Pfarrer i.R. Dr. Gotthard Oblau - Predigt am 13. Dezember 2020

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Pfarrer i.R. Dr. Gotthard Oblau - Predigt am 13. Dezember 2020

Predigt am Dritten Advent 

Lukas 2,15


Liebe Gemeinde,
Ich freue mich, heute einmal wieder hier auf der Kanzel zu stehen, zum ersten Mal nach langer Zeit, jetzt als Gastprediger. Eigentlich fühlt sich noch alles ganz vertraut an, nur die Aussicht von hier oben finde ich gewöhnungsbedürftig. Früher habe ich Euch immer genötigt, mehr nach vorn zu kommen, zusammenzurücken; es sang sich dann besser. Heute schaue nach hinten und denke: Hoffentlich halten die auch die Abstände ein! So ändern sich die Zeiten. Aber Weihnachten wird es trotz allem. Und die Weihnachtsgeschichte ist immer noch dieselbe. Und da habe ich mir gedacht: Ich predige Euch heute wieder einen weiteren Vers.


Die Story kennt Ihr ja: Kaiser Augustus / Volkszählung / jeder in seine Geburtsstadt /
Josef nach Betlehem / mit Maria, die war schwanger / dann die Geburt / Hirten auf dem Felde, nachts bei den Schafen / der Engel Gottes / Leuchten, Klarheit / Fürchtet euch nicht / Heiland geboren / der Retter / Messias / Stadt Davids / Windeln / Krippe / himmlische Heerscharen /


Ehre sei Gott in der Höhe / Friede auf Erden / Gottes Wohlgefallen an den Menschen.
Jedes Jahr an Weihnachten habe ich über einen weiteren Vers gepredigt. Aber dann kam mein Ruhestand, noch bevor die Hirten überhaupt eine Chance hatten, nach Betlehem zu gehen. Deshalb denke ich, genau an der Stelle mache ich heute weiter. Mit Vers 15, und der geht so:


Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Betlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.


Zwei Fragen habe ich an diesen Vers. Und zwei vorläufige Antworten. Die möchte ich Euch heute mitgeben.

Die erste Frage: Warum steht das überhaupt da? Ich meine: Warum geht die Geschichte hier überhaupt weiter? Das frage ich nicht, weil ich als Ruheständler für die Fortsetzung jetzt eigentlich gar nicht mehr zuständig bin. So wichtig bin ich nicht.
Nein, ich meine, Vers 14 wäre doch ein schöner Abschluss gewesen. Die Botschaft ist verkündet, der Engelsgesang verklungen, der Segen gesprochen: Friede auf Erden, Gottes Schalom, für jedes Volk in jedem Land! Jetzt tritt er in Kraft! Da kann man doch nur Amen sagen. Da fehlt nichts mehr. Das volle Gotteslob! Das wäre doch ein furioses Finale gewesen.
Aber die Story geht weiter. Der Zauber hört auf, die Lautsprecherboxen werden eingepackt, die Engel verschwinden, das Licht geht aus, es ist wieder dunkel und kalt. Was soll denn jetzt noch kommen? Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander …
Hmm – tja. Vielleicht ist es genau das: Da sprachen die Hirten untereinander. Jetzt sind die Hirten dran. Und das ist wichtig, sonst würde es ja nicht erzählt. Die Hirten sind nicht nur Statisten, die bleiben nicht passive Zuhörer. Jetzt übernehmen sie. Der Gottesdienst ist zu Ende, aber jetzt geht’s erst richtig los!

Wenn der Pfarrer sein Sprüchlein gesagt hat, dann übernimmt die Gemeinde. Dann stehen die Leute auf und kommen miteinander ins Gespräch: „Was ist jetzt dran? Was hat der da vorn eigentlich gesagt? Ist das wahr? Kann man das glauben? Lässt sich davon schon was sehen?“ Solche Sachen.


Also nicht einfach nur so dasitzen und zuhören, und dann still nach Hause gehen. Das ist es noch nicht. Vielleicht ist gar nicht mal so entscheidend, was hier in der Kirche passiert. Entscheidend ist draußen auf‘m Platz, vor der Kirchentür!


Die Hirten jedenfalls sprachen untereinander. Sie kamen ins Gespräch und fassten einen Beschluss: Lasst uns nun gehen gen Betlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.


Manche von Euch kennen das aus dem Weihnachtsoratorium. Wunderbar lautmalerisch hat Johann Sebastian Bach das komponiert: Lasset uns nun … lasset uns nun … lasset, gehen, gen Betlehem! Wie elektrisiert sind sie, alle reden durcheinander, hin und her geht es, und dann doch in eine gemeinsame Richtung: nach Betlehem! Jetzt wollen sie auch sehen, was sie da gehört haben. Wäre doch Wahnsinn, wenn das wahr wäre! Wenn man das glauben könnte!


Und das bringt mich zu meiner zweiten Frage. Wohin machen wir uns auf? Wo ist unser Betlehem? Wo können wir die Sache mit Jesus verifizieren?


Jesus ist ja nicht ewig das Kind in der Krippe geblieben. Er wurde erwachsen, ging über unsere Erde, predigte, heilte, hinterließ Spuren, machte sich Feinde, wurde hingerichtet, in die Gruft gelegt. Und dann heißt es: Er ist auferstanden, er lebt, er ist mitten unter uns.


