Unser Kirchenmusiker Christian Hagitte schreibt über seine neue große Komposition und lässt Leser und Musikinteressierte am Entstehen seiner Messe teilhaben, die im Laufe des Jahres 2019 im Ganzen aufgeführt werden wird.
Wandeln zwischen U (Unterhaltung) und E (Ernsthaftigkeit)
Aus dem Logbuch meiner Kompositionswerkstatt
Lange habe ich schon den Gedanken in meinem Herzen bewegt, ein sowohl horizontal als auch vertikal größeres geistliches Werk zu erschaffen: eine Messe für Chor und Symphonieorchester
Nun habe ich mich aufgemacht, bin „in See gestochen“ und möchte einen kurzen Zwischenbericht aus meinem Logbuch geben, denn, um ans Ziel zu kommen - die Uraufführung ist nächstes Jahr geplant - , passiert man Gebiete mit diversen Winden: Rückenwind, stürmischen Wogen, Gegenwind, Gebiete mit „Flow“, aber auch Flauten.
Die Arbeit in der Horizontalen beschäftigt sich mit der Zeitachse, also, was hat ein Komponist eigentlich zu sagen? Wie füllt er inhaltlich das Werk mit Tönen und dramaturgischen Bögen?
Wie werden diese wiederum miteinander verbunden?
Hilfreich bei der Konzeption ist die liturgische Gliederung der Messe in ihre einzelnen Teile -
Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnes Dei -, die in ihren Aussagen zum Glauben sehr unterschiedlich sind und denen ich jeweils kompositorisch eine eigene Haltung geben möchte.
So steht das Kyrie für einen allumfassenden Bittruf um Hilfe und Erbarmen. Er kann sehr leise, demutsvoll aber auch stark und der Verzweiflung nahe sein. Auf jeden Fall ist man sich als Mensch seiner Kleinheit bewusst. Der Glaube an eine höhere, göttliche Macht, die tröstet, kräftigt und stärkt, kann einen Menschen erfüllen und tragen. Musikalisch interessant ist hier das Spannungsfeld zwischen Störung (atonaler Dissonanz) und Heilung (harmonischer Konsonanz). Überhaupt bewegt sich meine Messe in Ihrer Stilistik zwischen U und E. Diese Kürzel stehen für Unterhaltungsmusik und Ernste Musik.
Kommt das zweifelnde und bittende Kyrie mehr aus dem E, so wird es abgelöst von einem feierlichen, fürstlichen Gloria, dem Lobpreis Gottes - in seiner Freude und Frische wird dieser Teil nun zu einer aufbrausenden U-Hymne.
Der Hymnus beginnt mit dem biblischen Lobgesang der Engel, der die frohe Botschaft des Glaubens besingt: Gottes Herrlichkeit in der Menschwerdung seines Sohnes und seine Versöhnung mit ihm und untereinander. Es folgt zuerst die rühmende Preisung des Vaters und dann die Huldigung des Sohnes, der das Lamm Gottes ist, und die Bitte um sein Erbarmen. Der Hymnus schließt mit einem Bekenntnis zur Dreifaltigkeit. So wird deutlich, dass es der Heilige Geist ist, der die Gläubigen zum Lob versammelt und vereint. In diesem alten Gesang sind die Gläubigen über die Jahrhunderte hinweg und über die Ländergrenzen hinaus miteinander verbunden.
Energetisch einen Gang zurück geschaltet ist dann das folgende, fundamentale Credo, das Glaubensbekenntnis der Christen.
Das musikalische Grundmotiv ist während eines Gottesdienstes in der Hochmeisterkirche „einfach so“ entstanden.
Vielleicht lag es im Gemäuer oder die Menschen im Raum haben es zu Tage kommen lassen. Wie auch immer:
zu diesem archaischen Glaubensgebet wird sich dieses archaische Motiv gebetsmühlenartig auf archaische Weise wiederholen, variieren und entwickeln.
Der Logbucheintrag zur Horizontalen endet hier, denn in diesen Koordinaten befinde ich mich gerade.
Sanctus und Agnus Dei müssen noch „entdeckt“ und „erforscht“ werden.
Auf jeden Fall ist es eine riesige Weite beim Wandeln zwischen U und E.
Wenn die Südspitze des Credos passiert wurde, melde ich mich vielleicht auf meiner Reise mit einem neuen Logbucheintrag zum Thema Sanctus und Agnus Dei.
Bis dahin
Christian Hagitte