Zukunft, Kirche und Hoffnung

# Ho Hoffnungszeichen

Zukunft, Kirche und Hoffnung

Pfarrer Andreas Klein spricht mit Dr. Stefanie Brauer-Noss,

Prodekanin im Evangelischen Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach

 


Andreas: Liebe Steffi, du bist Prodekanin im Stadtdekanat Frankfurt-Offenbach. Wenn jemand sagt „in Zukunft müssen wir...“, was bedeutet das für dich? Denkst du an morgen oder an das übernächste Jahrzehnt?

Stefanie: Bei „Zukunft“ denke ich sofort an jetzt – an morgen. Nicht an die nächsten 10 oder 20 Jahre. Schon morgen ist Zukunft, und heute beginnt sie eigentlich schon. Diese langen Zeiträume überfordern mich eher, weil ich sie nicht überblicken oder kontrollieren kann. Ich glaube, wir müssen im Jetzt handeln, damit die Zukunft gut wird.

 

Andreas: Also keine Science-Fiction. Die Zukunft beginnt heute Nachmittag.

Stefanie: Genau. Und sie betrifft mich unmittelbar – auch persönlich.

 

Andreas: Du hast Kinder. Welche Gedanken machst du dir mit Blick auf deren Zukunft? Klimakrise, Wehrpflicht, neue Technologien, Gerechtigkeit?

Stefanie: Ich merke, dass mich vieles beunruhigt – vor allem das Klima, sowohl das ökologische als auch das gesellschaftliche. Wir erleben eine Zeit, in der Demokratie keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Welt sortiert sich gerade neu – politisch, gesellschaftlich. Das macht mir Angst. Trotzdem versuche ich, meine Kinder (sie sind 9 und 12) nicht mit dieser Schwere zu belasten, sondern ihnen Werte mitzugeben: Achtsamkeit im Umgang mit Ressourcen, ein gutes Miteinander, wie man Konflikte löst. Damit sie befähigt sind, ihre Zukunft mitzugestalten.

 

Andreas: Ist das dein Umgang mit der Zukunft – nicht sorgenvoll, aber sorgfältig?

Stefanie: Ich glaube, Sorgen und Sorgfalt schließen sich nicht aus. Ich lasse mich aber nicht von Angst lähmen. Ich versuche, im Hier und Jetzt das zu tun, was möglich ist – Schritt für Schritt. Ich sehe bei Älteren wie Jüngeren diese Tendenz zur Ohnmacht, manchmal auch zur Depression. Aber wenn ich handlungsfähig bleiben will, dann darf ich mich nicht von der Angst bestimmen lassen.

 

Andreas: Viele reden von Innovation. Neulich hörte ich den Begriff „Exnovation“ – bewusst Dinge weglassen. Was ist dir wichtiger?

Stefanie: Beides. Unsere Gesellschaft denkt oft: Mehr ist besser. Aber unsere Ressourcen reichen nicht mehr aus für immer neue Innovationen. Wir müssen lernen, Dinge bewusst zu lassen – nicht aus Schwäche, sondern um Raum zu schaffen. In der Kirche zum Beispiel gelingt Innovation nur, wenn wir auch Prioritäten setzen und andere Dinge nicht mehr machen. Exnovation ist also eine Voraussetzung für gute Innovation.

 

Andreas: Was investieren Menschen für die Zukunft? Was lassen sie und wo sind sie bequem? Manche verzichten heute bewusst auf Alkohol, weil sie sich und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollen. Andere sagen: Es bringt doch eh nichts, wir machen einfach weiter wie bisher. Was nimmst du wahr?

Stefanie: Ich verstehe beide Seiten. Ich erinnere mich an 2019 – vor Corona, als Fridays for Future auf dem Höhepunkt war. Ich habe mich intensiv mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Ist die Milch im Tetra Pak besser als die in der Glasflasche? Und dann merkt man: Es ist kompliziert. Es gibt im Blick auf die Öko-Bilanz oft keine klare Antwort. Das kann frustrieren – und irgendwann denkt man: Ich weiß eh nicht, was richtig ist. Ich plädiere für ein gesundes Mittelmaß. Wir müssen nicht perfekt sein, aber wir können verantwortungsvoll handeln – nach bestem Wissen und Gewissen.

 

Andreas: Du arbeitest für die Evangelische Kirche in Frankfurt und Offenbach – eine Organisation, die viele Mitglieder verliert und sich in einem großen Reformprozess befindet. Woher nimmst du die Energie?

Stefanie: Ich glaube daran, dass Kirche auch in Zukunft eine Rolle spielen wird – vielleicht anders, aber nicht weniger wichtig. Was mir Kraft gibt: Wir sind als Kirche weiterhin ein gefragter Gesprächspartner in dieser Stadt. Und ich bin nicht allein – es gibt viele engagierte Menschen, mit denen ich gemeinsam unterwegs bin. Das ist ein starkes Gefühl von Gemeinschaft. Ich empfinde das Dekanat als einen Ort, der nicht nur bewahren will, sondern mutig ist. Das macht Hoffnung.

 

Andreas: Ich habe hier fünf Begriffe, die du nach ihrer Bedeutung für die Zukunft sortieren sollst.

Stefanie: Ganz oben steht für mich Mut, Dinge auszuprobieren – im Kleinen, experimentell. Daraus entsteht Vision. Dann kommt das Bauchgefühl – für mich ein ganz wichtiger innerer Kompass. Es speist sich aus allem, was ich erlebt und gelernt habe. Danach Theologie – sie verändert sich mit der Zeit und neuen Einsichten. Und schließlich Organisationsmodelle und zahlenbasierte Steuerung – die sind wichtig, aber erst wenn klar ist, wo wir hinwollen. Ohne Mut und Vision bleibt alles bloße Verwaltung.


 

Andreas: Manchmal stellen wir uns als Kirche wie ein cooles modernes Start-up dar – dabei sind wir eine große, schwerfällige Organisation. Machen wir uns da etwas vor?

Stefanie: Wir müssen ehrlich sein: Die Großorganisation ist nicht spritzig, sondern langsam – ein schwerer Tanker. Aber sie kann den Rahmen schaffen für kleine, lebendige Formen von Kirche. In den Stadtteilen, Nachbarschaften, Gemeinden kann Neues wachsen – wenn man es lässt. Ich träume davon, dass es Spielräume gibt für Kreativität und Frische, sogenannte „Fresh X“-Projekte. Aber dafür braucht es Zeit – das berühmte „B-Programm“. Wenn wir uns komplett mit dem Pflichtprogramm auslasten, bleibt kein Raum für Innovation.

 

Andreas: Gab es für dich zuletzt ein persönliches Hoffnungszeichen?

Stefanie: Ja. Ein Mitarbeiter einer unserer Gemeinden befand sich vor Kurzem in einer sehr schweren Zeit – seine Frau war schwer krank und ist dann verstorben. Und trotzdem sagte er immer wieder, wie sehr er sich getragen fühlte: von Kirche, von der Gemeinschaft. Dieses Gefühl des Getragenseins in einer ausweglosen Situation – das war für ihn echte Hoffnung. Und für mich auch. Denn es zeigt, dass Kirche, Glaube, Gott für einzelne Menschen immer noch einen Unterschied machen. Und das ist für mich das stärkste Hoffnungszeichen überhaupt.


Andreas: Vielen Dank für das Gespräch!

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