​Heilige Räume

# Andacht to go

​Heilige Räume

Ich habe vor ein paar Tagen etwas über „heilige Räume“ gelesen, das mich zum Nachdenken gebracht hat. Bei heiligen Räumen denke ich an erster Stelle an unsere großen, alten Kirchen mit den hohen Decken und Säulen.

Der Artikel begann jedoch damit, dass die Autorin beschrieb, wie sie sich darüber aufregte, dass ein Nachbar am Sonntag den Rasen mähte und kurz davor war, zu brüllen: „Es ist Sonntag!“

Ich gebe zu, auch wenn wir am Sonntag vielleicht nicht den Rasen mähen, nehmen wir die Sonntagsruhe doch nicht immer ganz so ernst. Daher fühlte ich mich leicht ertappt. Aber was hat nun das Rasenmähen am Sonntag mit heiligen Räumen zu tun Die Autorin stellte fest, dass das Bedürfnis nach diesen besonderen Räumen, also Orten oder Situationen, in denen ein bestimmtes Verhalten als angemessen gilt, aktuell sehr groß ist. Wenn diese Erwartungen dann nicht erfüllt werden, führt das manchmal dazu, dass man am liebsten laut herumpoltern würde oder es tatsächlich tut: „Was soll das? So geht das doch nicht!“

Kaffeetrinken während des Gottesdienstes; eine Beerdigung, bei der Kinder durch die Kapelle rennen oder Tanzen im Gottesdienst; eine Pfarrerin mit lackierten Fingernägeln … Die Liste ist lang. Bei manch einem werden da die eigenen Grenzen überschritten, und das fühlt sich wie ein Angriff an. Heilige Orte können natürlich auch der Feierabend sein, der Sonntag, ein Konzertbesuch oder der langersehnte Urlaub. Als grobe Definition schreibt die Autorin: „Es handelt sich um Orte, Situationen oder Zeiten, die Menschen heilig sind. Orte, die es schaffen, Menschen ein Gefühl von ‚Da gibt es mehr‘ zu schenken. Mehr als das Tägliche, mehr als das Leben hier. Orte und Situationen, die es schaffen, uns aus dem Alltag herauszuheben, Kraft zu tanken und uns gesegnet zu fühlen.“

Ich habe das Gefühl: Je herausfordernder und schneller unser Alltag wird, desto wichtiger werden uns diese heiligen Räume - auch ein wenig als Zufluchtsorte, in die wir flüchten können, wenn es um uns herum einfach zu wild wird. Allerdings setzen diese heiligen Räume, wie man an meinen Beispielen aus dem Gottesdienst sieht, nicht nur meine eigene passende Einstellung voraus, sondern auch die der anderen. Und das führt unweigerlich zu Konflikten, besonders dann, wenn die stillschweigenden Erwartungen nicht ausgesprochen werden. Wenn man nicht gemeinsam ins Gespräch darüber kommt, was einem wichtig ist und welche Bedürfnisse man hat.

Manchmal erscheint es mir so, als sei das Gespräch überflüssig, da vieles ohnehin indiskutabel ist. Kinder dürfen in der Kirche nicht essen. Basta, aus! Ja, ich kenne das auch von mir selbst: In meinen eigenen heiligen Räumen fällt es mir schwer, es auszuhalten, wenn die Menschen um mich herum anders ticken. Vielleicht auch verbunden mit der Sorge, dass mein heiliger Raum dadurch zerstört wird. Aber wer weiß – vielleicht geht es eigentlich um etwas ganz anderes: Nicht darum, dass mein heiliger Raum verletzt wird, sondern darum, dass ich mich selbst angegriffen fühle. Hier sieht man mich und mein Bedürfnis nach Ruhe ja gar nicht! 

Für unsere Gemeinde wünsche ich mir, dass wir gerade darüber lernen zu reden – über das, was uns heilig und wichtig ist. Und dass wir auch zuhören, wenn andere gute Gründe haben, die dagegen sprechen.

Wer weiß – vielleicht werden so auch manche Grenzen verschoben …

Ihre Pfarrerin Charlotte Behr

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