Marco Rührmund ist seit dem 1. Januar 2021 die Ansprechperson für Präventionsarbeit vor sexualisierter Gewalt und für Kinderschutz im Kirchenkreis Spandau. Er ist seit 17 Jahren als ausgebildeter Erzieher tätig, derzeit im Hort Staaken-Gartenstadt. Darüber hinaus hat er sich zum Integrationsfacherzieher und zur insoweit erfahrene Fachkraft fortgebildet. Letztere wird zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos bei einer vermuteten Kindeswohlgefährdung beratend hinzugezogen. Von Gewalt betroffene Menschen können sich ebenso an ihn wenden, wie diejenigen, die einen Fall von Kindeswohlgefährdung und/oder sexualisierter Gewalt melden möchten.
Wie kann man sich Ihre Arbeit in den Gemeinden vorstellen?
In den Gemeinden, aber auch anderen Bereichen, wie z.B. Jugend und Schule, kläre ich auf, was sexualisierte Gewalt bedeutet, was übergriffiges Verhalten ist und was bei Verdachtsfällen zu tun ist. Zudem sensibilisiere ich die Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen ihr eigenes Handeln zu reflektieren und unangemessenes Verhalten anderer wahrzunehmen und anzusprechen. Dies betrifft im Besonderen die Gemeindebeauftragten zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Kinderschutz, die ich schule. Mit ihnen sorge ich für die Umsetzung und Einhaltung des Schutzkonzeptes von sexualisierter Gewalt und Kinderschutz.
Was ist Ihnen dabei wichtig?
Sexualisierte Gewalt und Kinderschutz ist nur ein Aspekt meiner Arbeit. Was dabei nicht zur Sprache kommt, ist körperliche und psychische Gewalt. Dabei gilt grundsätzlich: Keine Form von Gewalt hat in unseren Gemeinden und Kindertageseinrichtungen etwas zu suchen. Ziel ist es, dass sich alle Menschen, egal ob Kinder, Jugendliche, Frauen oder Männer, sicher fühlen.
Wie hat sich die Präventionsarbeit seit 2021 entwickelt?
Zunächst habe ich in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden der AJAKS und dem Superintendenten ein Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Kinderschutz für den Kirchenkreis erstellt. Es wurde auf der Frühjahrssynode 2022 für den Kirchenkreis und all seine Gemeinden beschlossen. Darin enthalten sind Leitfäden zur Vorgehensweise bei Verdachtsfällen, Regelungen zu Führungszeugnissen, Kontaktdaten u.ä. Jede Gemeinde hat zudem mindestens einen Gemeindebeauftragten zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und Kinderschutz ernannt. In allen Gemeinden und Kindertageseinrichtungen hängt der Verhaltenskodex der Landeskirche und meinen Kontaktdaten.
Was hat es mit dem Verhaltenskodex auf sich?
Er ist das zentrale Element der Präventionskultur in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zum Schutz (nicht nur) vor sexualisierter Gewalt. Mit ihm verpflichten sich alle ehrenamtlichen und beruflichen Mitarbeitenden in den Gemeinden, Kirchenkreisen sowie unserer Landeskirche, Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch ihr Verhalten zu schützen.
Der Verhaltenskodex wird regelmäßig in allen Arbeitsbereichen thematisiert. Es ist vorgesehen, dass alle Mitarbeitenden den Verhaltenskodex unterschreiben. In den Kitas plane ich 2024 dazu Vertreter:innen zu schulen, damit diese anschließend den Verhaltenskodex und seine Bedeutung in ihren Teams vermitteln.
Im September 2023 wurden alle Mitarbeitenden des Kirchenkreises angeschrieben, dass sie ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen sollen. Wie kam es dazu?
Im Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz § 5 von 2020 ist verankert, dass alle Mitarbeitenden ein erweitertes Führungszeugnis benötigen. Was den Ablauf angeht, wurde in Absprache mit dem Beauftragten für Datenschutz entschieden, dass die Personalabteilung die Führungszeugnisse einsehen soll. Das verkürzt die Meldewege und schützt die persönlichen Daten.
Ein erweitertes Führungszeugnis kann direkt beim Bürgeramt Spandau ohne Termin beantragt werden. Die Kosten in Höhe von 13 Euro werden übernommen. Alle fünf Jahre muss es erneuert werden. Bei Neueinstellungen muss es zum Dienstantritt vorgelegt werden. Neue Mitarbeitenden bekommen außerdem den Verhaltenskodex zur Kenntnisnahme vorgelegt und bestätigen dies mit ihrer Unterschrift.
Inwieweit betrifft das Ehrenamtliche?
Für Ehrenamtliche haben alle Gemeinden ein Prüfschema erhalten, um zu klären, ob ein erweitertes Führungszeugnis benötigt wird oder nicht. Allgemein gesprochen betrifft es vor allem Ehrenamtliche, die regelmäßig mit Kindern, Jugendlichen und Senioren zu tun haben. Vorgelegt wird es derzeit mir als Ansprechperson, bis eine organisatorisch und strukturell besser abgestimmte Vorgehensweise verabschiedet wird.
