Lieber Bodo, du hast in diesen 37 ½ Jahren viel erlebt und bewegt in Winz-Baak und auch darüber hinaus. Was hat dich besonders bewegt/erfreut? In der Gemeinde, während deines Berufslebens?
Die größte Erfüllung hat mir all die Jahre geschenkt, wenn ich nach seelsorglichen Begegnungen das Gefühl hatte, das sich hier gerade etwas Tragendes, Tröstliches, Liebevolles ereignet hat. Nach Krankenbesuchen etwa hatte ich oft das Gefühl, dass ich selbst beschenkt worden bin. Oder nach Seelsorgegesprächen war ich immer wieder in einer tiefen Dankbarkeit angekommen, dass mir so viel Persönliches anvertraut wurde. Nach Trauerfeiern durfte ich das Empfinden kennenlernen, dass etwas von der Kraft der Ewigkeit die Zeit angehalten hat und ein neuer Trost geboren wurde. Glücklich war ich auch, wenn Gottesdienstgemeinschaft gelungen ist.
Liebe Birgit, auch unser so gutes gemeinsames Arbeiten im Team mit Uwe und Dir ist ein Schatz, den ich immer in meinem Herzen bewahre. Das war überhaupt nicht selbstverständlich.
Dann bin ich auch froh über die vielen Teams, die es bis heute unter den Haupt- und Ehrenamtlichen in unserer Gemeinde gibt und die jeweils für sich eine wunderbare, kraftvolle Bewegung sind.
Eine helle Freude habe ich immer noch, wenn ich daran denke, wie wir 2002 die Kirche umgebaut haben. Das war ein begnadeter Prozess und hat weit über Winz-Baak hinaus Geschichte geschrieben.
Insgesamt durften wir das Gemeindezentrum zu einem Stadtteilzent-rum weiterentwickeln, in dem längst wöchentlich 300-700 Menschen ein- und ausgehen.
In diesem Zug freue ich mich über ungezählte große Feste in diesem Gemeindezentrum. Etwa beim Osterfeuer, beim Ökumenischen Gemeindefest, beim Erntedanktag oder beim Martinszug wie bei vielen Konzerten und anderen Kulturveranstaltungen jährlich schafft es unser tolles Orga-Team für eine Gastfreundlichkeit zu sorgen, die her-ausragend ist. Diese Gastfreundschaft wird auch von den Offenen Treffs unserer Gemeinde auf frohmachende Weise verkörpert.
Auch den Kirchlichen Unterricht habe ich immer gern gemacht. Die Jugendlichen in dieser wichtigen Phase ihres Lebens begleiten zu dürfen, ist auch ein Geschenk. Dabei habe ich es genossen, mit tollen Teamerinnen und Teamern zusammenarbeiten zu können.
Darüber hinaus bin ich sehr froh, dass ich wöchentlich am bewegen-den Gesang unserer Chorgemeinschaft teilhaben durfte, an dem einzigartig fröhlichen Miteinander im Kinderchor und am Singen mit Gänsehaut im Gospelchor.
Bewegt bin ich, dass unser Handeln in der Gemeinde insgesamt sich auch an den Anforderungen des nachhaltigen Lebens orientiert. Da sind der Weltladen, der Flohmarkt, die Photovoltaikanlage und das Foodsharing-Haus nur einige Stichworte.
In diesem Bereich blicke ich auch auf unsere Integrations- und Flüchtlingsarbeit zurück. Bis heute besuchen uns werktäglich Geflüchtete aus der Ukraine, um bei uns Kleidung und Gegenstände des täglichen Lebens zu bekommen, kostenlos. Ganz früh hatten wir auch schon Kirchenasyle durchgeführt. Und der Engel der Kulturen hat mit 2000 Gästen eine Heimat auf unserem Hof gefunden. Beeindruckend war, dass die Gemeinde 2015 bereit war, 50 Flüchtenden aus Syrien über Wochen die Kirche als Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Auch hatten wir bereits Anfang der 90er Jahre die ökumenische multikulturelle Initiative (MKI) gegründet. Insgesamt haben wir 60 unterschiedliche Veranstaltungen durchgeführt: Von Podiumsdiskussionen und Solidaritätskonzerten bis hin zu elf Internationalen Straßenfesten, bei denen immerhin die Rauendahlstraße gesperrt werden musste. Auch Nachtwachen und andere Solidaritätsmaßnahmen gehörten zur Tagesordnung.
Dankbar bin ich auch für die intensive und warmherzige Verbindung zu unseren Geschwistern aus Heilig Geist. Jahrzehntelang hat tiefes Vertrauen unser Miteinander geprägt. Auf der Basis solchen Vertrauens war es auch möglich, die Ökumenischen Stadtkirchentage in der Innenstadt oder auf dem Henrichshüttengelände durchzuführen.
Letztlich bin ich unserem Presbyterium sehr dankbar. Denn es hat über die Jahre all das mitgetragen. Auch mein Engagement in der Leitung des Gesamtverbands als Vermögensverbund, in der Leitung des Kirchenkreises und in den Trägergremien des Augusta-Klinikverbunds. Hier ist auch die Interreligiöse Arbeit mit den Interreligiösen Friedensgebeten zu nennen.
