Predigt vom 24. März 2024 gehalten von Pastor Bertolt Kark-Carlson in Landkirchen zur Verabschiedung

# Neuigkeiten

Predigt vom 24. März 2024 gehalten von Pastor Bertolt Kark-Carlson in Landkirchen zur Verabschiedung

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch, Amen.

Liebe Gemeinde!

Was für einen Empfang bereiten sie in Jerusalem dem Gottessohn! Eine große Menge an Menschen geht ihm entgegen – heraus aus der Stadt, in der schon in wenigen Tagen sein Ende besiegelt wird, seine Verurteilung zum Tode. 

„Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Und genau das werden die anderen, seine Gegner, ihm zum Vorwurf machen und ihm oben ans Kreuz schreiben mit den berühmten 4 Buchstaben: „INRI“ – ein lateinisches Kürzel, zu Deutsch: „Jesus von Nazareth, König der Juden“ – Nein, so weit wollen sie es nicht kommen lassen. Jesus weiß, dass seine letzte Stunde hier auf Erden bald kommen wird. Und doch geht er unbeirrt seinen Weg zu Ende, zieht in Jerusalem ein. Das Volk, das ihm zujubelt, weiß von alledem nichts, begegnet ihm mit Ehrerbietung, streut ihm Palmzweige auf den Weg. Er ist angekommen bei ihnen, hat längst ihre Herzen erobert. So viel Gutes hat er getan; von manchem Wunder erzählt man sich: Den toten Lazarus gar soll er wieder auferweckt haben!

Hinzu gesellt sich seine machtvolle Rede. Wortgewaltig legt er sich an mit der Obrigkeit und mit denen, die ihm eine Falle stellen wollen. Unter den Pharisäern, die im heutigen Evangelium genannt werden, gibt es einige, die aufgrund ihrer strengen, gesetzlichen Frömmigkeit ihre Probleme haben mit dem Auftreten und mit der Verkündigung Jesu. „Alle Welt läuft ihm nach,“ sagen sie resignierend, „wir können nichts ausrichten.“ – „Der ist uns über; da müssen wir zu anderen Mitteln greifen.“ Wer wie Jesus unerschrocken die Wahrheit ausspricht und sich einsetzt für die Rechte der Unterdrückten und der Schwachen – wie es in unserer Zeit ein Nawalny getan hat, der russische Oppositionelle, der muss selbst mit Unterdrückung rechnen und in einem Unrechtsstaat gar mit dem Tod.

Noch aber jubeln sie im Volk, die ahnen nichts von dem Ungemach, das dem Gottessohn droht. 

Und ich selbst – wo stehe ich? - Hier oben auf der Kanzel - Wie oft habe ich von hier aus und von den Kanzeln in den anderen Kirchen Fehmarns gepredigt… Leicht abgehoben? - Hoffentlich nicht!

Ich sehe mich inmitten der großen Menschenmenge mit dem Palmzweig in der Hand, freudestrahlend, Beifall klatschend, auch wenn ich mit dem heutigen Wissen weiß, was auf Jesus zukommt mit Geißelung und Kreuzigung und Auferstehung.

Er ist auch bei mir angekommen. So mische ich mich unters Volk, reihe mich ein als einer von ihnen, einer von vielen, mit denen ich mich verbunden fühle. 

So habe ich es gehalten von vornherein hier auf unserer Insel, eher unbewusst mit meiner Art, anfangs noch weniger bekannt, unscheinbar, unauffällig, unaufdringlich und doch auf meine Mitmenschen zugehend, Fehmaraner und Gäste. 

Als junger Pastor und Familienvater mit meinen drei Töchtern, heute sind schon 2 Enkeltöchter dabei, war ich noch gekleidet mit meiner schwarzen Lederjacke und trug eine etwas längere Haarpracht. Im Supermarkt in der Schlange an der Kasse sprach ich ein vor mir stehendes älteres Ehepaar an, fragte es, ob es hier Urlaub mache. Nein, sagten die beiden, sie wohnten hier auf Fehmarn, hielten nun ihrerseits mich für einen Feriengast. Wir machten uns bekannt miteinander; ich stellte mich als der neue Pastor vor. Die beiden erzählten mir sogleich, dass sie bald ihre Goldene Hochzeit haben würden. Daraufhin fragte ich sie, ob sie sich denn schon überlegt hätten, ihr Ehejubiläum in der Kirche mit einem Gottesdienst zu feiern! Das hatten sie nicht. Ein paar Wochen später sahen wir uns dann tatsächlich an deren runden Hochzeitstag in der Kirche wieder. Es war mein erstes „Goldenes“ Brautpaar. Ein anderes Mal - ich weiß nicht mehr so genau, wie es dazu kam - setzte ich mich zu einer älteren Dame mit auf die Bank auf dem Alten Friedhof in Burg. Sie war gerade am Grab ihres Mannes gewesen. Es ergab sich ein intensives Gespräch, das meinerseits mehr aus dem guten Zuhören bestand. Es war Frau Heide, die damalige Seniorin von Teppich-Heide. Für sie hatte das Gespräch eine ziemliche Bedeutung. Später erinnerte sie mich des Öfteren an unser erstes persönliches Zusammentreffen. Sie hatte mir in der Zeit, in der ich allein war, übrigens einmal die Woche einen Topf mit Mittagessen vor die Tür gestellt. Das Goldene Brautpaar und Frau Heide habe ich längst schon zur letzten Ruhe geleitet. 

