
Gib, dass wir Heute, Herr durch Dein Geleite auf unsern Wegen unverhindert gehen!
Oldtimer so weit das Auge reicht und Besucherinnen und Besucher versunken in Erinnerungen. „Schau mal, den habe ich auch mal gehabt“, hört man so manchen sagen. Sie gehen umher, staunen, schwelgen, fachsimpeln und einige kehren in die Anfänge ihrer Autofahrkarriere gedanklich zurück.

Von der ersten 2,80 m Nachkriegs-Errungenschaft, dem kleinen Messerschmitt Kabinenroller bis zum 5,40 m Wirtschaftswunder, einem Chevrolet Impala, vom Güldner Schlepper bis zum Lanz Bulldog, vom Wehrmachtskübel bis zum US-Army-Truck, von der Simson Spatz bis zur Uralt-Harley mit Beiwagen stehen sie zum Anschauen bereit, gut restauriert, auf Hochglanz poliert oder auch im Shabby-Look.

In der Mitte des Geländes befindet sich der Festivalplatz mit Verpflegungsstation und einer Bühne, auf der gestern bis in die Nacht noch Hillbilly und Rock zum Besten gegeben und vor dieser mit Lust getanzt wurde. Und jetzt ein Gottesdienst? Eingeladen haben die Grürmannsheider Oldtimerfreunde. Sie haben die Gemeinden der Pfarramtlichen Verbindung, die Kirchengemeinde Letmathe zusammen mit der Christus- und der Emmaus-Kirchengemeinde gebeten, ihn durchzuführen.
Bänke sind vor der Bühne aufgestellt. Sie füllen sich langsam. Unentschlossene und Stauende stehen am Rand, angelockt von den Klängen des Posaunenchors der Ev. Kirchengemeinden Letmathe und Oestrich-Dröschede unter der Leitung von Daniel Fellmann. Das fetzig gespielte ‚King off the Road‘, die Hymne auf das ungebundene Leben auf Straße und Schiene hat wohl manche Gäste des Oldtimertreffens neugierig gemacht.
Ein Gottesdienst auf diesem Treffen scheint wie ein Fremdkörper und doch findet er schon das dritte Mal hier statt. Inzwischen ist er eine Tradition. Pfr. Bernd Neuser wirbt über die Lautsprecher und lädt die Besucher auf dem Campingplatz und an den Frühstückstischen ein hinzuzukommen.
Uli Buschhausen, der Sprecher der Oldtimerfreunde heißt die Gemeinde willkommen und wünscht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen schönen Gottesdienst, bevor er das Mikrofon an Pfr. Bernd Neuser weiterreicht.
„Einer trage des anderen Last.“
Es ist der Wochenspruch, mit dem Pfr. Neuser auf die herausfordernden Aufgaben der Durchführung eines so großen Treffens hinweist, die nur bewältigt werden können, wenn alle gegenseitig bereit sind Lasten zu tragen. Das gilt heute hier, wie es auch in den sich ständig verändernden Bedingungen für die Kirchengemeinden der Fall ist. Der Einsatz für die Sache verlangt den Beteiligten immer mehr ab. Das sich dennoch Menschen finden, die sich einbringen und mitarbeiten, dafür gilt es zu danken.
„Der unser Leben, das er uns gegeben, in dieser Nacht so väterlich bedecket und aus dem Schlaf uns fröhlich auferwecket“

Spätestens nach dem aus vollen Kehlen gesungenen und vom Posaunenchor intonierten Lied „Lobet den Herren“ sind alle auf dem Gelände informiert und lauschen dem Reisepsalm über die Begleitung Gottes, dem „Schirmherrn meiner Lebensreise“, den Gudrun Adler gemeinsam mit Pfr. Neuser und der Gemeinde lesen.
„Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist“
Bei einen Oldtimertreffen, einer Fahrzeugschau, ist es wohl nicht verwunderlich, wenn es auch im Gottesdienst um Reisen und Wege geht und so bestimmt dies auch den weiteren Inhalt des Gottesdienstes. Gott „kommt uns selbst entgegen, die Zukunft ist sein Land!“ hat die Gemeinde gesungen. Doch um welche Zukunft geht es? Welche Weichen müssen dafür gestellt werden und in welche Richtung wird das Lenkrad gedreht?

