
Christnacht 2024 mit WO Kantate IV
Alles bietet Johann Sebastian Bach auf, um die lukanische Weihnachtsgeschichte in seiner Sprache, der Sprache der Musik zu erzählen. Pauken und Trompeten, ein ganzes Orchester, Chor, Solistinnen und Solisten. Bach komponiert Choräle, Arien und Rezitative. Rund 2½ Stunden um die Fülle des Weihnachts-geschehens auszudrücken. Bach erzählt nicht nur, er reflektiert, er beschreibt, er antwortet auf das, was neben Lukas auch der Evangelist Matthäus von der Menschwerdung des Christus, des Retters berichten. Der Jubel, der Dank- sie kennen keine Grenzen. Und dann, als hielte Bach inne, erscheint gleichsam sein eigenes Leben vor ihm und möchte hineingenommen sein in diese frohe Botschaft. Was bleibt von diesem Weihnachtsjubel, wenn der letzte Ton verklungen ist?
Wo bin ich mit meinem Leben, mit Angst und Tränen- und immer wieder auch, auch an Weihnachten: was ist, wenn Tod und Sterben in mein Leben hineinbrechen. Allzu viel wissen wir nicht von Bachs Leben; aber es reicht aus, um etwas zu ahnen davon, wieviel Dunkelheit sein Leben bestimmte: früh war er Weise; seine erste Frau stirbt, da sind beide junge Eltern noch; er wird Vater von sage und schreibe 20 Kindern. Aber 10 von ihnen überleben das Kleinkindalter nicht. Was für eine Gegenwart des Todes in seinem Leben.
Und so ist auch im höchsten Jubel immer diese Frage da: und wenn ich sterbe, was ist dann mit mir; und wo bist dann du, Gott? Bach feiert nicht nur Weihnachten, er feiert den ganzen Glauben. Das neugeborene Kind in der Krippe ist immer auch schon der erwachsene Mann, der ans Kreuz genagelt wird. Und so steht Bach an Jesu Krippe, vertraut sich diesem Gott an, wie Gott auf uns und unser Leben einlässt. Untrennbar ist diese Gemeinschaft. Ungläubig staunend, so als könne er es kaum fassen: ist wirklich Schluss mit dieser tief verankerten Angst? Darf ich mich wirklich voll und ganz fallen lassen in dich hinein, Gott? Im Leben- und eben auch im Sterben?
Eine ganze Kantate von den insgesamt sechs des Weihnachts-Oratorium nimmt sich Bach für diese Frage Raum. Viel ist nicht zu erzählen, ein einziger biblischer Vers, aber um umso mehr tastend, suchen, fragend auch der Botschaft nachzuspüren. Diese 4. Kantate, ursprünglich vorgesehen für den Neujahrstag hat wenig Handlung. Sie erzählt von der Beschneidung und Namensgebung Jesu: Jesus, d.h. Gott ist Rettung, Hilfe, Heilung. Dieser Jesus wird Menschen helfen, er wird heilen, was krank oder zerbrochen ist. Unzählige werden sich durch ihn als von Gott angenommen und gerettet fühlen. Und man wird sein Wirken mit dem prophetischen Namen Immanuel verbinden: Gott ist mit uns; so wie Gott es immer schon war und gleichzeitig wird alles noch einmal auf Anfang gestellt.
Muss ich also Angst haben? So fragt Bach, so frage ich. Und die himmlische Stimme sagt nein! Und nochmals nein.
Darf ich mich voller Vertrauen dem Leben hingeben? Und die himmlische Stimme sagt ja! Ja!
Wer Bachs Musik hört, der spürt die tiefe Wahrheit, die sich in unser Herz singt und auch den verborgensten Teil meiner Seele erfasst.
Mit Johann Sebastian Bach stehen wir an Jesu Krippe mit allem, was uns und unser Leben ausmacht. Das Weihnachtsoratorium endet nicht hier. Nicht in der Innerlichkeit und nicht im Stall. Wer meint, es gehe Bach nur um die gläubige Seele, der tut ihm unrecht. Macht, Herrschaft und Gewalt- Teil der Welt zur Zeit Jesu und immer schon werden von diesem Gott-mit-uns erfasst. Die Botschaft von einem Neuanfang erreicht nicht nur die ganze Welt, sie ist stärker als alles Machtstreben und jedes Eigeninteresse. Zwei ganze Kantaten widmet Bach den herannahenden Magiern, Sterndeutern, Weisen, Königen- wie immer wir sie nennen. Die ganze Welt an der Krippe. Und: der Versuch der weltlichen Macht zu manipulieren und den Friedenskönig notfalls mit Gewalt aus dem Weg zu räumen- es wird nicht gelingen.
Dieses Kind im Stall von Bethlehem. Es ist eines von 150 Neugeborenen, die jede Minute das Licht der Welt erblicken. 150mal pro Minute fängt etwas gänzlich Neues, nie Dagewesenes an. Jedes dieser Kinder ruft nach einer Welt, in der Gerechtigkeit nicht nur ein Traum, sondern Wirklichkeit geworden ist.
Der Retter der Welt- geboren im Stall von Bethlehem. Gott, Mensch geworden, geboren auf dem Marktplatz in Magdeburg. Gott wird Mensch- auf den Schlachtfeldern unserer Kriege, in der Einsamkeit unserer Wohnungen, in den Schaltzentralen der Wirtschaftskonzerne und Regenten.
Weihnachten beginnt bei uns, bei unserer Menschwerdung. Die Veränderung ereignet sich in uns und damit in dieser Welt. Immer sind es Menschen, sagt Rose Ausländer, du weißt es, ihr Herz ist ein kleiner Stern, der die Welt beleuchtet.
Die gerechte Welt kommt nicht wie ein Urknall. Sie beginnt im Kleinen, in der Verletzlichkeit unseres Leben. Sie beginnt mit jeder Hand, die gereicht wird, mit jeder Faust, die sich öffnet. Sie beginnt mit jedem Kind, das willkommen geheißen wird.
Ja, Gott ist heute Mensch geworden; in dieser heiligen Nacht. Gott wird bleiben- über alle Schrecken hinweg. Jesus, meine Freud und Wonne, meine Hoffnung, Schatz und Teil.
- Pastorin Nicola Nemzow