Auf dem Evangelischen Campus Daniel berät Diplom-Pädagogin Martina Rohrbach Eltern zu Fragen rund ums Familienleben und Erziehungsthemen. Hier bloggt sie von Montag bis Freitag über gelingendes Familienleben im Corona-Modus und gibt Tipps für die Zeit zwischen Homeoffice und Kinder-Dauerbetreuung.
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BLOG 61
Der Schokoladen-SUV: Nicht alles, was erlaubt ist, ist gut
Im Zuge einer Elternberatung wurde ich danach gefragt, wie man es mit Kindern und Süßigkeiten handhaben sollte. Soll man den Süßigkeitenverzehr verbieten, reglementieren oder auf feste Zeiten oder Tage verlegen? Wie soll man sich selbst verhalten? Man müsse sich als Erwachsener ja dann selbst auch an die festgelegten Regeln halten, oder nicht?
Einmal im Monat gebe es einen „Schlaraffenlandtag“, an dem jeder so viel essen dürfe, wie er wolle, erzählte eine Mutter. Und, fragte ich, tun die Kinder es? Ja, erhielt ich die Antwort, und dass die Kinder dann den ganzen Tag Süßes futterten. Ich bin für diese Anregungen aus dem vielfältigen Leben immer sehr dankbar!
Erst hinterher setzte meine Denkmaschine richtig ein: Wie war ich als Kind, als Mutter, wie sehe ich das heute? Wie ist das mit dem Zucker?
Zucker nährt unser Urbedürfnis nach Geborgenheit und Nähe
Die Art und Weise, sein Kind zu ernähren, ist das Surfbrett zu weiteren Formen von Suchtverhalten jeglicher Art. Es hat etwas mit Geben und Nehmen zu tun. Der Zucker im Speziellen ist eine Verstärkung eines Kernelementes der Muttermilch: die Nähe verbunden mit Süße. Süßigkeit als Appell an ein Urbedürfnis nach Geborgenheit und Nähe.
Zeitmangel, Hektik, Müdigkeit, fehlende gemeinsame Zeit oder fehlendes Geld bringen nicht selten auch eine Vergesslichkeit von besserem Wissen über Ernährung und gesundes Verhalten mit sich.
Manchmal fehlt es auch schlicht an Wissen. Das Internet ist voll von guten Informationen und Ratschlägen, aber nicht genug, dass man sich dafür interessieren muss. Die Umsetzung ist aus den oben genannten Gründen das Problem.
Menschen sind Gewohnheitstiere – auch in puncto Ernährung
Die Lebensmittelindustrie darf weitestgehend ungehindert produzieren und verkaufen, was sie will, und manipuliert mit ihrer Werbung die Gewohnheiten der Menschen – Hauptsache, es entstehen Gewinne. In Bezug auf Ernährung, speziell Zucker, greift im Folgenden die Pharmaindustrie nahtlos zu, wenn Fettleibigkeit, Diabetes und andere Störungen die Gesundheit bedrohen und Medikamenteneinnahme erfordern. Die entstandene Gewohnheit „sofort von der Hand in den Mund“ nimmt ihren Lauf und stumpft den „gesunden Menschenverstand“ ab. Dieses „TO GO“ ist auch eine gemeine Konsumfalle. Nehmen Sie die Verantwortung für sich und Ihr Kind oder Ihre Kinder wieder selber in die Hand!
Niemand MUSS in Deutschland schlecht essen
Das alles ist nicht wirklich lustig, weil wir zurzeit noch wenige Möglichkeiten haben, die Industriemaschinerien direkt zu beeinflussen. Kinder haben aber jetzt und sofort Appetit auf Süßigkeiten. Sollte es uns gelingen, unser eigenes orales Konsumverhalten einigermaßen im Griff zu haben, bleibt uns nur, mit den Kindern zu verhandeln.
Die gemeinsame Herstellung „gesunder Süßigkeiten“ mit Obst und Quark in einem hübschen Schälchen ersetzt den Fruchtzwerg. So viele Fliegen mit einer Klappe: Zuwendung, Gemeinsamkeit, Kreativität, Nähe, Selbstwirksamkeit, Müllvermeidung und Genuss! Davon haben wir alle was.
Weshalb es nichts bringt, Süßigkeiten einfach zu verbieten
Wir müssen die Kinder gewinnen, mit uns gemeinsam gegen den Strom der Werbeindustrie und der Gewohnheiten zu schwimmen, indem wir ihren tatsächlichen Bedürfnissen nachspüren. Da aus Kindern in dieser Welt keine vernunftbegabten Engel werden, die von alleine alles richtig machen, brauchen sie als allerwichtigstes Ergebnis von „Erziehung“ die Fähigkeit zur Selbstverantwortung: begreifen, verstehen, abwägen, einschätzen, entscheiden, gewinnen, verlieren, verzichten, teilen u.v.m. Wir sind die Botschafter zwischen dieser wahnsinnig aufgeladenen Welt und dem entspannten Umgang mit den kleinen Dingen des Lebens, die den Alltag versüßen können.
Wenn ich mich selbst nicht daran halten kann, sollte ich die Finger von Verboten lassen und auf die gesunden Instinkte meines Kindes hoffen. Im Prinzip muss man gar nichts verbieten, wenn man einen Umgang mit einer Sache ausgehandelt hat.
Die Ampel steht für die Notwendigkeit von Regeln – und auch für ihre Widersinnigkeit
Die Leute, die sich jetzt ohne Mundschutz in großen Gruppen treffen, haben nichts verstanden. Sie sind fixiert auf die Kategorien „ist erlaubt“ oder „ist nicht erlaubt“. Das ist eindeutig zu kurz gegriffen! Sämtliche generellen Regeln tragen einen „Unsinnsfaktor“ in sich, weil sie nie auf alle beteiligten Personen und Situationen zutreffen.
Ein Beispiel: Die Ampel ist eins der schönsten Symbole der Neuzeit. „Rot“ heißt stehenbleiben, ob ein Auto kommt oder nicht. Ist eigentlich widersinnig, aber eine Konditionierung auf allgemeine Sicherheit. „Grün“ heißt noch lange nicht, dass keine Idioten oder Träumer unterwegs sind. „Gelb“ heißt, Entscheidungsfreiheit, ob ich ein Risiko eingehen möchte oder nicht, ohne Strafverfolgung.
Der „Blitzer“ dient der punktuellen Kontrolle durch eine verantwortliche Instanz. Für umsichtiges und ökologisches Verhalten im Straßenverkehr, schon bei Anschaffungsfragen und Fortbewegungsentscheidungen, müsste es die „Mobilitätsprämie“ geben.
Verkehrsregeln für den süßen Genuss
Kann man diese Regeln aus dem Straßenverkehr auf Süßigkeiten anwenden? Oh ja!
Natürlich wiederhole ich mich hier in meinen Texten mit vielen Aspekten. Ich versuche – zum Beispiel mit Bildern und Vergleichen –zum Verständnis der Welt in dieser aktuellen Situation beizutragen und neue Fenster, neue Bedeutungszusammenhänge (Frames) zu öffnen. Und das mit Vergnügen und Genuss!
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