Manche Themen brauchen Wiederholung: Gewalt hat viele Gesichter

# Kinder

Manche Themen brauchen Wiederholung: Gewalt hat viele Gesichter

Auf dem Evangelischen Campus Daniel berät Diplom-Pädagogin Martina Rohrbach Eltern zu Fragen rund ums Familienleben und Erziehungsthemen. Hier bloggt sie von Montag bis Freitag über gelingendes Familienleben im Corona-Modus und gibt Tipps für die Zeit zwischen Homeoffice und Kinder-Dauerbetreuung.

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Manche Themen brauchen Wiederholung: Gewalt hat viele Gesichter

Die Initiative Sicher-Stark, die sich für den Schutz von Kindern einsetzt, hat Informationen aus der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik veröffentlicht. Darin steht, dass im Jahr 2019 52 % pornografische Schriften mehr im Umlauf waren als im Vorjahr und die Zahl der Verstöße gegen das Verbot zur Verbreitung von Kinderpornographie sogar um 65 Prozent gestiegen ist. Fälle von bekanntem sexuellem Missbrauch haben um 11 % zugenommen. Das ist die Entwicklung eines Jahres, und das ohne Corona!

Ich werde also ganz aufgebracht bei den Informationen, die man im Netz finden kann, wenn man den Begriffen von sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt gegenüber Kindern nachgeht. Ihre körperliche und psychische Unversehrtheit wird sogar durch angebliche Gesundheitskampagnen weltweit infrage gestellt.

Wie heißt es so schön? „Energy flows where attention goes“, zu Deutsch: die Kraft geht dahin, wo die Aufmerksamkeit hinführt.

Es gibt jetzt also keine Verschwörungsgeschichte, sondern den Marsch in die Gegenrichtung: Was kann ich/können wir tun, damit Kinder eine bessere Lobby bekommen? Damit ihre Gesundheit und ihre Unversehrtheit nicht Opfer von ungesteuerten Trieben und kriminellen Gelddruckmaschinen werden?

Ich bin in Organisationen eine relativ unbequeme Person, weil ich gerne Fragen in Tabubereiche stelle, die Selbstreflexion, vielleicht Scham, Reue und schließlich Verhaltensänderungen nach sich ziehen müssten.

Ich fange mal bei mir an: Was tue ich konkret, außer klug daherzureden und zu schreiben? Wie gehe ich damit um, wenn ich im öffentlichen Bereich Gewalttätigkeiten von Eltern gegenüber ihren Kinder sehe, oder dass das Handy so wichtig ist, dass sich das Kind im Wagen die Seele aus dem Hals schreien kann, ohne dass jemand reagiert? Oder wenn ich in Beratungen erfahre, dass die Aggressionen in manchen Situationen nicht mehr steuerbar sind, weil ein Kind sich nun mal nicht selbst erziehen kann und nach sicheren Grenzen zum Anlehnen bei den Eltern sucht?

In letzterem Fall bedanke ich mich als erstes für das Vertrauen, weil ich einzuschätzen weiß, was es bedeutet, dieses „Fehlverhalten“ einer fremden Person gegenüber freiwillig zuzugeben. Der erste Schritt zur Veränderung ist damit getan!

Wenn ich allerdings merke, dass diese Bereitschaft bei verantwortlichen Erwachsenen nicht vorliegt, obwohl sie eindeutig notwendig wäre, werde ich zum kleinen Wadenbeißer, der einfach nicht loslässt. Das kann in der Öffentlichkeit, z.B. in der U- oder S-Bahn oder auf der Straße, gerne im Supermarkt, mit oder ohne Maske, durchaus freundlich im Ton, aber immer klar in der Sache ausfallen.

Im Moment sind viele Leute genervt und die Situation kratzt erkennbar an ihren Grenzen. Neulich im Supermarkt drehte so ein kleiner Dreijähriger am Rad und wollte unbedingt Eis aus dem Tiefkühlfach. Die Mutter war am Ende und brüllte den Kleinen, ohnehin schon mit Atemnot hinter der Maske, unverständlich an.

Mir geht dann auch der Puls und ich muss mich echt überwinden, aber ich gehe in so einem Fall hin, lege mein wärmstes Lächeln in die Augen über meinem Blümchen-Mundschutz und spreche die Frau an: Dass ihr Sohn und sie bestimmt gerade beide keine Geduld mehr haben; aber ein einfaches klares ‚Nein‘ sicher schneller zu seiner Beruhigung beitragen würde. Mutter guckt, das Kind guckt, und schon ist der Krampf unterbrochen. Ich mische mich ein, weil ich aufgrund meiner Geschichte nicht anders kann; selbst wenn ich einen anderen Beruf hätte.

Natürlich ist auch die politische Arbeit in Vertretungsorganen wichtig, um auf Kinderrechte aufmerksam zu machen. Aber wenn jeder von uns Signale im Alltag wahrnimmt, erkennt, dass es uns sehr wohl etwas angeht, weil Kinder allgemeine Rechte haben und kein Privatbesitz von Eltern oder anderen Erziehungspersonen sind, sich öffentlich für das Kind positioniert, dann hat das auch Ansteckungswert. Andere Menschen bekommen es mit und erleben, dass man das durchaus machen kann.

Ja, es ist anstrengend, dieses Verantwortungsgefühl in die Tat umzusetzen. Manchmal ist es auch peinlich oder sogar gefährlich. Und manchmal irrt man sich auch. Ich glaube aber daran, ja, ich bin mir sicher, dass es einen Unterschied macht, wenn ich mich einmische; lieber einmal zu viel als zu wenig.


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