Was passiert, wenn ein Verdacht auf sexualisierte Gewalt oder Kinderschutzverletzung geäußert wird?
Werde ich direkt angesprochen, höre ich als erstes wertfrei zu und nehme die Person und ihr Erlebnis ernst. Im Gespräch versuche ich so viele Details, wie nötig zu erfahren, um mir ein Bild von der Situation zu machen. Was ist wann, wie und wo vorgefallen? Wer war beteiligt? Das hilft mir zu entscheiden, wie dringend die Lage ist und welche Handlungen nötig sind. Gegebenenfalls kontaktiere ich meine Kolleg:innen aus dem Präventionsteam, um mich auszutauschen und eine bessere Entscheidung treffen zu können.
Als nächstes suche ich das Gespräch mit der beschuldigten Person, um mir deren Sichtweise anzuhören. Das kann schwierig sein, zum Beispiel, wenn jemand in eine Verteidigungshaltung verfällt oder nicht in der Lage ist, sich in die andere Person hineinzuversetzen.
Werde ich über Dritte, z.B. die Gemeindebeauftragte, informiert, bitte ich darum, dass die von Gewalt betroffene Person meine Kontaktdaten erhält. So kann sie frei entscheiden, ob sie mit mir oder einer anderen Person sprechen möchte. Sollte eine betroffene Person sich bereits jemandem anvertraut haben und keine andere Ansprechperson wünschen, stärke ich diese und befähige sie, weitere Gespräche zu führen, schlage Handlungsoptionen vor und vermittle den Kontakt zu anderen Expert:innen.
Die Unterstützung für betroffene Personen richtet sich nach individuellem Bedarf und Schwere des Übergriffes. Allgemein gilt, dass jede Beobachtung bzw. jeder Verdacht wahr- und ernst genommen werden.
Sollte sich der Verdacht gegenüber einer beschuldigten Person bestätigen, wird in einem Gremium aus u.a. Vertreter:innen der jeweiligen Institution, dem Superintendenten und mir beraten, welche strafrechtlichen Konsequenzen in den Blick zu nehmen sind. Die jeweilige Dienststellenleitung muss dann über arbeitsrechtliche Konsequenzen entscheiden. Selbst betroffene Personen können natürlich jederzeit Anzeige erstatten und werden auf Wunsch von mir oder einer anderen Vertrauensperson begleitet.
Was kann ich tun, wenn ich übergriffiges oder gewalttätiges Verhalten beobachte?
Ganz wichtig: Schauen Sie nicht weg! Sprechen Sie entweder direkt die betroffene Person oder den:die Täter:in an. Sollten Sie das nicht wollen, können Sie auch andere ins Vertrauen ziehen, z.B. die Gemeindebeauftragten, eine Leitungsperson oder mich. Aber bitte lassen Sie es nicht unangesprochen.
An wen kann ich mich wenden, wenn ich einen Verdacht habe?
Die Hauptverantwortlichkeit liegt bei mir als kreiskirchliche Ansprechperson. Vor Ort gibt es zudem Gemeindebeauftragte und in den Kitas Beauftragte für Kinderschutz, die vor allem den Prozess zur Kontaktaufnahme erleichtern können. In den Kindertageseinrichtungen können die Mitarbeitenden zusätzlich insoweit erfahrene Fachkräfte hinzuziehen. Sollte eine Pfarrperson beteiligt sein, ist die Landeskirche zuständig.
Ansprechperson für die Prävention sowie für Verdachtsfälle im Kirchenkreis Spandau: Marco Rührmund 0157 3929 4439 oder
praevention-kinderschutz@kirchenkreis-spandau.de
Die Gemeindebeauftragten erreichen Sie unter einer standardisierten E-Mail:
schutz@gemeindedomaine.de
Ansprechpersonen für die Kindertageseinrichtungen sind die Beauftragten für Kinderschutz der jeweiligen Einrichtung bzw. die Kita-Fachberatung:
Gabi Kelch 030 322 944-603 oder kelch@kirchenkreis-spandau.de
Die Ansprechpersonen der Landeskirche sowie die Anerkennungskommission finden Sie hier: www.ekbo.de/wir/ansprechpersonen-bei-missbrauch-und-missbrauchsverdacht
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass alle mit dem Thema transparent und offen umgehen. Wir müssen alle sensibler werden und von der Kultur des Wegschauens Abstand gewinnen und viel schneller ohne Scheu, Ängste und Sorgen handeln. Ich wünsche mir stattdessen eine Kultur des Hinschauens. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, dann entwickeln wir uns zu einem geschützten Ort!
Material und Kontaktdaten für den Kirchenkreis Spandau finden Sie hier: www.spandau-evangelisch.de/hilfe/praevention-und-kinderschutz
Fragen und Antworten zum Thema Missbrauch und zu sexualisierter Gewalt in der EKBO finden Sie hier: www.ekbo.de/service/aktiv-gegen-sexualisierte-gewalt/hilfebeimissbrauchundmissbrauchsverdacht
Interview: Bettina Kammer