Gute Worte

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Gute Worte

„Wer ist denn Paula*?“

„Das ist die mit den langen blonden Haaren, die immer alleine sitzt. Warte, ich habe ein Foto…“ „Ach ja, jetzt weiß ich. Die ist total nett. Ich habe auf der Freizeit mal länger mit ihr geredet. Da fällt mir bestimmt was zu ein.“                                                                                                          „Hat Sebastian* genug Zettel? Sonst schreibe ich noch einen.“                                                      „Hat noch jemand einen Stift? Ich muss noch was für André* schreiben.“                                     „Der war doch immer so anstrengend und hat dauernd gestört!“                                                 „Genau, deshalb braucht er noch einen Zettel mehr, vielleicht hilft es ja.“

Es ist Team-Treff, kurz vor der Konfirmation, und wir schreiben „Gute Worte“. Wer in den letzten Jahren bei einer Konfirmation dabei war, weiß, was es damit auf sich hat: Am Ende des Konfi-Jahres besprechen wir das Thema „Freundschaft“. Und ein Teil dieser Einheit besteht darin, gute Worte für alle anderen im Kurs zu finden und aufzuschreiben. Die Konfis schreiben füreinander und auch die Teamerinnen und Teamer schreiben Worte für einzelne Konfis. Heute schauen wir, wer bisher wie viele Zettel in seinem Umschlag hat, denn es soll niemand leer ausgehen.

Die Konfirmand:innen bekommen so am Tag ihrer Konfirmation ein buntes Sträußchen von aufmunternden und mutmachenden Worten. Viele Jugendliche schätzen diese Zettel sehr. Deswegen sind sie nun auch mit Eifer dabei. Marit, seit einem Jahr Teamerin bei uns, erzählt, dass sie die Zettel, die sie zu ihrer Konfirmation bekommen hat, regelmäßig durchliest. Andere stimmen zu.

Der Hintergrund dieser Aktion ist die Geschichte einer Lehrerin aus den 1960er Jahren, die im Anschluss steht.

Was aber hat Freundschaft mit Konfirmandenunterrichtzu tun? Eigentlich alles. Nahezu ausnahmslos berichten uns die Konfis, dass sie im Kurs neue Freundinnen oder Freunde gefunden oder alte Bekannte wieder getroffen haben. Für manche haben sich bestehende Freundschaften gefestigt. Andere fanden Gefallen an der Gemeinschaft und wollen weiter dazugehören. Ohne diese Gemeinschaft geht es im Konfer nicht und auch nicht in unserem Glauben. Gemeinsam gute und schwere Zeiten zu durchleben, sich gegenseitig zu unterstützen, miteinander feiern und weinen gehören dazu, Teil einer Gemeinde zu sein. Freundschaften werden in diesem Alter, in dem man sich langsam ein Stück von der Familie löst, immer wichtiger. Aber mehr noch als dies zeigen die bunten Zettel etwas Anderes: Nämlich die Achtung, die wir einander entgegenbringen, wenn wir dem oder der

anderen gute Worte aufschreiben. Denn hier geht es nicht um Äußerlichkeiten. Hier geht es um Substanzielleres. Wir schreiben auf, was wir bewundern und gut finden. Und da kommen beachtliche Aussagen zustande:

„Du bringst alle zum Lachen.“

„Du kümmerst Dich immer um alle.“

„Ich bewundere an Dir, dass Du Dich nicht um die Meinung

der anderen kümmerst.“

„Mit Dir kann man auch ernste Gespräche führen.“

„Du kannst toll zuhören.“

„Du bist in diesem Jahr eine gute Freundin geworden,

auf die ich mich verlassen kann.“

„Mit Dir ist es nie langweilig.“

„Du hast die besten Ideen.“

Unsere Jugendlichen nehmen diese Worte sehr ernst, wie die oben aufgenommenen Gesprächsfetzen zeigen. Es ist ihnen wichtig, dass alle Konfirmand:innen gute Worte bekommen, nicht nur diejenigen, die in der Gruppe viele Freundinnen und Freunde haben. 

Leni und Lara, beide schon seit ein paar Jahren Teamer bei uns, erzählten mir vor ein paar Wochen, wie sie in den letzten Jahren mehr und mehr zusammengewachsen sind und auch außerhalb der Kirche oft Dinge zusammen unternehmen, obwohl sie auf verschiedene Schulen gehen und in unterschiedlichen Jahrgangsstufen sind. Woran liegt es, dass bei uns diese Dinge möglich sind?

Die Jugendlichen kennen Ausgrenzung und Rankings, Leistungsdruck und Wettbewerb aus der Schule und ihrem alltäglichen Lebensumfeld. Wir versuchen, im Konfer und mit den Teamer:innen etwas Anderes zu leben: Hier darf ich einfach hinkommen. Hier werde ich angenommen, so wie ich bin.

Das gelingt uns nicht immer, aber Abende wie der Team- Treff neulich oder die Konfi-Freizeit im Frühjahr zeigen, dass es möglich ist. Und die Jugendlichen entwickeln in dieser Umgebung ein Auge für den Anderen, die Andere. Niemand soll bei uns ein Außenseiter sein. Mich stimmt dies hoffnungsvoll. Auf der Konfi-Freizeit stellten wir uns die Frage „Was für ein Mensch möchte ich sein?“

Ich betrachte die acht Teamer:innen, die um den Tisch sitzen und eifrig Zettel schreiben für junge Menschen, die sie vor einem Jahr noch gar nicht kannten. Ja, so ein Mensch möchte ich sein! Jemand, der den anderen sieht für das, was ihn oder sie ausmacht und die einen Mitmenschen nicht an ihren Leistungen misst.