So gab es vielerlei Begegnungen, ein miteinander Bekanntmachen auch mit jungen Menschen. Auf einer Party, zu der mich die Gemeindegruppe der jungen Erwachsenen eingeladen hatte, fragte ich einen jungen Mann, was er beruflich mache. Er antwortete mir: „Versicherungsvertreter!“ „Und was machst du?“ „Och,“ entgegnete ich, „in einem gewissen Sinne versuche ich auch, Menschen mehr Sicherheit für ihr Leben zu geben. Ich bin Pastor!“ „Und ich bin Papst,“ kam seine schnelle und prompte Antwort. Ehrlich gesagt, an seiner Stelle wäre es mir auch schwergefallen, meinem Gegenüber in dieser Hinsicht Glauben zu schenken. Von der Erscheinung her passte ich eher in die Riege der jungen Erwachsenen… und ich sagte mir: - ich spreche auch heute noch oft mit mir selbst - ich sagte mir: „Siehst du, Bertolt, etwas Besseres kann dir nicht passieren. So gewinnst du Menschen, weckst ihr Interesse womöglich für ein weitergehendes Gespräch. 

- Immer fein „Du selbst bleiben“. Später habe ich dann schon mal bei anderen Gelegenheiten gesagt, wenn ich mich vorstellte - und wenn es passte - mit dem gewissen Schalk im Nacken: „Bitte keinen Schreck bekommen… ich bin Pastor.“ Und das hoffentlich nicht abgehoben…

…als einer, der um sein Amt und seine Aufgabe weiß, sich aber einreiht in das Volk, das Jesus entgegengeht. Es ist eine Frage von Nähe und Distanz. Menschen nahe sein in ihrer Not und ihrer Freude, Lachen und Weinen mit ihnen teilen und sich zugleich bewusst machen: „Du bist und bleibst der Pastor.“ „Du kommst… und du gehst auch wieder.“ Du kommst in viele Häuser, nimmst vieles mit, musst aber auch loslassen können. Sonst bist Du keine Hilfe, brichst unter der Last zusammen.

Mein Blick wandert aus der Menge heraus, sucht den, der zu uns und zu mir kommt. „Siehe, dein König kommt…“, heißt es. Wieso eigentlich König? Ja, in wenigen Tagen, da werden sie ihm die Dornenkrone aufsetzen, den purpurnen Mantel anlegen, ihn verhöhnen und verspotten. Und er wird sich nicht wehren. Wo sind da die, die ihm jetzt noch zujubeln! - Sind das dieselben, die - von den Gegnern Jesu aufgewiegelt - bald schon rufen werden: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“ Sind sie davongelaufen, verstecken sie sich, gehen in Deckung, sonst trifft es sie auch noch? Ich blicke auf ihn, der auf alles königliche Gehabe verzichtet. Er kommt nicht in einer Sänfte, reitet nicht hoch zu Ross, sondern auf einem Esel. Das kommt an bei mir: Er hat es nicht nötig. Umso mehr Kraft geht von ihm aus. Ich sinne darüber nach: Welchen Weg ist er gegangen. Was bereits wurde ihm in die Wiege, in die Krippe, gelegt an Beschwernis und Aufgabe, gleich nach seiner Geburt… die Flucht und Verfolgung bis hin zu seinem Ende am Kreuz! Und dazwischen? Seine Verkündigung mit dem Ruf in die Nachfolge, seine Mahnung, seine Verheißung, sein heilbringendes Wirken als Sohn des Allerhöchsten. Was alles bringt er mit auf dem Rücken des Esels?

Kein Leid ist ihm fremd und keine Traurigkeit. Geschaut hat er in menschliche Abgründe, hat aber auch mitgefeiert auf der Hochzeit. Ich sehe ihn und begreife: Was er getan hat, hat er auch für uns getan, für mich getan. Er sieht auch mich und schaut auf das, was ich getan habe: Worin bin ich ihm nachgefolgt, worin habe ich gefehlt? Vor allem aber denke ich an das, was er mir gegeben hat.

