Predigt an Exaudi 24.5.2020 – Volker Lübke
Text: Eph 3, 14 - 21
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Liebe Lesende!
Die Epistel des Sonntags Exaudi, über die ich in der Predigt nachdenken möchte, klingt wie ein Gebet. Und damit passt dieser Text auch gut zum Sonntag Exaudi. Denn der bedeutet ja übersetzt: Höre. Und wenn wir uns den Zusammenhang aus dem Psalm 27, dem er entnommen ist, vor Augen führen, dann wird schnell klar, dass dahinter nicht entweder die Aufforderung an die Gemeinde steht, nun auch gut bei der Predigt, beim Gottesdienst zuzuhören, sondern dass es eine Bitte an Gott ist: Herr, höre meine Stimme! Und genau das erhoffen wir ja, wenn wir beten. Dass Gott uns erhören möge, dass er sich uns gnädig zuwendet.
Was ist nun der Inhalt der gebetsähnlichen Verse von Paulus aus dem Epheserbrief?
Schon an seinen ersten Worten bleibe ich hängen.
Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater....
Paulus nimmt uns mit in seine Haltung des Gebets, die von Ehrfurcht und Demut geprägt ist. Und damit stellt sich sofort die Frage, ob wir eine solche Haltung teilen. Gibt es für uns Menschen heute noch Anlässe und Dinge, die uns niederknien lassen? Wovor würden wir heute voller Ehrfurcht unsere Knie beugen? Vielleicht mag es bei uns Christen noch hin und wieder eine solche Haltung geben. So zum Bespiel bei Einseg-nungen oder anderen Segenshandlungen. Aber wenn ich sonst an unsere Zeit denke, dann habe ich den Eindruck, dass es selten etwas gibt, vor dem Menschen heute noch demütig niederknien. Dass sie bereit sind als höhere Macht anzuerkennen. Und es scheint mir im Vergleich zu früheren Zeiten der Menschheit mit daran zu liegen, dass uns Menschen seit den Zeiten der Aufklärung fast nichts mehr heilig ist und als nicht anzweifelbar gilt.
Die Vorreiterrolle und den Maßstab für diese Haltung bietet die Wissenschaft. Für fast alles gibt es heute wissenschaftliche Erklärungen. Immer mehr Abläufe und Geschehnisse dieser Welt sind genauestens analysiert und mathematisch exakt beschrieben. Selbst den letzten Geheimnissen menschlichen Lebens sind Wissenschaftler auf der Spur, sind dabei alle Erbanlagen genetisch zu entschlüsseln und voraus-zusagen, wie sich ein noch nicht einmal geborener Mensch entwickeln, welche besonderen Fähigkeiten er haben und für welche Krankheiten er anfällig sein wird.
Und auch, was unsere Umwelt, unsere Erde und sogar den Weltraum angeht, wächst die Erkenntnis der Menschheit in sich beschleunigendem Maße. Kaum ein biologischer Vorgang der noch nicht von menschlichem Forschergeist beschrieben und erklärt wäre, fast kein chemischer Prozess, den Menschen nicht im Labor nachvollzogen und in Formeln gefasst hätten. Und da, wo die Erde dem menschlichen Erkenntnisdrang zu klein geworden ist, werden mit ungeheurem Aufwand Forschungsstationen und Observatorien errichtet, die noch die entferntesten Galaxien erfassen und menschlicher Beobachtung und Deutung zuführen sollen.
Nichts scheint menschlichem Verstand verschlossen, fast alles scheint erklärbar, machbar und möglich. Und so scheint es auch nichts zu geben, was einen Menschen der Gegenwart noch veranlassen könnte, demütig niederzuknien.
Und es ist denn wohl auch nicht ganz zufällig, dass diese Geste der Ehr-furcht auch in unseren Gottesdiensten abgeschafft worden ist. Niederknien, Ehrfurcht und Demut zeigen, das scheint für viele Zeitgenossen und auch für uns Christen nicht mehr angemessen, der Rolle des Menschen der Gegenwart nicht entsprechend.
Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Denn unsere Gegen-wart ist zugleich durch genau entgegengesetzte Phänomene geprägt.
Da legt ein neues Virus in kürzester Zeit die Weltwirtschaft lahm und zwingt fast die ganze Menschheit von einem Moment auf den anderen ihr Verhalten zu verändern und ihr gewohntes Leben einzuschränken.
Da zeigen sich Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels, denen wir hilflos gegenüberstehen. Da finden pseudo-wissenschaftliche oder pseudoreligiöse Erklärungsmuster für Lebensschicksale von Men-schen zunehmend Interesse. New-Age oder Astrologie, Sekten oder fernöstliche Meditation sind Schlagworte und Dinge die Millionen von Menschen weltweit in ihren Bann ziehen.
Und dann können und müssen wir tagtäglich feststellen, dass Menschen in unserer Gesellschaft, in unserer Nachbarschaft zwar nicht nieder-knien, aber doch aus ganz anderen Gründen in die Knie gehen.
