Ich habe schon viele Geschichten gehört, in denen der Sport Menschen zusammenbringt. Keine andere Sportart spielt in Deutschland eine so große Rolle wie der Fußball. In den Medien nehme ich gerade beim Profi-Fußball viel Problematisches wahr: Es gibt Ausgrenzung. Es gibt soganannte „Risikospiele“ mit Gewalt und viel Polizeieinsatz. Es gibt aber auch die andere Seite: Fan-Freundschaften. Einer, der sich da auskennt, ist mein Mann Holger, Mitglied im Fanclub Offensive Werder Bremen und Dauerkarteninhaber in der Bremer Ostkurve. Und so habe ich ihn einmal zum Gespräch gebeten:
Bei „Fan-Freundschaften“ dachte ich zuerst an zwei Fans, die für unterschiedliche Mannschaften begeistert, aber trotzdem befreundet sind.
Das gibt es natürlich auch. Fan-Freundschaft meint im Fußball aber noch mehr als das. Es gibt nämlich auch Freundschaften zwischen den Fanclubs zweier Mannschaften – wie zum Beispiel Werder Bremen und St. Pauli. Und es gibt sogar Vereine, die offiziell miteinander befreundet sind. Das ist zum Beispiel beim FC Schalke 04 und dem 1. FC Nürnberg der Fall.
Dabei sind die Vereine sportlich gesehen doch Konkurrenten. Wie entsteht dann so eine Freundschaft?
Meistens wahrscheinlich durch gemeinsame Werte oder gemeinsame Erlebnisse. Beim SV Werder Bremen und Rot Weiß Essen zum Beispiel ergab sich nach dem Finalspiel 1994 eine gemeinsame Feier der Fans – so etwas verbindet.
Jetzt gerade gibt es erste Verbindungen zwischen Werder Bremen und Union Berlin. Entstanden ist das eigentlich durch eine lustig gemeinte Ankündigung auf social media. 2020 hatte ein Werder-Fan den Union-Spielern (darunter auch drei ehemalige Werder Spieler) ein Kabinen-Bier versprochen für den Fall, dass sie Schützenhilfe leisten. (Anmerkung der Redaktion: Schützenhilfe nennt man es, wenn ein Sieg der eigenen Mannschaft nicht ausreicht, sondern gleichzeitig der direkte Konkurrent sein Spiel verlieren muss. Der Verein, der den direkten Konkurrenten besiegt, leistet dann Schützenhilfe.) Union hat mit der Bekanntgabe der Lieferadresse reagiert und das hat sich schnell verbreitet. Beide Vereine haben dann tatsächlich jeweils ihre Spiele gewonnen. Durch einen Spendenaufruf sind sehr schnell die gewünschten 100 Kisten Bier zusammengekommen. Und sogar noch viel mehr Geld, das dann für einen guten Zweck gespendet wurde. Dieses Jahr kam dann die Retourkutsche. Diesmal war es Werder Bremen, die mit dem Sieg über Bochum Schützenhilfe leisteten und für Union den Klassenerhalt sichern konnten. Eine Abordnung aus Berlin machte sich dann mit 120 Litern Bier auf den Weg, die vor dem Weserstadion an die Bremer Fanclubs übergeben wurden. Und anschließend ging es gemeinsam ins Stadion. Das war eine tolle Begegnung mit den Unionfans – richtig mit Gänsehaut.
Du sagtest vorhin, gemeinsame Werte tragen auch zu Fan-Freundschaften bei. Wie hast du das gemeint?