Unermüdlich ging er seinen Weg. Und doch brauchte auch er seinen Rückzugsort, Zeiten der Stille, der Ruhe, des Betens, fernab des täglichen Treibens. Wer so viel auf sich nimmt, der braucht auch Zeiten, neue Kraft zu schöpfen. All das sehe ich und stimme ein in das Lied, das wir vor der Predigt gesungen haben von Paul Gerhardt: „Wie soll ich dich empfangen und wie begeg´n ich dir?“

Wir kennen das, wenn sich besonderer Besuch ankündigt. Die Sorge: Sind Wohn- und Esszimmer hergerichtet? Wird die Speise schmecken? Kommen wir gut ins Gespräch miteinander? Willkommen soll sich der Gast fühlen! Auch Jesus wusste durchaus Gastfreundschaft zu schätzen. Ihn zu empfangen, meint aber noch anderes. Da genügt es nicht, zu jubeln und ihm Speis und Trank vorzusetzen. Zumal er selbst etwas mitbringt, von dem wir alle heute noch zehren. Und das ist sein göttliches Wort. Sein Wort will uns den Weg weisen. Dem sollen wir uns öffnen, dass es Eingang finde in unsere Herzen…

Ich denke zurück an meine allerersten Stunden im Konfirmanden-unterricht damals in Lübeck. Unsere erste Hausaufgabe bestand darin, einen einzigen Psalmvers auswendig zu lernen. Tatsächlich wurde ausgerechnet ich zu Beginn der darauffolgenden Stunde vom Pastor aufgerufen, aufzustehen und den Vers 105 aus dem Psalm 119 vorzutragen: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Etwas aufgeregt war ich schon, als erster vor der recht großen Schar an Konfirmanden zu sprechen. Seit jener Stunde aber hat mich dieses Wort begleitet und immer wieder beschäftigt. Für mich eine großartige Fügung: Dieser Vers mit seiner Metapher, seinem Bild, Gottes Wort: „Ein Licht auf meinem Wege.“ Ja - Wenn es finster wird, sich mein Leben verfinstert, ich wandern muss im finstern Tal, nicht mehr weiter weiß… so weiß ich dennoch: Einer ist an meiner Seite, der mir sagt: „Siehe, ich bin bei dir!“ Und je dunkler es ist, umso heller scheint selbst das kleinste Licht. Mir fallen dazu Worte ein wie: „Not lehrt beten!“ Ja. Oder: „In der Not zeigen sich die wahren Freunde.“ Aber es zeigt uns noch das andere: Nämlich: Was ist wichtig, was ist mir wichtig und von Wert in unserem doch so zerbrechlichen, brüchigen Leben! Das kann doch nur der innere Reichtum sein, innere Werte, die wir in uns tragen und die uns Gottes Sohn nahelegt mit seiner frohen Botschaft von der Güte und Gnade und Liebe Gottes, die er uns entgegenbringt und die wir in Jesu Namen weitergeben, Frieden stiftend, Beziehungen stiftend, auf dass wir selbst anderen ein Licht werden und uns gegenseitig leuchten mit einem mutmachenden, aufbauenden Wort, mit einer Geste und mit der Fähigkeit, auch mal die Stille auszuhalten. Das sind Werte, die uns keiner nehmen kann. 

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte,“ heißt es im ersten Teil. Zur Anschauung habe ich diese alte Petroleumlampe mitgebracht, die mir vor Jahren bei einer Haushaltsauflösung in die Hände fiel. Sie fand ihren Platz im Pastorat in meinem Arbeitszimmer im Regal, hatte sie dort im Blick. Sie erinnerte mich immer wieder an dieses Psalmwort. In unserem neuen Zuhause in Lübeck musste ich erst mal schauen, wo sie abgeblieben war. Ich fand sie im Keller, wo sie jedoch nicht bleiben soll.

So stelle ich es mir vor: Gottes Wort - Gebot und Verheißung, Mahnung und Zuspruch - leitet mich. Es leuchtet aber nicht wie ein großer Scheinwerfer oder Strahler weithin sichtbar den Weg vor mir aus, sondern allenfalls und immer nur den nächsten Schritt. - Was morgen sein wird, oder übermorgen oder in einem Jahr, das sehen wir nicht! Wir können nur einen Schritt nach dem anderen tun. Ob wir unsere selbstgesteckten Ziele erreichen, oder ob es uns ganz woanders hinführt und treibt, das steht in Gottes Hand. Der will uns schenken dieses Vertrauen, diesen Glauben an seine weise Führung. Er ruft uns und will uns schicken auf den Weg, so wie er einst den Abraham herausgerufen hat aus seiner gewohnten Umgebung, um ihm Neues zu eröffnen. Denn unser Leben kennt nicht nur den einen Weg. Welchen Weg wir aber auch nehmen, wir gehen ihn nicht allein. Denn Er findet immer den Weg zu uns… durch eine gute Freundin oder Freund, durch manche Fügung. 

Manchmal auch zeigt sich erst im Nachhinein, dass dieses oder jenes mir die Augen geöffnet und mich ein Stückchen weitergebracht hat. 

Mein Weg als Pastor im aktiven Dienst hier auf Fehmarn endet heute. Ich nehme nun gleich die Leuchte hier wieder mit, damit sie mich immer wieder erinnert an das Psalmwort und mir den nächsten Schritt weist. Und ich gehe meinen weiteren Weg im Vertrauen auf Gott hinein in einen neuen Lebensabschnitt. Und ich möchte weiter folgen dem lebendig gewordenen Wort Gottes, seinem Sohn.

Ein Teil von mir wird hier bleiben und lass ich los. Ein gut` Teil aber werde ich mitnehmen und dankbar bewahren in meinem Herzen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. 

Amen.

/DT

Dies könnte Sie auch interessieren