
Ein Nachbar in der Nähe ist besser als ein Bruder in der Ferne.
Sprüche 27,10
Wie entsteht gute Nachbarschaft?
Es ist ganz einfach: Durch gute Nachbarinnen und Nachbarn. Und das sind solche Menschen, die aus folgender Situation das Beste machen: Man lebt ganz nah mit Menschen zusammen, die man sich nicht ausgesucht hat. Die kennt man vielleicht schon ein Leben lang, die sieht man vielleicht nur alle Wochen einmal im Treppenhaus. Doch bei jeder Begegnung kommt es darauf an: Bin ich freundlich, aufmerksam, aber nicht neugierig und aufdringlich? Nehme ich aus der Ferne wahr, wenn plötzlich ein Kinderwagen im Treppenhaus steht und das Baby der jungen Familie offensichtlich da ist? Oder wenn man die ältere Nachbarin nicht mehr zusammen mit ihrem Mann sieht, sondern auf einmal nur noch allein?
Gute Nachbarschaft entscheidet sich daran, ob ich ein guter Nachbar, eine gute Nachbarin bin. Ob ich draußen vor dem Haus nur unverbindlich grüße oder nachfrage: „Ihr Mann ist gestorben, als wir im Urlaub waren? Das tut mir sehr leid. Erzählen Sie doch mal.“ Und dann lade ich diese Nachbarin nach vielen Jahren zum ersten Mal in die eigenen vier Wände ein.
Aber ganz klar, Nachbarn können auch schrecklich sein. Die parken Ihre Einfahrt zu, sie grillen mit Holzkohle auf dem Balkon, sie spielen bei offenem Fenster Klavier oder Saxofon – und zwar zu solchen Uhrzeiten, in denen Sie sich ausruhen möchten! Sie können auf unanständige Art und Weise neugierig sein, kleinlich, eifersüchtig, penibel, unfreundlich! Wissen Sie, wer im Ligusterweg 4 wohnt? Oder sagen wir es im Original auf Englisch: „No. 4 Privet Drive“? Dort wohnen Vernon und Petunia Dursley, die spießigen Pflegeeltern von Harry Potter. Ja, das ist nur wunderbare Fiktion von J. K. Rowling, aber solche Nachbarschaften gibt es wirklich: Da sind alle Häuser gleich und alle schauen auf die feinen Unterschiede: Das größte Auto und die am wunderbar blühendsten Geranien.
Bei uns in der Hoffnungsgemeinde ist es anders: Wir leben in der krassesten und unterschiedlichsten Nachbarschaft, die man sich nur vorstellen kann. Zwischen Galluswarte und Anlagenring, zwischen Westhafen und Bockenheimer Straße gibt es so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft, Bildung, Kontostand – und mittendrin das Bahnhofsviertel mit seinen unterschiedlichen Längsstraßen – allesamt ganz unterschiedliche Nachbarschaften.
Bei unseren Besuchen in den Häusern – und das spüren Annegreth Schilling, Anne Gilly und ich immer wieder – öffnen sich ganz unterschiedliche Welten, wie Menschen leben und die Aufgaben bewältigen. Das ist beeindruckend. Und ob wir es wollen oder nicht – wir sind einander Nachbarinnen und Nachbarn!
Und was sind nun gute Nachbarn? Ich bringe es mal auf den Punkt: Gute Nachbarn sind nahbar! Das ist immer ein Risiko, nahbar zu sein! Abgeschottet ist es einfacher. Aber gute Nachbarn spüren, wann es dran ist, nachzufragen; und wann es Zeit ist, einfach nur freundlich zu winken. Gute Nachbarn sorgen sich, wenn der Briefkasten überquillt und das Rollo unten bleibt. Und das nicht erst nach Wochen. Sie sind voller Anteilnahme, ohne neugierig zu sein. Sie leben Freundlichkeit.
Nur zweimal findet sich das Wort „Nachbar“ in der Bibel. Öfter findet sich das Wort „Nächster“, und den oder die sollen wir lieben wie uns selbst. Ich bin sicher: Beim Nachbarn fängt das mit dem Nächsten an!
Ihr
Andreas Klein