Zum Abschluss ihrer Konfirmandenzeit fragen wir die Konfis „Was bedeutet die Kirche für Dich?“ und bekommen Antworten wie diese:

„Die Kirche ist ein Ort der Ruhe, an dem man einfach sein kann. Hier gibt es Zeit.“

„Hier fühle ich mich verstanden und Gott am nächsten.“

„Man kann immer hingehen, denn jeder ist willkommen.“

„Die Kirche ist ein Zufluchtsort, an den ich immer kommen kann, um neue Hoffnung zu schöpfen.“

„Ich kann runterfahren und nachdenken und auch mit Freunden Spaß haben.“

„Die Kirche ist ein wohltuender Ort.“

Ich finde: Da haben wir doch Vieles richtig gemacht und die Welt hat ein paar achtsame Mitmenschen gewonnen.

Roswitha Stürmer

* Namen geändert


NUR GUTE DINGE

Mark war eines dieser Kinder, die man nicht vergisst. Das erste Mal unterrichtete ich ihn in der dritten Klasse. Er machte gerne Quatsch, aber er entschuldigte auch sich jedes Mal, wenn ich ihn zurechtwies. Einige Jahre später hatte ich ihn erneut als Schüler. Er war nicht mehr so lebhaft wie damals, aber sein schelmisches Grinsen war geblieben. Es war an einem Freitag, letzte Stunde. Wir hatten schon die ganze Woche an einer mathematischen Herleitung gearbeitet. Alle waren müde, es war warm, die Stimmung gereizt, sie drohte zu kippen. Also klappte ich das Buch zu und bat alle Schüler, ein leeres Blatt zu nehmen, darauf die Namen aller anderen Schüler der Klasse aufzuschreiben und ein wenig Platz unter jedem Namen zu lassen.

Ich sagte ihnen, sie sollten überlegen, was das Netteste ist, das sie über jeden ihrer Klassenkameraden sagen konnten. Dies sollten sie unter die Namen schreiben.

Es dauerte die ganze Stunde, bis alle fertig waren. Bevor sie den Klassenraum verließen, sammelte ich die Zettel ein. Am Sonnabend schrieb ich jeden Schülernamen auf ein neues Blatt Papier und darunter die netten Bemerkungen, die die Mitschüler für einander aufgeschrieben hatten. Am Montag teilte ich die Listen aus. Schon nach kurzer Zeit lächelten alle.

„Wirklich?“, hörte ich flüstern. „Ich wusste gar nicht, dass das irgendjemandem etwas bedeutet!“ und „Ich hatte keine Ahnung, dass mich andere so mögen!“ waren die Kommentare.

Niemand erwähnte danach die Listen je wieder. Ich wusste nicht, ob die Schüler untereinander oder mit ihren Eltern darüber gesprochen hatten, aber das machte auch nichts. Die Übung hatte ihren Zweck erfüllt: Die Schüler waren glücklich mit sich und miteinander. Die Stimmung in der Klasse hatte sich verändert.

Einige Jahre später klingelte abends mein Telefon. Es war Marks Vater. „Mark ist letzte Woche in Vietnam gestorben. Am Samstag ist die Beerdigung. Können Sie kommen?“ Bis heute erinnere ich mich an diesen Sommerabend. Er teilt meine Lebenszeit in ein „vor dem Telefonat“ und „nach dem Telefonat“. Danach war nichts mehr wie vorher.

Die Kirche war überfüllt mit Marks Freunden. Einer nach dem anderen, der den jungen Mann geliebt oder gekannt hatte, ging am Sarg vorbei und erwies ihm die letzte Ehre. Ich war die letzte in der Reihe. Als ich vor dem Sarg stand, fragte mich einer der Anwesenden, „Waren Sie Marks Mathelehrerin?“ Ich nickte. Dann sagte er: „Mark hat oft von Ihnen gesprochen.“

Nach dem Begräbnis standen die meisten von Marks früheren Schulfreunden beisammen. Marks Eltern waren dabei und warteten offensichtlich auf mich. „Wir wollen Ihnen etwas zeigen“, sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche. „Das hatte Mark bei sich. Erkennen Sie es wieder?“ Aus der Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt, das geklebt und offensichtlich viele Male auseinander- und wieder zusammengefaltet worden war. Ich wusste sofort, dass dies das Blatt war, auf dem die netten Dinge standen, die seine Klassenkameraden einst über Mark geschrieben hatten. „Wir möchten Ihnen dafür danken, dass Sie das mit den Kindern gemacht haben“, sagte Marks Mutter. „Wie Sie sehen können, hat es ihm sehr viel bedeutet.“

Andere Klassenkameraden traten hinzu. Charlie lächelte verlegen und sagte: „Ich habe meine Liste auch noch. Sie ist in der obersten Schublade in meinem Schreibtisch“. Peters Frau sagte: „Peter bat mich, die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben.“ „Ich habe meine auch noch“, sagte Monica. „Sie ist in meinem Tagebuch.“ Dann griff Vicki, eine andere Mitschülerin, in ihren Taschenkalender und zeigte ihre abgegriffene und ausgefranste Liste den anderen. „Ich trage sie immer bei mir“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich glaube, wir alle haben unsere Listen aufbewahrt.“

nach: "All good things" von Sister Helen P. Mrosla

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