Wohin also sollen wir gehen? Doch nicht als Touristen nach Betlehem. Das ginge jetzt sowieso nicht, ist alles im Lockdown.


Ich glaube, die Antwort kennt Ihr. Sie steht in der Bibel, bei Matthäus im 25. Kapitel. Ich lese das noch mal vor, nur die entscheidenden Sätze.


Wenn Jesus wiederkommt, in Herrlichkeit, und seine Herrschaft aufrichtet - dann wird er sagen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters! Erbt das Reich, das schon über den Feldern von Betlehem ausgerufen wurde: Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.


Versteht Ihr: Christus mitten unter uns! So viele Orte, so viele Gelegenheiten. Wo man die Geschichte sehen kann, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Jetzt müssen wir uns nur noch verabreden. Maske auf und los. Besser früher als später.


Im härtesten Lockdown geht immer noch ein Anruf, per Telefon oder per Skype. Wer ist allein? Wem sollten wir eine Karte in den Kasten werfen? Oder eine WhatsApp schicken? Wer ist krank? Für wen müssen wir einkaufen? Diese ganz bescheidenen Gänge und Hilfestellungen. Oder nur mal nachfragen, mit anderen was abklären. Nach dem Gottesdienst steht man eh noch zusammen. Unsere Kirche mitten im Stadtteil, die kann was ausstrahlen.


Es gibt auch größere Sachen. Grüne Damen dürfen immer noch ins Krankenhaus rein. Ehrenamtliche werden überall gesucht: für die Tafel, bei der Telefonseelsorge, im Hospiz. Die Not wird ja nicht weniger, nur weil sich momentan alles um Corona dreht.

Da sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen! Das könnte doch die Spur sein, auf der unsere christlichen Gottesdienste an Wichtigkeit immer noch gewinnen werden: als Knotenpunkte basisnaher Diakonie, als Marktplätze der Mini-Initiativen. Davon passiert schon eine ganze Menge in dieser Gemeinde, ohne viel Aufheben. Ich habe das mitgekriegt in all meinen Jahren hier, und deshalb bin ich stolz auf Euch in Rellinghausen.


Wir kommen hier zusammen als die Hirten von Betlehem. Hirten sind wir, Menschenhirten. Nicht nur der Pfarrer, wir alle sind das. Gott legt uns Menschen ans Herz. Und wir reden miteinander und schauen, wo wir jetzt gebraucht werden. Dann wird Christus uns schon begegnen, Weihnachtsfreude wird sich einstellen, meinetwegen auch im Frühjahr noch, das ganze Jahr über.


Die Leute wollen ja für andere da sein, die sind gar nicht so egoistisch wie man uns weißmachen will. Menschen haben Zeit zu verschenken, das tun sie zunehmend gern, Statistiken belegen das. Auch das Spendenaufkommen hat wieder einen Höchststand erreicht – trotz Corona, oder vielleicht gerade deswegen.


Auch politisch tut sich gerade viel. Ich sag Ihnen nur mal ein Beispiel. Immer mehr Städte und Gemeinden in Deutschland erklären ganz offiziell, per Ratsbeschluss: „Wir heißen Flüchtlinge willkommen, und wir sind bereit, freiwillig noch deutlich mehr aufzunehmen als wir bislang müssen. Wir wollen das auch bezahlen, und unsre Freiwilligen stehen Gewehr bei Fuß. Damit die Menschen auf Lesbos und in all den Grenzlagern nicht verderben.“


Ich rede von dem Städtebündnis „Sicherer Hafen“. Das ist eine basisdemokratische Bewegung, im Sommer 2019 hat sie begonnen. Inzwischen sind schon bald 250 Kommunen beigetreten, von Berlin bis Bamberg, von Itzehoe bis Isny im Allgäu. Zuletzt, gerade vorgestern, ist Weißenburg dazugekommen, eine Kleinstadt am Fuße der Fränkischen Schweiz. Mit den jetzigen Selbstverpflichtungen, die allein aus Deutschland vorliegen, könnte man die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln nahezu leerräumen.


Aber - Gott sei’s geklagt! – die Städte dürfen nicht. Das Innenministerium verbietet lokale Alleingänge. Die Willkommenskultur an der Basis wird ausgebremst durch eine nationale Politik der Herzenskälte. Unser christ-sozialer Innenminister beschwört gern unsere christlich-jüdische Wertegemeinschaft. Aber wenn’s drauf ankommt, dann fragt er nicht nach dem Heiland, dann schielt er auf den Gauland.


Übrigens ist die Stadt Essen der Bewegung bisher nicht beigetreten, zu unserer Schande sei es gesagt. Obwohl die Kirchen sich sehr eingesetzt haben, mit Demos und allem. Und ich frage mich: Wie können wir im Stadtrat die Herzen erweichen? Wie können wir unserem Oberbürgermeister die Angst nehmen?


Auf jeden Fall kommt viel in Bewegung zur Zeit, und eigentlich müssen wir nur einsteigen und mitmachen. Lasst uns nun gehen nach Betlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist. Machen wir’s wie die Hirten: Reden wir miteinander! Peilen wir die Richtung! Und spätestens, wenn der Lockdown vorbei ist: Dann nichts wie los!


Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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