Zukunftsmut

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Zukunftsmut

Zukunftsmut

 Im Jahr 2061 werde ich 80 Jahre. Ich stelle mir vor, wie ich diesen Geburtstag feiern würde. Auf einer Wiese unter Apfelbäumen. Dort wäre eine große Kaffeetafel gedeckt, und viele liebe Menschen kommen zum Fest: meine dann erwachsenen Kinder, Freundinnen und Freunde, vielleicht sogar Enkelkinder. Wir schwingen das Tanzbein und feiern bis tief in die Nacht – so Gott will und wir leben.

Ich lasse mich in dieses Zukunftsbild fallen wie in einen Traum. Wie schön wäre es, wenn ich diesen Moment erleben könnte. Doch in den vergangenen Wochen und Monaten ist mir der unbeschwerte Blick auf die Zukunft abhandengekommen. Wenn ich heute an die Zukunft denke, sehe ich nicht zuerst blühende Apfelbäume. Ich ertappe mich bei grauen Gedanken: Der Krieg in der Ukraine könnte sich ausweiten, Hitzerekorde und Überschwemmungen könnten zunehmen, die AfD könnte 2029 die Macht übernehmen.

Dabei gehöre ich zu einer Generation, der es in vielen Bereichen besser geht als ihren Eltern. Ich kann mich heute als berufstätige Frau selbst versorgen – das war früher undenkbar! Natürlich: Nicht alle Träume sind wahr geworden. Doch die Zukunft, von der ich als Jugendliche geträumt habe, hat sich für mich in vielen Punkten erfüllt.

„Was willst du mal machen, wenn du groß bist?“ ist eine typische Frage, wenn man Kinder nach ihrer Zukunft fragt. Viele geben darauf eine schnelle Antwort und sagen dann ihren Berufswunsch: Pilotin, Gärtner, Richterin. Mich hat nachdenklich gemacht, was mir eine jüdische Freundin erzählt hat. Sie hat ihrer Tochter vom Jurastudium abgeraten. Ihre Begründung war so einsichtig wie erschütternd: „Rechtswissenschaft bindet dich an die Gesetze des Landes, in dem du lebst. Du weißt nicht, wie lange wir als jüdische Familie in Deutschland noch in Sicherheit leben können.“ Mich bedrückt diese Aussage. Denn sie macht deutlich, wie bedrängt jüdisches Leben in Deutschland ist. Die Zukunft der Tochter meiner Freundin wird durch die gegenwärtige politische Stimmung stark eingeschränkt.

Ich frage mich: Wie gelingt es uns als Gesellschaft, trotzdem positiv in die Zukunft zu blicken? Mir hilft es zu verstehen, dass die Rede von der Zukunft schon immer mit einem Nichtwissen verbunden ist – und deshalb auch mit Unsicherheit. Die prophetische Tradition der Bibel nimmt viele Zukunftsängste auf und gibt Trostworte weiter, die Menschen ein Leben in Fülle verheißen. Der Prophet Jeremia findet dafür diese Worte:

„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jeremia 29,11)

 

Jeremias Trostworte richten sich an das Volk Israel im babylonischen Exil. Es wurde verschleppt und lebte über Generationen fern von seiner Heimat. Eine blühende Zukunft schien unerreichbar.

Jeremia ermuntert seine Hörer/innen dazu, sich nicht im Selbstmitleid über eine ungewisse Zukunft einzurichten. Er verspricht, dass Gott uns Menschen nicht vergessen wird. Gott ist in Gedanken bei uns und verspricht uns eine hoffnungsvolle Zukunft.

Als Christin habe ich deshalb allen Grund optimistisch und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Das ist keine religiöse Utopie, sondern wird für mich an verschiedenen Stellen auch in unserer Gemeinde konkret sichtbar: zum Beispiel durch die Arbeit in der Kaffeestube, wo wir täglich für Menschen da sind und ihnen Zukunft und Hoffnung schenken. Oder im Hoffnungsgarten, wo wir die Schönheit der Natur mitten in der Großstadt einatmen und zwischen Generationen und Herkünften den trockenen Boden in eine Oase verwandeln.

Das gibt mir Hoffnung. Meine Zukunftsangst verwandelt sich in „Zukunftsmut“. Ich kann mich mit anderen austauschen, überlege, wie ich selbst die Zukunft gestalten kann und bleibe dadurch nicht allein. Für den Sänger und Musiker Peter Fox hat die Zukunft die Farbe Pink. In seinem gleichnamigen Lied klingt das so:

„Alle mal’n schwarz, ich seh die Zukunft pink,  und wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind.“

 

Die Zukunft pink sehen bedeutet: Ich gebe der Zukunft eine Farbe, die nicht grau ist. Bei mir ist es die Aussicht auf meinen 80. Geburtstag im Kreise meiner Lieben an einer Kaffeetafel unter Apfelbäumen. Aus diesen pinken Zukunftsgedanken kann ich eine innere Haltung auch für das Hier und Jetzt entwickeln. Ich nenne diese Haltung „Zukunftsmut“. Mal angenommen, es wird in Zukunft doch noch alles gut: Was könnte ich heute dazu beitragen?

 

Pfarrerin Annegreth Schilling

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