Zur Benennung dessen, was mich bewegt hat, gehört auch Hallo Hattingen. Dieses Stadtmagazin haben wir 15 Jahre lang monatlich in einer Auflage von 28000 – 30000 Stück herausgegeben. Dieser Veranstaltungskalender mit positiver Vorberichterstattung war eine Dienstleistung für alle gemeinnützigen Einrichtungen der Stadt. Doch bei dieser Arbeit war ich oft an den Rand meiner Kräfte geführt worden. Auch die Messe der Gemeinnützigkeit in der Gebläsehalle war hieraus geboren worden. Und meine Erfindung, die heute noch sichtbare Kampagne an Hattingens Wohnungstüren: Ich bin gerne Nachbar.
Wie fühlst du dich kurz von deinem Abschied aus dem aktiven Dienst in den Ruhestand?
Tatsächlich prägt mich in dieser Zeit tiefe Dankbarkeit für alles, was ich erleben durfte. Dankbarkeit meinen Angehörigen gegenüber. Dankbarkeit allen Mitarbeitenden und Freundinnen und Freunden gegenüber, die mich so begleitet und ausgehalten haben. Dankbarkeit für ziemlich viel Gesundheit.
Und ansonsten wird mein Dienst bis zum letzten Tag so weitergehen wie bisher.
Für unsere Gemeinde steht nicht nur deine Verabschiedung an. Im Januar 2025 werden die katholischen Geschwister aus Heilig-Geist bei uns eine neue Heimat finden und im Januar 2026 steht die Vereinigung der Hattinger und Sprockhöveler Kirchengemeinden an. Was wünschst du unserer Gemeinde für die kommende Zeit?
Diese von Dir benannten Prozesse sind historisch.
Und die Gleichzeitigkeit dieser Prozesse in Winz-Baak, verbunden mit unser beider Weg in den Ruhestand, macht es ziemlich anstrengend.
Aber es berührt mich sehr, wie vertrauensvoll und achtsam wir mit den Menschen aus Heilig Geist über Jahrzehnte zusammenleben durften, so, dass wir alle uns eine Zukunft in einem gemeinsamen Gemeindezentrum vorstellen können. Wir Christinnen und Christen dieses Stadtteils haben hier eine große gemeinsame Chance. Unser verbindendes Anliegen ist es Gottes Nähe weiterzugeben.
Das gilt auch für den Vereinigungsprozess im evangelischen Bereich in Hattingen und Sprockhövel. Alles, was hier getan wird, muss sich daran messen lassen. Dabei werden die menschlichen Ressourcen weniger. Darauf reagiert dieser Weg in die Vereinigung. Aber Gottes Kraft, Liebe und seine Möglichkeiten werden nicht weniger. Das sollte in den einzelnen Stadtteilen spürbar bleiben. Hier gibt es mit den Menschen und mit den Gebäuden die Schätze, die es zu pflegen und zu stärken gilt. Dabei sind die Kulturen des Miteinanders in den jeweiligen Ortsteilen sehr unterschiedlich. Auch Winz-Baak ist in allem reich beschenkt. Ich wünsche mir, dass die Menschen sich bei uns in der Schützstraße weiterhin freudevoll entfalten können.
Du hast sicher eine Vision für unsere Gemeinde. Gibt es etwas, das dir wichtig ist, damit unsere Gemeinde in eine gute Zukunft geht?
Vom Kirchenumbau bis zur Vielfalt der Veranstaltungsangebote haben wir versucht, für möglichst viele menschliche Typen und Bedürfnisse ein Ort der Begegnung und der Aussprache zu sein, auch ganz klar der Gottesbegegnung und des Gebets. Dabei haben wir versucht niedrigschwellig zu handeln. Dieses Leben in Vielfalt, das sich an der Vielfalt der menschlichen Anliegen, gerade auch der bedürftigen Menschen, orientiert, wird auch weiter eine wichtige Aufgabe sein. Denn für Jesus waren die Bedürftigen ein leitender Fokus seines Handelns. Und zur Gastfreundschaft hat er unentwegt eingeladen.
Hast du schon persönliche Pläne, Wünsche für die Zeit nach deinem aktiven Dienst?
Ich möchte gern ein neues Gleichgewicht finden zwischen den einzelnen Anteilen meines Lebens: Die Gemeinschaft und Fürsorge in der großen Familie mit allen, die dazugehören, die Begegnung mit Freundinnen und Freunden, die Eigenfürsorge für meine Gesundheit, das Leben in unserem großen Garten, die Gemeinschaft in unserer wunderbaren Kirchengemeinde, das Fußballspielen, Fahrradfahren und andersartige Bewegen in unserem tollen Lebensraum hier in Hattingen und Umgebung.
Und was wünscht du dir von uns für den 16. November?
Es ist sehr lieb, dass Du das fragst. Ich wünsche mir ein fröhliches Fest, zu dem sich möglichst viele Menschen eingeladen fühlen, auch die, die keine persönliche Einladung bekommen haben. Ganz besinnliche Anteile mögen ihren Platz haben, in denen Gottes liebevolle Nähe spürbar wird. Ausgelassenheit bis tief in die Nacht darf es auch sein, weil Lebensfreude sich danach sehnt sich entfalten zu können.
Das werden wir genauso machen, versprochen!