Da müssen Menschen hilflos und ohnmächtig mitansehen, wie ihre Existenz in die Brüche geht, sei es durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder durch die Zerrüttung von Beziehungen. Da machen Jugendliche die Erfahrung, dass es für sie keine Zukunftsperspektive gibt, keine Ausbil-dung, keinen Arbeitsplatz. Da stehen Menschen fassungs- und hilflos am Grab eines Nahestehenden, ohne dessen Dasein, sie für das eigene Leben keinerlei Hoffnung und Zukunft sehen. Da stellen Menschen fest, dass all ihre Ziele für sie unerreichbar geworden sind und sie nur noch den Scherbenhaufen ihrer Lebensplanung zusammenfegen können.
Allmachtshoffnung und Hilflosigkeit stehen sich greifbar direkt gegen-über. Machbarkeitswahn und Gottesferne zeigen sich als zusammen-hängende Lebensmuster unserer Gegenwart.
Ganz anders die Bilder und Gedanken des Textabschnitts aus dem Epheserbrief, in dem der Apostel schreibt: „Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkennt-nis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.“
Der Apostel beugt seine Knie vor Gott. Nicht weil er ihm als etwas Be-drohliches erscheint, das ihn in die Knie zwänge, sondern weil er selbst von der Erkenntnis Gottes durch Jesus Christus erfüllt ist. Der Erkennt-nis, dass Gott der Vater, der Schöpfer und Bewahrer der Welt ist.
Und dass er allein den Maßstab und die Kraft geben kann, die für Men-schen in ihrem Leben lebensnotwendig, unentbehrlich sind.
Und so beugt der Apostel freiwillig die Knie und richtet seine ganze Person auf den himmlischen Vater aus. Betet mit allem, was zu ihm gehört und erfährt zugleich etwas von der Gottesfülle, die in ihm Wohnung nimmt. Und was er selbst erfahren hat, behält der Apostel nicht für sich. Er erbittet es für seine Gemeinde.
Eins der Bilder, die er in seiner Fürbitte für die Gemeinde gebraucht, hat mich besonders angesprochen. Das Bild, dass die Liebe durch den Glauben an Christus in den Herzen der Glaubenden einwurzelt, Wurzeln schlägt. Die Liebe in unseren Herzen verwurzelt.... Wie sähe es in unserm Leben aus, wenn das bei uns allen Wirklichkeit wäre?
Ist das möglich, ist das realistisch, unser ganzes Leben, unser ganzes Handeln, alle Dinge in unserem Leben in der Liebe wurzeln zu lassen? Nicht im Verstand und in den Weltbildern und Maßstäben, die von menschlicher Vernunft und Erkenntnis ausgehen? Sondern vom Maßstab Gottes und der Erkenntnis, die uns Christus offenbart hat?
Ich denke, wir erleben auch in unseren Tagen, wohin es führt, wenn menschliche Maßstäbe das Geschehen und Handeln in der Welt bestim-men und wir erleben an uns selbst, wie vieles uns an einem von Liebe bestimmten Leben hindert, wie schnell wir selbst mit unseren guten Vorsätzen scheitern. Wie wenig wir auch in dieser Hinsicht unser Leben in der Hand haben. Auch die Liebe ist für uns selbst nicht „machbar“. Aber da, wo Menschen von Gottes Geist erfüllt sind, werden Dinge mög-lich, die vorher unmöglich erschienen.
Wie geht das, von Gott erfüllt werden, Gottes Fülle in sich wohnen lassen? Es ist nichts Neues und schon gar nichts Originelles, wenn ich auf zwei Wege hinweise, um diese Frage zu beantworten.
Der eine Weg ist der des Gebetes und des Hörens auf Gottes Wort. Da, wo wir das, was uns wichtig ist, was uns beschäftigt, vor Gott tragen und auf Gottes Wort hören, da wird es möglich, dass Gott uns mit seinem Geist erfüllt, da kann er uns Wege weisen die seine Wege sind. Da kann das, was uns als Menschen ausmacht von Gott her gestärkt und gefüllt werden, so dass wir auf unsere Fragen Antworten finden, die seinem Willen entsprechen.
Der zweite Weg ist der des Handelns. Sie kennen sicherlich den Spruch: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Ich möchte ihn ein wenig verän-dern, denn für Christen sollte er treffender lauten: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es mit Gott.
Wenn wir bei dem, was wir tun immer wieder neu die Frage stellen, was Gottes Wille ist, was wir mit ihm tun können, dann werden wir Gottes Fülle in unserm Handeln erfahren. Dann werden wir spüren, wie die Liebe Christi in unsern Gedanken und Herzen Wurzeln schlägt.
Und wenn wir uns von dieser Liebe erfüllen lassen, dann wird es auch uns Menschen der Gegenwart nicht schwerfallen, dankbar vor Gott die Knie zu beugen, weil er es ist und nicht wir selbst, der sinnvolles von Liebe bestimmtes Leben ermöglicht. Amen.
(Volker Lübke, Pfarrer der Kirchengemeinde Alt-Wittenau)