Markus-Passion – von Johann Sebastian Bach?
Was sie hören werden, ist nicht das, was Sie zu hören glauben: Die Markus-Passion von Johann Sebastian Bach gibt es nicht mehr – jedenfalls nicht komplett. Am Karfreitag 1731 wurde sie in der Leipziger Thomaskirche uraufgeführt, so viel ist sicher. Nach Bachs Tod lässt sich das Manuskript noch beim Verleger Johann Breitkopf nachweisen. Doch dann verliert sich die Spur. Gerüchten zufolge soll ein Exemplar in Königsberg gewesen sein, nach dem Zweiten Weltkrieg aber war es nicht mehr auffindbar.
Aber sie lässt sich rekonstruieren: Was die Frohnauer Kantorei aufführen wird, ist der jüngste Versuch einer solchen Rekonstruktion. Erwiesen ist, dass Bach nicht viel Zeit hatte, um ein großes Werk zu komponieren: Todesfälle in der Familie und viel Ärger mit seinem Arbeitgeber, dem Leipziger Rat, setzten ihn unter Druck. Bach löste das Problem ganz pragmatisch: er griff für die Markus-Passion auf bereits vorhandene Kompositionen zurück: Eingangs- und Schlusschor sowie drei Arien entstammen nachweislich der Trauer-Ode, die Bach bereits 1727 komponiert hatte. Drei weitere Arien wurden für die Rekonstruktion aus den gesammelten Kantaten Bachs genommen.
Der Evangelistenpart allerdings fehlt bis heute komplett. In der Ausgabe, die zur Aufführung kommt, greift der Herausgeber erstmalig auf die Komposition eines Zeitgenossen von Bach zurück: Reinhard Keiser. Dieser hatte bereits vor Bach eine komplette Markus-Passion komponiert, die Bach selbst wohl auch aufgeführt und teilweise in seiner Matthäuspassion.
Im Ergebnis liegt uns die wohl authentischste Fassung der Markus-Passion vor. Für das Publikum wird dieses großartige und selten aufgeführte Werk Bachs zu einem Hör-Abenteuer: was ist von Bach und was von Keiser? Doch darüber hinaus ist diese Musik ein großes, tröstliches aber auch dramatisches und ergreifendes Passionsoratorium, welches den beiden berühmten Schwestern, der Matthäus- und der Johannespassion, in Qualität und Wirkung in nichts nachsteht.
N. Bewerunge / J. Walter