
Jahreslosung 2025 aus dem 1.Brief des Paulus an die Thessalonicher 5,21
„Prüft!“ Am Beginn des Neuen Jahres ist das vielleicht noch nicht so ganz einfach, weil es erst ein paar Stunden alt ist. Auch wenn du nochmals zurückschaust auf das, was vergangen ist, kann das schwierig sein. Da willst du lieber nicht so genau hingucken, weil es deiner kritischen Selbstprüfung nicht so gut Stand hält.
„Prüft alles!“ Alles? Vielleicht alle Erfahrungen, die du gemacht, Dinge, die du gefunden hast. Ich stelle mir einen Korb gesammelter Pilze vor. Darunter solche, die angenehm und solche, die sehr unangenehm werden können. Da musst du alles prüfen. Dafür gibt es heute auch Apps. Die liefern dir aber nur Namen und ein paar Analysen. Zum Prüfen brauchst du alle deine Sinne: Die Beobachtung, wie es um den Pilz herum aussieht, wie ist die Bodenbeschaffenheit. Wie fühlt er sich an oder wie riecht er? Vor allem aber brauchst du die Bereitschaft zum Hören auf das Urteil anderer. Das Prüfen der Pilze lernst du nicht aus Büchern, sondern beim gemeinsamen „In-die-Pilze-Gehen“ mit anderen.
„Prüft alles und behaltet das Gute!“ Und das Gute? Anders als bei den Pilzen, ist das ja nicht so klar. Lässt sich das finden? Oder stellt sich das erst ein als Ergebnis eines Prozesses?
Menschen, die immer alles prüfen, kritisieren, bewerten, können im besten Fall nur anstrengend sein: in der Familie, unter Freunden, bei der Arbeit. Im schlimmsten Fall bedeutet der Anspruch alles zu prüfen: totale Überwachung, dauernde Kontrolle, Tracking aller digitalen Bewegungen. Jugendliche leiden unter ständigem Prüfungsdruck. Und überhaupt muss unablässig überprüft, im Blick behalten werden: die Rechnungen, der Kontostand, die Sonderangebote, die Qualitätsstandards der Schule, der Kita, des Seniorenheims, des Krankenhauses. Und eine ganze Branche lebt davon, die Panik vor einer Prüfung zu nehmen.
Auf das Prüfen selbst zu verzichten ist allerdings auch nicht ratsam. Wir setzen permanente Lebensmitteilkontrollen voraus, nicht nur bei Pilzen. Wir erwarten regelmäßige Sicherheitsprüfungen in allen Bereichen des Verkehrs. Wir vertrauen darauf, dass nachweislich kompetente Pflegekräften und Krankenauspersonal sich um uns kümmern. Auch eine Jahreslosung wird nicht ausgelost, sondern ist das Ergebnis einer Prüfung, ob sie Gutes enthält.
Wer sie genauer prüft, findet sie im Schlussteil der ältesten neutestamentlichen Schrift. Um etwa 50 n. Chr. schrieb der Apostel Paulus an die von ihm selbst gegründete christliche Gemeinde in Thessaloniki, die er pflegte „wie eine Amme ihre Kinder“ (2,7). Aber diese Kinder waren schnell erwachsen geworden. Die Gemeinde musste selbst klar kommen, ihr eigenes Leben organisieren. Paulus traute ihnen das auch zu. Ganz am Schluss fasst er in kurzen Sätzen zusammen, was er ihnen noch zu sagen hatte in einer kirchlichen Welt jenseits unseres Erfahrungshorizontes. Die ersten Evangelien wird es erst eine Generation später geben, die Gemeinde kommt in Häusern, nicht in Kirchen zusammen. In den Gottesdiensten war es nicht unüblich, dass Menschen ekstatisch ihrem Glauben Ausdruck verliehen, vielleicht mit Lauten, die kaum einer verstand, mit enthusiastischen Bewegungen, die den ganzen Körper erfassten. Paulus verurteilt das nicht. Ob das passt oder nicht, sagt er, entscheidet die Gemeinde.
Religiöse Begeisterung rechtfertigt nicht alles und jedes. Persönliche Überzeugung kann nicht automatisch allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen. Was gut für die einen ist, muss noch lange nicht gut für das Ganze sein.
Für Jesus war „das Gute“ die Orientierung an Gottes Weisung und er hat sie konsequent gelebt. Paulus ist ihm darin gefolgt. „Alle Gebote Gotts sind in diesem Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses.“ (Röm 13,9-10).
Wir wissen nicht, wie die Gemeinde in Thessaloniki das praktisch gemacht hat. Jedenfalls muss es eine Aufgabe im Plural gewesen sein. Keiner kann allein alles prüfen. Und vielleicht meinte „Alles“ auch nicht „Alles und Jedes“, sondern vor allem eine Offenheit für alles, was in der Gemeinde geistlich wichtig war. Nichts ausschließen, kein vorschnelles Urteilen, keine Sanktionen, selbst dort wo Menschen im Glauben andere Wege, andere Ausdrucksformen, eine andere Sprache wählen. Um Verstehen bemühtes Hinhören. Dem kritischen Geist vertrauen, aber mit allen Sinnen. Wenn man so will: Toleranz üben. Prüfen in der Konzentration auf das, was dran ist, niemanden vergessen, nichts außer Acht lassen. Gemeinsam ins Gelingen gehen.
Peter Martins