Viele Fußball-Clubs stehen nicht nur für Sport und Fairplay, sondern haben sich auch Werte wie Toleranz, Respekt und Gewaltfreiheit auf die Fahnen geschrieben. Bei Werder z.B. gibt es einen Ethik-Kodex, dem man beipflichten muss, wenn man offizieller Fanclub sein will. Da steht zum Beispiel auch drin, dass man andere Menschen respektiert, ungeachtet ihrer Herkunft oder sozialer Stellung, und dass man sich dafür einsetzt, dass von Werder-Fans keine Gewalt ausgeht. Ich finde diesen Kodex richtig gut. Er ist auch ein Grund, warum ich Fan von Werder Bremen bin. Der Verein setzt sich über den Sport hinaus für Werte ein, die ich teile. Sie positionieren sich zum Beispiel im Stadion deutlich sichtbar gegen Diskriminierung und Rassismus. Der Verein bringt auch die Fanclubs zusammen. Dafür gibt es vom Dachverband dann auch Aktionen mit den Fanclubs wie die Weihnachtsfeier oder Fanfeste. Fan-Freundschaften entstehen natürlich leichter mit anderen Vereinen, bei denen das ähnlich ist. So ist auch die Fan-Freundschaft in den letzten Jahren zum FC St. Pauli gewachsen – einem Verein, der ähnliche Werte vertritt und eher alternativ und politisch liberal auftritt.
Wie muss man sich so eine Fan-Freundschaft vorstellen? Wie wird das mit Leben gefüllt?
Auch das ist ganz unterschiedlich. Gemeinsame Aktionen der Fanclubs gehören natürlich dazu, so dass man sich auch persönlich kennen lernt. Fan-Freundschaften zeigen sich auch immer wieder in gemeinsamen Choreos bei den Spielen.
Was sind Choreos?
Das sind die Aktionen, die vor dem Spiel auf den
Tribünen gezeigt werden: Große Fanbilder, die über Menschenmassen entstehen. Oft sind das große Banner, die sich über die ganze Tribüne erstrecken oder Bilder, die entstehen, weil ganze Abschnitte gleichfarbige T-Shirts oder Capes anhaben. Unterlegt mit Fangesängen, die alle mitsingen können. So etwas wird vorher gut geplant und da müssen immer alle Fanclubs an Bord geholt werden. In dieser Saison gab es z.B. bei einem Werderspiel ein Gedenken an einen bekannten St.Pauli-Fan, der zuvor gestorben war.
Du bist auch Mitglied in einem Fanclub – wie kam das?
Auf dem Kirchentag in Dresden habe ich einen Stand entdeckt, den christliche Fußball-Fanclubs aufgebaut hatten. Darunter waren auch Werderfans. So bin ich zum christlichen Fanclub „Offensive Werder Bremen“ gekommen.
Der Stand war also gar nicht für einen Verein, sondern christliche Fußballfans verschiedener Vereine?
Das ist dann ja auch eine besondere Art der FanFreundschaft, oder?
Ja, genau. Da waren auch Vereine gemeinsam vertreten, die sich sonst nicht so gut leiden können. Neben Werder-Bremen-Fans standen da zum Beispiel HSV-Fans. Wir bemühen uns um Kontakte zu den anderen christlichen Fanclubs. Man besucht sich gegenseitig, trifft sich im Zusammenhang mit Auswärtsspielen, übernachtet auch mal bei den anderen. Auf diese Weise habe ich auch gute Kontakte nach Dortmund oder Leipzig und auch zum HSV. Wir feiern auch gemeinsame Gottesdienste. Der Glaube ist noch mal ein engeres Band zwischen uns. Wir bemühen uns außerdem, unsere Werte auch bei den Spielen zu transportieren. Wir setzen uns dafür ein, dass man freundlich mit anderen umgeht. Ich kann für meinen eigenen Verein sein, ohne die gegnerischen Fans oder Vereine zu beleidigen.
Das ist sicher in der Ostkurve nicht so ganz
unproblematisch.
Nein, denn da stehen natürlich auch Fans, die die Ethikrichtlinie nicht voll unterstützen. Ich finde es aber gut, dass Werder dann auch mit Stadionverbot reagiert, wenn es nötig ist. Zum Beispiel wurden rechts gerichtete Fangruppierungen nach schweren Gewalttaten innerhalb der Kurve ausgeschlossen.
Fußball hat eine große Integrationskraft. Er verbindet Menschen miteinander. Das sollte im Vordergrund stehen.
Danke für das Gespräch, ich wünsche euch viele weitere gute gemeinsame Fan-Momente.