Pfr. Neuser greift die Fragen in seiner Predigt auf. Er fährt gerne Auto, wie er sagt, und wenn er zu zweit unterwegs ist, unterhält er sich dabei schon mal so intensiv, dass er eine Abfahrt verpasst. Auch in der Bibel gibt es so eine Art „Autofahrer-Gespräch“ in einem „Oldtimer“. Ein Kämmerer aus Äthiopien ist in seiner Kutsche auf dem Weg von Jerusalem zurück in seine Heimat.
Gib, dass wir heute, Herr durch dein Geleite auf unsern Wegen ungehindert gehen“
Der Mann kommt von weither, aus Afrika. Ein afrikanischer Finanzminister. Und da er sehr wahrscheinlich vermögend ist, lenkt sicherlich ein Kutscher, sein Chauffeur, die wahrscheinlich vierrädrige Kutsche, während er hinten sitzt und in einer Schriftrolle liest und sich an ihr abmüht. Seine Gedanken sind nicht so recht bei der Sache, denn ihn beschäftigen noch seine unangenehmen und ungerechten Erfahrungen aus Jerusalem, so Pfr. Neuser. Ihm war der Zugang zum Tempel verwehrt worden und er hatte auch sonst einiges an Ausgrenzung erfahren. Nicht nur dass er ein Schwarzer ist, sondern vor allem war er als Finanzminister ein „Verschnittener“, ein kastrierter Mann, der keine Nachkommen zeugen darf und der damit vom Tempelkult ausgeschlossen wurde. So gerne er zu Israels Gott beten wollte, er durfte nicht dazu gehören.
„Er zog aber seine Straße fröhlich“.
Unterwegs trifft er auf Philippus, der am Wegesrand schon auf ihn wartet, denn Gottes Engel hat ihn dorthin geschickt. Philippus merkt sehr schnell, dass der Kämmerer mit dem Verständnis der Schrift vom Propheten Jesaja Probleme hat und fragt: „Verstehst Du, was Du da liest.“ Er deutet die Worte über das Lamm, das getötet wird auf Jesus und dem Kämmerer gehen die Augen auf, als er begreift, was Jesus auch für ihn getan hat. So kann auch er dazu gehören und bittet, als ein Bach in der Nähe ist, getauft zu werden.
„Der uns in frühen Zeiten das Leben eingehaucht, der will uns dahin leiten, wo er uns will und braucht“
Es ist eine Geschichte in der unterschiedliche Grenzen überschritten werden, die uns auch heute Wegweisung gibt. „Das Christentum ist mit dem Evangelium der Menschenfreundlichkeit Gottes nicht nur für Menschen einer regionalen Gruppe, Kultur, Hautfarbe da, sondern für alle auf diesem Globus. All diese Unterschiede sind völlig unwichtig“, sagt Pfr. Neuser. Doch wie sieht es im Alltag bei uns aus?
Pfr. Neuser hat zwei Beispiele. Der beliebte Fußballspieler Musiala ist zurzeit verletzt. Viele bangen um ihn und fühlen mit ihm. Aber wie wäre es, wenn er als einer, der seine Wurzeln in Nigeria hat, unerkannt in der Straßenbahn säße, „dann ist er einer der Nordafrikaner, von denen ein wachsender Teil unserer Bevölkerung möchte, dass sie verschwinden, aber möglichst noch heute“, sagt Pfr. Neuser.
„Der Text aus der Apostelgeschichte möchte provozieren. Er sagt ganz deutlich: Der Afrikaner gehört dazu. Er ist als getaufter Christ gleichberechtigtes Glied der jungen christlichen Gemeinde. Wo andere Grenzen errichten und Menschen ausschließen, da will Gott, dass wir zusammen sind. Ohne Wenn und Aber. Es ist die Menschenfreundlichkeit Gottes, die uns bewegen will“, lautet das eindeutige Fazit von Pfr. Neuser.
Im zweiten Beispiel geht es um die sexuelle Orientierung. „Mit der Taufe des Finanzministers hat auch unsere Bibelgeschichte eine weitere Grenze überschritten, hin zur Achtung der sexuellen Identität“, sagt Pfr. Neuser. „Wenn woanders Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität die Türen verschlossen bleiben, bei uns sind die Türen auf. Wer an Jesus glaubt, der gehört zu uns, und das gleichberechtigt und voll gültig.“ Eine Erkenntnis, die gerade heute in der verstärkten Anfeindung von queeren Menschen eine Reaktion von Christen braucht. Deshalb der Aufruf von Pfr. Neuser: „Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, wo wir – ja ich meine uns hier – Position beziehen müssen“.

„Ach lass doch ferner über unser Leben bei Tag und Nacht dein Huld und Güte schweben“
„In Philippus ist dem Kämmerer Gott begegnet, als einer, der keine Unterschiede macht. Die Taufe ist eine Zeichenhandlung, die uns das zusagt: Du bist mein geliebtes Kind – so wie du bist, bist du von Gott geliebt. Wenn das nicht fröhlich macht, was dann?“

Nach dem von Pfr. Neuser gespendeten Segen konnte dann auf dem Oldtimertreff eigentlich nichts anderes gesungen werden, als das Lied: „Möge die Straße uns zusammenführen und der Wind in deinem Rücken sein.“ So in Gottes Hand geborgen hörten die Besucherinnen und Besucher das fetzig gespielte Schlusslied des Posaunenchores ‚King off the Road‘, noch einmal ganz neu. Denn die Hymne auf das ungebundene Leben auf der Straße, ist auch ein Lied gegen die Ausgrenzung der Wohnungslosen und Verlierer der Gesellschaft.
Die meisten blieben wohl noch länger auf dem Gelände und zogen ihrer Wege fröhlich, denn es gab noch so viel zu entdecken.
Text und Fotos Bernhard Laß