Die Macht der Worte in Musik: Über die Erzählkunst Alter Musik
Wer hätte gedacht, dass ein Text, gedichtet von Maria, der Mutter Jesu, als rebellisch galt? Ein einfaches Lied, das von Freude, Hoffnung und der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse spricht, wurde in Ländern wie Argentinien, Guatemala und Indien verboten. Warum? Weil die Worte des Magnificats so mächtig sind, dass sie als Aufruf zum Umsturz interpretiert werden können. Sätze wie "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Erniedrigten" klingen in manchen Ohren gefährlich.
Doch wie war das früher – zum Beispiel vor fünfhundert Jahren? Komponisten wie Victoria in Spanien und Viadana in Italien gehen voller Entdeckerfreude der Renaissance voran: Sie zeichnen vielstimmig und kontrastreich die Spannweite des Textes nach. Inmitten der Schönheit und Tiefe dieser Musik kann ich/lässt sich erleben, wie die kraftvolle Vision in Marias Lobgesang lebendig, leicht und froh macht. Dann vermag Musik das Schwere und scheinbar Unabwendbare spielend zu durchschreiten und aufzulösen.
Nach Victoria (1600) und Viadana (1612) veröffentlichte Heinrich Schütz seine erste Fassung des Magnificats 1648 noch vor Ende des 30-jährigen Krieges. Welch eine Entwicklung in Stil und Instrumentierung! Wenn Schütz Instrumente wie Streicher und Basso continuo einbezieht, so erzählt seine Musik auch von den ungezählten Menschen, die ihre Stimme und ihr Leben in sinnlosen Kriegen verloren haben.
Alte Musik erzählt Geschichten, und zwar auf eine ganz besondere Weise. Jedes Wort, jede Silbe ist wie ein musikalischer Pinselstrich, der ein Bild in unseren Köpfen malt. Komponisten wie Heinrich Schütz haben sich dieser Kunst gewidmet. In seinem Magnificat malt er mit Klängen und musikalischer Bewegung lebhafte Bilder: Die sanfte Barmherzigkeit Gottes wird durch lange, ruhige Töne dargestellt, während die Gewalt in hektischen, aufgeregten Passagen zum Ausdruck kommt.
Warum ist das so faszinierend?
Weil die Alte Musik direkt ins Herz trifft. Sie spricht eine Sprache, die wir verstehen, selbst wenn Worte uns nicht erreichen. Sie berührt unsere Gefühle und lässt uns nachdenken. Ist es nicht genau das, was wir in der Weihnachtszeit suchen: mehr Empathie füreinander, mehr Hoffnung für die Welt, mehr Klang in uns selbst?
Lass dich entführen in eine Welt voller Klänge und Geschichten! Biblische Lieder wie das Magnificat – musikalisch erzählt von großen Meistern der Renaissance und des Frühbarocks – wollen berühren und inspirieren.
Cantilena / Friedemann Gehrt