen Handlungsforderung: Der Großteil der fossilen Reserven, die der Menschheit noch zur Verfügung stünden, muss untertage bleiben. Daraus entsteht für die Menschheit eine völlig neue Aufgabe: Es ist das erste Mal in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Menschheit, dass wir uns selbst auf der Basis ethischer Einsicht eine Knappheit auferlegen müssen. Dass die Enzyklika diese Auflage ins Zentrum der Betrachtung rückt, macht sie einzigartig in der Sozialverkündigung der Kirche. 

Die universale Bestimmung der Erdengüter ist ein alter Topos in der Moraltheologie und geht zurück auf Thomas von Aquin. Diese universale Bestimmung ist dem Privateigentum und den nationalen Souveränitäten vorgelagert. Diesen Eingriff in die Eigentumsrechte sieht die Enzyklika und benennt sie. Die internationalen Klimakonferenzen setzen sich mit dieser Entwertung der Vermögensbestände auseinander. Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Armut wurde in der Vergangenheit zuerst von den Bischöfen von den Philippinen und aus Lateinamerika als Thema für die katholische Kirche forciert, denn in ihren Ländern erfahren sie die Auswirkungen sehr stark. Die klimabedingten Einkommensverluste bis 2049 werden im Mittel weltweit minus 20 Prozent ausmachen, in Afrika minus 50 Prozent. 

Ottmar Edenhofer hinterfragt zum Schluss kritisch die Einschätzungen der Enzyklika hinsichtlich Emissionshandel und Wirtschaftswachstum. Beides bewertet die Enzyklika negativ. Ottmar Edenhofer hebt hervor, dass der Emissionhandel dazu führte, dass die EU ihre Emissionen reduzieren konnte, und auch, dass die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Emissionen möglich ist, was die erfolgreichen Entwicklungen in der EU unter dem New Grean Deal beweisen. 

Als Wirkung und Würdigung stellt Ottmar Edenhofer heraus, dass die Wirkung der Soziallehre der katholischen Kirche beträchtlich ist, und zieht eine Studie heran, nach der sich die Menschenrechtssituation in Ländern, in denen Papstbesuche stattgefunden haben, verbessert haben (mit Ausnahme der Frauenrechte, was nicht mehr zu tolerieren ist, angesichts der Tatsache, dass der Papst den Einfluss hätte, auch die Geschlechtergerechtigkeit weltweit voranzubringen). Auch in der Wissenschaft hat die Enzyklika Laudato Si' eine einzigartige Rezeption erfahren. Das führende Wissenschaftsorgan "Nature" hat eine Sonderausgabe zur Enzyklika herausgegeben. Damit wird ein neues Zeitalter des Dialogs zwischen Wissenschaft und Religionen eröffnet. 

Die Herausforderungen für die Kirche(n) sind groß: Unter anderem müssen sie sich von Rechtspopulismus abgrenzen, Stellung beziehen gegen Autokratie bzw. für Demokratie und dafür einstehen, dass das Klima nicht gegen Migrationsfragen ausgespielt wird. Die kirchlichen Hilfswerke müssen das Thema Klimawandel und Armut noch stärker als zentrale Herausforderung thematisieren. In den kirchlichen Bildungseinrichtungen bedarf es einer globalene Offensive zum Thema. 

Ottmar Edenhofer schließt mit einem Wunsch und einer Vision für die Weltklimakonferenz COP 2025 in Brasilien: Papst Franziskus reist im Rahmen der COP in den Amazonas und erklärt, dass der Amazonas ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist, für dessen Schutz sich die Weltgemeinschaft gemeinsam verpflichtet. 



(Karin Pfundstein)


Ottmar Edenhofer ist Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels an der TU Berlin. Außerdem ist er Berater des „Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ des Vatikans, das sich für die Stärkung von Gerechtigkeit einsetzt – insbesondere für Flüchtlinge und Staatenlose, die ihre Heimat aufgrund von Gewalt, wirtschaftlichen Krisen oder Naturkatastrophen verlassen mussten, sowie für Kranke und Arme.

Ottmar Edenhofer auf der Seite des PIK - Potsdam Institut für Klimafolgenforschung


Zum Weiterlesen im Thema, mit Ottmar Edenhofer: 

Ottmar Edenhofer, Christian Flachsland (2020): Laudato si'. Die Sorge um die globalen Gemeinschaftsgüter. - In: Voges, S. (Ed.), Christlicher Schöpfungsglaube heute. Spirituelle Oase oder vergessene Verantwortung?, (Edition Weltkirche ; 2), Ostfildern : Matthias Grünewald Verlag, 35-50.

Ottmar Edenhofer: Laudato Sí und globale Gerechtigkeit. SIEBEN THESEN ZUR PÄPSTLICHEN ENZYKLIKA „LAUDATO SI“ (2017) (pdf: https://www.pik-potsdam.de/mem...)


Die Enzyklika Laudato Si', veröffentlicht auf der Webseite des Vatikans: 

ENZYKLIKA LAUDATO SI’ VON PAPST FRANZISKUS. ÜBER DIE SORGE FÜR DAS GEMEINSAME HAUS




Die Dokumentation zu allen Abenden der Reihe "Schöpfung!" 2024 finden Sie auf folgender Seite: 

https://www.allerheiligen.de/reihe-schoepfung-2024

Sukzessive werden dort die Materialien zu den jeweiligen Abenden eingestellt. 


Der Ausschuss "Ökologie mit Haus und Hof" der Gemeinde St. Peter und Paul

Webseite des Ausschusses "Ökologie mit Haus und Hof"

Dies könnte Sie auch interessieren